Firmen nehmen neuen Anlauf in Sachen Chancengleichheit

Diversity: Das Märchen von der Vielfalt

13.12.2002
Diversity ist chic. Unternehmen schmücken sich mit Projekten zur Chancengleichheit von Frauen und Männern oder zur Integration von Mitarbeitern aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen. Doch die festgefügten Karrierestrukturen und Rollenklischees verändern sich nur langsam. CW-Bericht, Ingrid Weidner

Das Diversity-Konzept stammt aus den USA und konzentriert sich dort auf zwei klare Ziele: Frauen und Männern die gleichen Chancen im Berufsleben zu ermöglichen und Angehörigen aller im Unternehmen vertretenen ethnischen Gruppen Karrierewege zu eröffnen.

Hierzulande erweitern Firmen das Konzept, indem sie die Integration und Aufstiegsförderung von älteren Mitarbeitern und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen ebenfalls mit dem plakativen Etikett "Diversity" versehen. Internationale Konzerne versuchen, für jedes Land eigene Leitlinien zu formulieren und Schwerpunkte zu setzen. Mit der Förderung von Vielfalt im Unternehmen verbinden einige Marketiers auch die Hoffnung, neue Produkte für unterschiedliche Zielgruppen zu entwickeln, zusätzliche Absatzmärkte zu erschließen und die Produktivität der Mitarbeiter zu erhöhen.

Die Siemens AG entwickelte mit "Promoting and Managing Diversity" ein weltweites Konzept, das die Niederlassung in jedem Land mit eigenen Schwerpunkten umsetzt. In Deutschland konzentriert sich das Unternehmen auf Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen sowie die Integration nichtdeutscher Mitarbeiter. Allerdings steckt die Förderung noch in der Anfangsphase. Zwar sind 25 Prozent der Siemens-Belegschaft weiblich, doch in eine Management-Position schafften es bisher lediglich knapp sieben Prozent und der Vorstand des Unternehmens ist ein reiner Männerclub. Entwicklungsprogramme sollen mehr Frauen den Zugang zu Führungspositionen ermöglichen. Allerdings gibt es, wenn eine Beförderung ansteht, bei gleicher Qualifikation keinen Bonus für talentierte Mitarbeiterinnen.

Was Frauenkarrieren betrifft, gehört Deutschland zu den Entwicklungsländern. Zwar sind zirka 69 Prozent der weiblichen Bevölkerung berufstätig, doch nur um die fünf Prozent erreichen eine leitende Stellung. In Großbritannien beispielsweise habe zirka elf Prozent eine Führungsposition. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) in Berlin belegt, dass Deutschland im europäischen Vergleich die größten Unterschiede beim Gehalt aufweist, denn laut Studie verdienen Frauen 24 Prozent weniger als Männer. Das Statistische Bundesamt ermittelte im vergangenen Jahr eine Differenz von 21 Prozent.

In Großunternehmen sind laut DIW die Chancen auf eine Führungsaufgabe für Frauen besonders schlecht. Dagegen bieten kleinere Betriebe und die Dienstleistungsbranche noch die besten Möglichkeiten zum Aufstieg. In der IT-und Telekommunikationsindustrie schaffen es Frauen kaum, eine Führungsaufgabe zu übernehmen. Besonders ungünstig sind die Rahmenbedingungen von Frauen mit Kindern. Während beispielsweise in Schweden 48 Prozent der bis Dreijährigen in Kinderkrippen oder ähnlichen Einrichtungen betreut werden, können in Deutschland nur zehn Prozent der erwerbstätigen Frauen eine professionelle Betreuung nutzen.

Hewlett-Packard (HP) in Böblingen gründete vor zwölf Jahren eine Kindertagesstätte mit 24 Plätzen, um jungen Müttern eine frühzeitige Rückkehr ins Berufsleben zu ermöglichen. "Die beruflichen Weichen werden zwischen 30 und 35 Jahren gestellt. Im Lebensalter der Kindergeburt bewegen sich Menschen in einer vitalen beruflichen Phase", erklärt Fritz Schuller, Geschäftsführer Personal- und Sozialwesen und Arbeitsdirektor bei der Hewlett-Packard GmbH in Böblingen.

Männer nehmen keine Familienzeit

Eine Betriebsvereinbarung ermöglicht es zwar den HP-Mitarbeitern, fünf Jahre nach der Geburt eines Kindes zu pausieren und anschließend wieder ins Unternehmen zurückzukehren. In dieser wichtigen Zeitspanne für mehrere Jahre aus dem Berufsleben auszusteigen bremst aber den weiteren Karriereweg. Zwar bleiben die Gehaltsgruppe und der Anspruch auf eine adäquate Position gewahrt, doch die fehlenden Jahre lassen sich damit nicht komplett ausgleichen. Kürzere Erziehungszeiten verursachen dagegen keinen Karriereknick. "Zehn Monate sind kein Argument, auf einen Erziehungsurlaub zu verzichten", so Schuller.

Allerdings räumt der Personaler ein, dass Erziehungszeiten nur selten von den Vätern in Anspruch genommen werden. "Wenn ich die neuen Mitarbeiter in unseren Kamingesprächen nach den ersten drei oder vier Monaten auf die Möglichkeiten von Familienzeiten anspreche, sind die Männer ganz aufgeschlossen. Stehen sie nach drei oder vier Jahren vor der konkreten Entscheidung, hat anscheinend ein Sinneswandel stattgefunden, und sie können sich eine längere Auszeit nicht mehr vorstellen." Schuller hofft auf einen evolutionären Prozess, bei dem sich die Männer verändern müssen. Für Staat und Gesellschaft gibt es ebenfalls noch einiges zu tun."

Allerdings möchte sich der Personaldirektor keineswegs in die Entscheidungen über Kinderzeiten seiner Mitarbeiter einmischen. "Unsere Aufgabe ist es, eine Infrastruktur bereitzustellen." Dazu gehört beispielsweise, Mitarbeiter in Erziehungszeiten zu sozialen Aktivitäten oder Seminaren einzuladen oder ihnen die Urlaubs- oder Krankheitsvertretung anzubieten. "Wir möchten, dass der Draht zum Unternehmen nicht abreißt."

HP setzt den Schwerpunkt seines Diversity-Konzepts auf das Gender-Thema. "In einer von Männern dominierten Studienwelt beginnen wir mit unterschiedlichen Projekten, Mädchen für technische Berufe zu begeistern", erklärt der Personaldirektor. Die Hälfte der unternehmenseigenen Auszubildenden an der Berufsakademie sind junge Frauen. In Zusammenarbeit mit den Frauenbeauftragten an Hochschulen versucht das Unternehmen, doppelt so viele Ingenieurinnen einzustellen, als die Quote der Studentinnen der jeweiligen Studienrichtung beträgt. "Beim Gehalt setzen wir uneingeschränkt auf Gleichbehandlung."

Stehen Beförderungen oder Einstellungen an, erhalten Frauen bei gleicher Qualifikation den Vortritt. Immerhin hat es HP geschafft, den Anteil seiner weiblichen Führungskräfte auf 15 Prozent zu erhöhen. Als besonders hilfreich schätzt Schuller auch die Vorbildfunktion ein. "Das Gesagte muss sich auch mit Fakten decken. Bei HP sind etliche Frauen im Vorstand, und wir haben Carleton Fiorina als Chefin der gesamten Konzerns."

Die Deutsche Lufthansa AG rückt in ihrem Diversity-Konzept die Vielfalt in den Mittelpunkt. Die Airline beschäftigt allein in Deutschland Mitarbeiter aus 120 Ländern. Die unterschiedlichen Programme sollen nicht zuletzt dazu beitragen, die Produktivitätsreserven der Mitarbeiter zu aktivieren, und dem zukünftigen Fachkräftemangel, der sich aus der hiesigen demografischen Entwicklung ergeben kann, entgegenzuwirken.

"Wir wollen die Wertschätzung aller Mitarbeiter erhöhen. Hierzu brauchen wir einen Bewusstseinswandel", erläutert Monika Rühl, Leiterin Change Management und Diversity bei der Deutschen Lufthansa AG in Frankfurt am Main. Das Diversity-Konzept des Unternehmens setzt drei Schwerpunkte: Erstens soll gezieltes Mentoring mehr Mitarbeiterinnen den Weg in die Führungsetagen ebnen. Dazu gehört ein Programm für Frauen, das die Lufthansa AG zusammen mit sieben weiteren Unternehmen in Deutschland ins Leben gerufen hat. Ein internes Betreuungsprogramm bringt Frauen und Führungskräfte auf unterschiedlichen Hierarchieebenen miteinander ins Gespräch. "Manche Führungskräfte erfahren in den Einzelgesprächen, welche Schwierigkeiten Frauen mit ihrer Karriereplanung sehen."

Zweitens will die Lufthansa mit dem Diversity-Ansatz Vorbehalte gegenüber schwerbehinderten Menschen beseitigen. Auch hier setzt Rühl auf Mentoring. Drittens geht es darum, die Potenziale von Mitarbeitern über 40 stärker zu nutzen. "Wer sich mit 40 neu orientierten und einen Karriereschritt machen möchte, braucht eine Perspektive für die Zukunft", erklärt Rühl.

Sibylle Peters sieht in den Diversity-Konzepten vieler Unternehmen bloße Absichtserklärungen. "Sie schreiben sich Diversity auf das Unternehmenschild, doch wenn Sie näher hingucken, dann beschäftigen sie sich mit Behinderten oder älteren Mitarbeitern, aber nicht mit dem Thema Chancengleichheit", erklärt die Professorin für betriebliche Weiterbildung und Organisation an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg.

In einer regelmäßig stattfindenden Ringvorlesung lädt die Professorin Manager ein, ihre Konzepte zum Thema "Frauen im Management" vorzustellen. "Nach außen hin bewegen die Managerinnen viel, nach innen dagegen sehr wenig", so die ernüchternde Einschätzung von Peters: "Die Situation war schon mal besser."