Disneyland unter dem Berliner Funkturm

14.10.1977

Eckhard Rahlenbeck, Wissenschaftlicher Angestellter am Projekt "Datenkommunikation als kommunikationspolitisches Problem", Institut für Kommunikationswissenschaft\ Modellversuch der Universität München.

Walt Disney was there. Auf der jüngst zu Ende gegangenen Funkausstellung in Berlin hätte der Großhändler in Sachen Illusion bestimmt seinen Gefallen gefunden. Dem Messepublikum wurden neuartige Telekommunikations-Techniken vorgestellt, die mit Computerunterstützung Texte, Zahlen und Graphiken für unterschiedlich große Benutzergruppen, ohne an einen zeitlichen Programmablauf gebunden, frei anwählbar und auswählbar bereithalten. Der - Fernsehapparat erlebt, an Breitbandkabel und Fernsprechnetz angeschlossen, seine Aufwertung zum Heimterminal. An verheißungsvollen Erwartungen der Experten herrscht kein Mangel: Endlich könne der "Kommunikationsbedarf jedes Menschen" befriedigt werden, alle "nur erdenklichen Gebiete menschlichen Wissens" würden einbezogen, um "schneller an die Quellen der Weisheit" zu gelangen.

Bei der Einführung neuer telekommunikativer Infrastrukturen erübrigen sich nicht Probleme des Nutzens und Bedarfs nahezu von selbst durch die Bereitstellung der Technik. Aufbereitete, selektierbare Informationsangebote stehen nicht so leicht und schnell in beliebigen Mengen für Bildschirmtext und Kabelfernsehen zur Verfügung wie seinerzeit etwa bei Einführung des Plattenspielers das vorhandene Musikrepertoire zur Pressung in Schallplattenrillen. Das spezifisch Neue an diesen Diensten muß nämlich mehr sein als die Lieferung von noch ausgeklügelteren Kochrezepten und noch raffinierteren Telespielen, mehr als nur ein neues Medium mit vertrauten Inhalten. Neue Kommunikationstechniken müssen mehr anbieten als Zugauskunft und Kaufhausangebot, die ohne viel zusätzlichen Aufwand auch auf herkömmliche Art eingeholt werden können. Kurz gesagt: Jede Mark ist zuviel für Investitionen in ein Medium, das nicht viel mehr als der Reduzierung von Langeweile und der Maximierung von Faulheit dient.

Es gilt vielmehr, eine Lücke in der Medienlandschaft zu schließen, die zwischen der massenmedialen Distribution und individueller Vermittlung (Brief, Telefon, Telex) klafft. Nur durch die Einbindung von Speichertechnologien in den Kommunikationsprozeß können immer deutlicher hervortretende Systemschwächen ausgeglichen werden. Ein paar Beispiele: Weite Bereiche der Sozial- und Steuergesetzgebung sind massenmedial so gut wie nicht mehr vermittelbar, da die Fülle der Einzelfallregelungen sich auf die Betroffenen zu unterschiedlich auswirken. Die wachsende Politikverdrossenheit ist ein Signal dafür, ausgewählte Informationen für die interessierte Öffentlichkeit bereithalten zu müssen, um die Planungs- und Entscheidungsbeteiligung der Bürger zu verstärken. Die Redaktionen, gerade der Lokal- und Regionalzeitungen, müssen unabhängiger werden von den "Waschzetteln", die ihnen von den Pressestellen der Verwaltungen und Parteien ins Haus flattern, während zur gleichen Zeit Tausende von Daten pro Gemeinde in statistischen Landesämtern und Behörden automatisch verarbeitet werden. Die Rezipienten, die Zeitungsleser, Hörfunk- und Fernsehkonsumenten, waren zu lange nur passive und isolierte Endverbraucher. Es wird Zeit, ihnen endlich konkrete Chancen als Mitgestalter und im wahrsten Sinne des Wortes Teilnehmer an öffentlichen Angelegenheiten einzuräumen.

Aufgaben dieser Art sind durch Marktprognosen im herkömmlichen Sinne nicht erhebbar, ebensowenig wie seinerzeit die Nachfrage der Haushalte nach fließendem Wasser oder elektrischem Licht empirisch nachweisbar gewesen wäre. Trotzdem ist es konsequent, öffentliche Betriebsnetze, die bislang der Zuführung von Energie (Gas, Strom) und der Hygiene (Wasser) galten, um ein weiteres zur Integration von. Kommunikationsleistungen zu erweitern. Die Bundesregierung hat sich für mehr Untersuchungen der Anforderungen und Auswirkungen EDV-gestützter Kommunikation ausgesprochen. Das war notwendig. Es bleibt nichts anderes übrig, als daß Hard- und Softwareproduzenten und Sozialwissenschaftler mehr als bisher Verständigung suchen, so schwer das auch fallen mag, um Scenarios für Anwendungsbereiche zu entwickeln und Leistungsmerkmale für Kommunikationsspeicher zu definieren.

Die Vorstellung, die Nachfrage nach Kommunikationstechnik begänne in den privaten Haushalten, sei also sogleich eine Nachfrage nach Heimterminals, ist illusionär. Schon allein deshalb, weil ein attraktives Informationsangebot, die britische Post experimentiert mit Speichern, die: 70 000 Texteinheiten beinhalten, erst einmal "wachsen" muß. Zunächst sind qualifizierte Nutzungsbereiche auszumachen, wie etwa Redaktionen, Verbände, die kommunale Selbstverwaltung, Berufs- und Branchengruppen. Unabhängig von diesem Prozeß lassen sich bei EDV-Anwendern der öffentlichen Hand Ansätze für Informationsdienstleistungs-Software feststellen. Da läßt ein Ministerium Programme zur Erstellung "stammtischfester Unterlagen", wie es hausintern heißt, für das Gespräch mit dem Bürger entwickeln. Da plant eine IuD-Stelle mit Computerunterstützung "Checklisten" anzubieten, die Hinweise auf Verordnungen, Termine, Kompetenzen und; Präzedenzen für regionale Planungsprozesse enthalten sollen. Und die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) unternimmt Anstrengungen, das Informationsgebaren DV-gestützter Büro- und Verwaltungssysteme zu untersuchen.

Ansätze sind da. Der Kurs ist gut. Koordination tut not.