Implementierung erfordert jedoch groesseren Planungsaufwand

Directory verhilft Netware 4.0 zu einem umfassenden Netzkonzept

23.04.1993

Netware 4.0 ist im Grunde nicht einfach mit Netware 3.11 vergleichbar, da ein komplettes Redesign der "aelteren" Netware- Version erfolgte. Bei der Entscheidung zwischen Netware 4.0, Netware 3.11 oder einem anderen Netzwerk-Betriebssystem wie etwa Banyan Vines 5.0, Microsofts LAN Manager 2.2 oder LAN Manager NT ist - wie immer - zu beruecksichtigen, welchen Einsatzzweck man verfolgt und welche Anforderungen an das System gestellt werden.

Der zuerst zu nennende und wohl wichtigste Aspekt im Zusammenhang mit Netware 4.0 sind die neuen Directory Services. War Netware bislang ausschliesslich Server-orientiert konzipiert, muss man das neue Release als globales Netzwerk-Konzept betrachten. Was bedeutet dies fuer den einzelnen Anwender im Netz und den damit verbundenen Netzfunktionalitaeten? Mit Netware 3.11 wurden alle Objekte wie Benutzer, Gruppen, Print-Server, Print-Queues etc. pro Server installiert und verwaltet. Um bestimmte Daten und Ressourcen, die auf einem anderen Server eingerichtet waren, nutzen zu koennen, musste man also am jeweils anderen Server als User registriert sein.

Von dieser Denkweise muessen sich jetzt die Novell-Anwender vollkommen loesen und den Netware-4.0-Server als reines Dienstesystem betrachten. Mit den Directory Services wird eine globale, netzweite Datenbank eingerichtet, in der saemtliche Objekte (Benutzer, Gruppen, Volumes etc.) verwaltet werden. Der jeweilige Benutzer wird nur noch einmal definiert und hat Zugriff auf alle Ressourcen, die vom Netzadministrator fuer ihn freigegeben worden sind. Anders formuliert: Es ist nicht mehr notwendig, zu wissen, auf welchem Server welche Dienste zur Verfuegung stehen. Dadurch wird vor allem die Administration wesentlich einfacher, uebersichtlicher und komfortabler.

Das neue Netware-Directory setzt allerdings eine durchdachte und auf das Unternehmen abgestimmte organisatorische Struktur voraus. Ein einfaches Schnell-mal-einrichten des Servers ist nicht mehr ratsam, da beruecksichtigt werden muss, in welche organisatorische Struktur der Benutzer, der Print-Server beziehungsweise die Print- Queue einzugliedern sind. Das Ganze klingt auf den ersten Blick kompliziert, spiegelt jedoch letztlich die Strukturen in einem Unternehmen wieder.

Genauso, wie das Unternehmen organisatorisch gegliedert ist, muss daher auch die Netware-Directory-Service-Struktur aufgebaut werden. In der Praxis wird sich dieses Konzept als wesentlich flexiblere, einfachere und erweiterbare Loesung erweisen. Banyan Systems hat bei seinem Betriebssystem Vines mit dem Verzeichnisdienst Streettalk bereits seit laengerem dieses Konzept verfolgt, das bei Netware 4.0 nun noch weiter verfeinert worden ist.

Neben der grundlegenden Neuerung, die Bindery von Netware 3.11 durch ein Directory zu ersetzen, zeichnet sich Netware 4.0 aber auch durch weitere Funktionsaenderungen und -erweiterungen aus. So wurde die bislang etwas komplizierte Speicherverwaltung vollkommen neu entworfen, um ein einfacheres und sichereres Arbeiten am Server zu ermoeglichen. Netware 4.0 nutzt dabei einen Mechanismus, der schon bei Microsofts LAN Manager zum Einsatz kam - das heisst, mit Netware 4.0 koennen Netware Loadable Modules (NLMs) im Protected Mode ablaufen. Die OS Domain und somit auch der Netware- Kernel befinden sich im Ring 0, wohingegen andere NLMs in der OS- Protected-Domain laufen koennen (Ring 1, 2 oder 3). Konsequenz: Ein Server-Absturz aufgrund unsauber programmierter NLMs ist nicht mehr ohne weiteres moeglich.

Mechanismen fuer die Option "Data Compression"

Plattenkapazitaets-Engpaesse treten immer wieder auf, wenn es um den Einsatz von Servern geht. Netware 4.0 stellt hierfuer Mechanismen zur Verfuegung, um einzelne Dateien und Directories sowie ein ganzes Volume mit der Option "Data Compression" einzurichten. Hierbei werden die Daten in Echtzeit beim Abspeichern komprimiert sowie beim Lesen dekomprimiert, ohne grosse Zeitverluste in Kauf nehmen zu muessen. Auf diese Weise kann wertvoller Speicherplatz eingespart beziehungsweise besser genutzt werden.

In diesem Zusammenhang ist ferner eine Option von Bedeutung, die als Data Migration bezeichnet wird. Data Migration bietet die Moeglichkeit, selten benoetigte Daten auf ein anderes Medium auszulagern. Dabei kann es sich um ein WORM- oder Bandlaufwerk handeln. Der Directory-Eintrag bleibt auf der Netware-Platte erhalten. Sobald der Anwender auf eine ausgelagerte Datei zugreifen will, wird diese vom externen Medium wiedergeholt. Standard-CD-ROM-Laufwerke unterstuetzt Netware 4.0 ohne zusaetzliche Driver von Drittherstellern. Sie koennen als zusaetzliches Volume eingebunden werden, wenn das CD-ROM am Fileserver eingebaut ist.

Auch das bekannte Accounting von Netware 3.11 ist in Netware 4.0 zu finden. Gleichzeitig wurde jedoch ein erweitertes Auditing- System implementiert, das wesentlich mehr Moeglichkeiten zur Verfuegung stellt. Beachtenswert ist dabei, dass dieses Auditing System vollkommen losgeloest vom Administrator betrieben werden kann, da eine eigene Passwort-Schutzfunktion vorhanden ist. Das heisst, ein Abteilungsleiter kann sich fuer seine Mitarbeiter Auditing-Auswertungen anlegen, die vom Supervisor nicht analysiert werden koennen.

Die Performance der gesamten Netware-Umgebung ist in Netware 4.0 durch integrierte Mechanismen wie Packet-Burst-Mode-Protocol und Large-Internet-Packets verbessert worden - ein Status, der bei Netware 3.11 nur durch weitere Produktimplementierung erreicht werden konnte. Ein muehsames Beschaffen zusaetzlicher Produkte und Features faellt somit weg. Zudem wurde eine weitere, seit langem geforderte Option umgesetzt: die Bedienung von Menuesystemen, Hilfsbildschirmen und Fehlermeldungen nicht nur in Englisch, sondern in verschiedenen Landessprachen.

Erhoehter Komfort durch Mehrsprachigkeit

Im Vergleich zum MS LAN Manager ging Novell jedoch in puncto Bedienungskomfort noch einen Schritt weiter und bietet Netware 4.0 nicht nur in deutscher Sprache an, sondern offeriert einen vollstaendigen "National Language Support". Dadurch kann jeder Arbeitsplatz beziehungsweise jeder Anwender mit seiner eigenen Sprachumgebung ausgestattet werden. Dies gilt nicht nur fuer die Workstation als Server-Plattform, sondern auch fuer die Bedienung der Server-Console, wo die Sprache gewaehlt werden kann und endlich auch eine deutsche Tastaturunterstuetzung zur Verfuegung steht.

Standardmaessig werden die Befehle und Menuesysteme sowohl fuer DOS- als auch fuer OS/2-2.0-Arbeitsplaetze zur Verfuegung gestellt. Dabei konnte durch eine Konsolidierung der gesamte Befehls- und Menueumfang reduziert werden. Zusammenhaengende Befehle sind somit in einem einzigen Befehl integriert, ebenso sind entsprechende Menuesysteme in ein einziges Menuesystem zusammengefasst worden. Wer Windows oder OS/2 einsetzt, kann die gesamte Administration von Netware 4.0 mit einem einzigen, grafischen Menuesystem durchfuehren - entweder unter Windows oder OS/2.

Dass ein Print-Server unter Netware 4.0 nicht mehr wie bisher nur 16, sondern bis zu 256 Drucker verteilt im Netz steuern kann, nimmt sich dagegen fast schon als ein bescheidenes Feature aus, obwohl dies auch nicht unterschaetzt werden darf, da man sich dabei doch einige zusaetzliche Print-Server-Einrichtungen ersparen kann.

Objektvielfalt erhoeht administrativen Aufwand

Jedes zusaetzliche Objekt, vor allem in grossen Netzen, bedeutet im Endeffekt wieder zusaetzlichen administrativen Aufwand. Diesen kann man nun durch vernuenftige und strukturierte Planung erheblich reduzieren.

Hinzu kommt die gesamte Online-Hilfe, die inzwischen auch am Fileserver verbessert worden ist und aussagekraefiger wurde - vor allem fuer die gewoehnlichen Netware-Befehle. So ist jeder Befehl mit Beispielen in der Online-Hilfe hinterlegt, um dem Benutzer ein langwieriges Suchen in der Dokumentation wenigstens zum Teil zu ersparen. Dies ist auch notwendig, da Netware 4.0 standardmaessig auf CD-ROM ohne Handbuecher ausgeliefert wird, ein Satz Handbuecher hingegen nur gegen Aufpreis erhaeltlich ist.

Die bekannten Spezifikationen von Netware 4.0 entsprechen denen von Netware 3.11, wobei an die Rechner zusaetzliche Anforderungen gestellt werden, beispielsweise 8 MB Hauptspeicher, 25 MB nicht komprimierter Palltenbereich fuer die elektronische Dokumentation und mindestens 25 MB Volume SYS.

Netware 4.0 geeignet fuer Multi-Server-Umgebung

Zusammenfassend laesst sich also feststellen, dass Netware 4.0 mit einer Fuelle neuer Optionen aufwarten kann, die in grossen Netzen - sprich: in einer Multi-Server-Umgebung - bei den Anwendern auf grosses Interesse stossen koennten.

Allerdings muss man sich dabei vor Augen halten, dass die Implementierung und das Einrichten von Netware 4.0 einen wesentlich groesseren Planungsaufwand bedeutet, als man dies bislang von einem Novell-Betriebssystem gewohnt war. Vor allem beim Upgrade von Version 3.11 auf das Release 4.0 ist darauf besonders Ruecksicht zu nehmen. Bei der Entscheidung fuer oder gegen Netware 4.0 muessen also die Anforderungen im Unternehmen entsprechend geklaert sowie darauf aufbauend analysiert sein, ob sie auch erfuellt werden koennen. Netware 4.0 kann als eine den urspruenglichen LAN-Bereich uebergreifende Loesung sehr viel bieten, wird dadurch jedoch in bestimmten Faellen auch als ueberladenes System wirken - vor allem, wenn es sich um kleinere Netze handelt.

* Andreas Zenk ist geschaeftsfuehrender Gesellschafter der Zenk Gesellschaft fuer Systemberatung mbH, Muenchen.