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Nach "Spiegel"-Interview

Diskussion über Friedrichs Ruf nach "offenem Visier" im Netz

09.08.2011
Anonymität gehört bisher im Internet dazu: Unter Decknamen haben zuletzt Aktivisten Plagiate in Doktorarbeiten von Politiker aufgedeckt, Hacker ohne Gesicht greifen weltweit Unternehmen und Behörden an. Jetzt feuert Innenminister Friedrich eine Debatte an.

Am Ende will der Innenminister alles gar nicht so gemeint haben, doch die Diskussion über die Anonymität im Internet ist inzwischen voll entbrannt. "Normalerweise stehen Menschen mit ihrem Namen für etwas ein. Warum nicht auch ganz selbstverständlich im Internet?", argumentierte Hans-Peter Friedrich im aktuellen "Spiegel" in Anspielung auf anonyme Beträge radikaler Blogger wie "Fjordman", den der Norwegen-Attentäter Anders Behring Breivik gern zitierte. Schließlich streite man in einer demokratischen Auseinandersetzung mit offenem Visier. "Warum sollte das im Internet anders sein?"

Wenn solche Fragen von einem Bundesinnenminister kommen, ist es leicht, dahinter weitreichende Absichten für ein Vorgehen gegen die Anonymität im Internet zu vermuten. Nein, nein, nein, alles ein Missverständnis, hieß es am Montag im Innenministerium, nachdem Opposition und Netzaktivisten sich auf Friedrich eingeschossen hatten. Der Minister habe lediglich für mehr demokratische Streitkultur im Netz plädiert. Es gebe keine Pläne, dass man sich an jeder Ecke im Internet ausweisen müsste.

Technisch dürfte das ohnehin schwierig werden. Es ist zwar möglich, mit Hilfe der IP-Adressen einzelne Aktivitäten im Netz bestimmten Computern zuzuordnen. Praktisch ist dies jedoch dank diverser Verschleierungsprogramme und in Deutschland zudem mit dem Aus der Vorratsdatenspeicherung leicht zu umgehen.

Gänzlich anonym geht es im Internet ohnehin nicht mehr zu, seit sich immer mehr Menschen bei Online-Netzwerken wie StudiVZ und Facebook einloggen. Datenschützer warnen gar vor dem "gläsernen Internet-Nutzer". Auf der anderen Seite prangern Politiker wie Friedrich die verdeckte Radikalisierung von Menschen im Internet an und kritisieren, dass sich Extremisten unerkannt in dunklen Ecken des Netzes tummeln können.

Internet-Aktivisten ohne Gesicht sorgten zuletzt für Schlagzeilen ohne Ende. Anonyme Hobby-Ermittler auf Websites wie "VroniPlag" kamen Plagiaten in Doktorarbeiten von Politikern auf die Schliche und brachten letztlich den Verteidigungsminister und aufstrebenden Polit-Star Karl-Theodor zu Guttenberg zu Fall. Der Sturz des Mubarak-Regimes in Ägypten ist ohne die anonyme Nutzung von Internet-Diensten durch die Protestbewegung kaum vorstellbar.

Zugleich scheinen unerkannte Hacker aus Gruppen mit Namen wie "Anonymous" oder "LulzSec" nahezu mühelos durch Server von Unternehmen und Behörden zu spazieren. Gelegentlich wird von Festnahmen berichtet - doch der nächste Hack lässt nicht lange auf sich warten.

Der russische Internet-Sicherheitsexperte Eugene Kaspersky predigt schon seit langem, dass ohne eine Ausweispflicht im virtuellen Raum die ausufernde Online-Kriminalität nicht in Griff zu bekommen sei. In Deutschland befürchtet die Piratenpartei, dass genau dies mit dem neuen digitalen Personalausweis möglich werden könnte. "Wir halten die Möglichkeit, sich anonym oder unter Pseudonym zu äußern, für einen wichtigen Pfeiler der Meinungsfreiheit", betont der Parteivorsitzende Sebastian Nerz.

Die jetzt wieder hochkochende Diskussion dürfte unterdessen noch lange weitergehen. Die Fronten sind klar. Während Internet-Aktivisten und Opposition Friedrichs Interview-Äußerungen scharf kritisierten, kam aus der Union auch nach den relativierenden Worten aus dem Ministerium noch Zuspruch für eine harte Linie.

"Wer in einer Demokratie seine Meinung äußert, sollte dazu stehen", ließ der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Hans-Peter Uhl, verlauten. Man dürfe nicht die Augen davor verschließen, dass die Möglichkeit zu anonymen Äußerungen im Netz gravierende Nachteile mit sich bringe. "Der sofortige und unreflektierte Widerspruch der sogenannten Netzgemeinde zeigt nur, dass hier eine längst überfällige Diskussion angestoßen wurde."

Der scheidende CTO von IBM Deutschland, Gunter Dueck, sagt dazu: "Im Netz liegt viel von unserer Zukunft. Das wissen wir alle. Warum machen sich Politiker und ältere Meinungsforscher einen Sport daraus, diese Zukunft schlechtzumachen? Warum diffamieren sie die Gewalt, den Sex, die Geschäftemacherei, die Werbung, die Abzocke, die Hetze im Netz? Gibt es das nicht alles schon allezeit im realen Leben? Und haben die Politiker nicht schon immer versagt, alles im Realen abzuschaffen? Haben sie etwa die Idee, dass es zu schaffen wäre, das Leben im Netz sündenfreier als im Leben 1.0 zu führen? Warum verbieten sie die realen extremen Parteien und Hetzer nicht? Warum gibt es ein reales industrialisiertes Sexgewerbe? Warum Waffen und Schießsport? Warum ist schon eine Ohrfeige bei Gefängnis verboten und dann übt man Boxen?"

Weiter heißt es im "Daily Dueck #147": "Aber nein, immer ist das Netz für das Böse verantwortlich. Dass der norwegische Attentäter Waffen hatte, findet niemand verwunderlich, aber er hat anonyme Hetze im Internet gelesen. Also ist die Anonymität ist die Ursache! WikiLeaks deckt auf und macht transparent. Also ist die Transparenz die Ursache. Ach nein, es liegt nicht am Netz. Die Menschen sind in 1.0 und 2.0 doch dieselben. Aber 2.0 ist die Zukunft, wie gesagt – und die müssen wir gestalten und dürfen sie nicht als Sündenparkplatz missbrauchen." (dpa/tc)