Verzeichnisdienste im Netz/Eine organisatorische Klammer für die Stinnes Gruppe

Directories harmonisieren die globale E-Mail-Kommunikation

23.04.1999
CW-Bericht, Jürgen Hill Während die Globalisierung für Unternehmen neue Geschäftsfelder und mehr Umsatz verspricht, bedeutet sie für die DV-Abteilungen vor allem eines: Mehrarbeit, um das Gemenge aus heterogenen Systemen zu harmonisieren. Das internationale Logistikunternehmen Schenker, eine Firma der Stinnes Gruppe, setzt zur Harmonisierung seiner Mail-Umgebung auf ein Meta Directory.

Komplexe Luftzerlegungsanlagen nach Afrika, Flugzeuge nach Asien liefern - kaum ein Auftrag, den das internationale Speditionsunternehmen Schenker nicht ausführt. Die Schenker AG, ein Unternehmen der Stinnes Gruppe, erledigt pro Jahr rund um den Globus an die 1,6 Millionen Frachtaufträge. Ein Auftragsvolumen, das ohne massiven DV-Einsatz kaum zu bewältigen ist. So erfüllen die Spediteure ihre Aufträge mit Hilfe des Electronic Data Interchange (EDI).

"Allerdings", erinnert sich Andreas Kiefer, der als Business Communications Manager in der Stinnes Gruppe mit der Einführung des Meta Directory befaßt war, "stellte EDI den Mitarbeitern teilweise nur 80 Prozent der erforderlichen Informationen bereit." Um einen Auftrag reibungslos abzuwickeln, mußten die Mitarbeiter zusätzlich Informationen per Fax, Telefon oder E-Mail austauschen.

Eine Aufgabe, die auf dem Papier zwar einfach aussieht, im praktischen Alltag eines dynamisch wachsenden Unternehmens aber für Probleme sorgt: Mitarbeiter wechseln die Stellen, neue Partner und Niederlassungen verfügen über andere Mail-Systeme. Ein heterogenes Umfeld, das einen reibungslosen Informationsfluß nicht immer gewährleistet.

"Letztlich stellte sich die Frage, wie wir diese heterogene Umgebung strukturiert in der DV abbilden", erklärt Kiefer. Dabei sollte die neue DV-Plattform nicht nur Zusatzinformationen zu den vorhandenen EDI-Daten liefern, sondern auch für mehr Transparenz sorgen. Aufgrund der großen, international verzweigten Organisation hatte Stinnes nämlich mit dem Problem zu kämpfen, daß die Mitarbeiter oft nicht die zuständigen Ansprechpartner in den einzelnen Ländern kannten. Letztlich suchten die Verantwortlichen ein System, das ähnlich wie ein Nachschlagewerk alle Informationen zentral speichert und dem Anwender die Möglichkeit gibt, Daten wie zum Beispiel Telefonnummern, Zollbestimmungen, Produktbeschreibungen gezielt abzurufen.

Anforderungen, die ein Meta Directory am ehesten erfüllte, ohne große Änderungen an der bestehenden DV-Struktur zu erfordern. Als zentrale Instanz sollte es Informationen zu allen Mitarbeitern speichern und gleichzeitig Zusatzinformationen zu den EDI-Daten der jeweiligen Transportaufträge vorhalten. "Die Idee war", so Kiefer, "nicht mehr alle Papiere mit einem Frachttransport auf die Reise zu bringen, sondern den Mitarbeitern vor Ort einen gezielten Abruf der benötigten Informationen zu ermöglichen und die Suche nach Ansprechpartnern in der eigenen Organisation zu vereinfachen."

Zudem hatte das Meta Directory eine weitere Aufgabe zu erfüllen: Als organisatorische DV-Klammer sollte es die Unternehmensstruktur auch in der Mail-Landschaft nachbilden und zugleich eine Harmonisierung der verschiedenen Mail-Systeme gewährleisten. Aufgrund der gewachsenen Strukturen verfügt die Gruppe über ein heterogenes Mail-System mit Produkten wie cc:Mail, Lotus Notes, Pegasus, Microsoft Exchange, Memo oder Connect. Ein Wildwuchs, der nur schwer zu administrieren war und in seiner ursprünglichen Implementierung eine durchgängige Kommunikation erschwerte. Zumal ein Großteil der rund 120 cc:Mail-Postoffices auf der Infrastruktur von Compuserve aufsetzte und dieser Provider Konnektoren beziehungsweise Gateways zu anderen Mail-Plattformen nur spärlich bereitstellte. Parallel hierzu sind große Standorte über das Frame-Relay-Netz von Sita und in Deutschland über den Frame-Relay-Dienst von Otelo miteinander vernetzt.

Entsprechend schnell war denn das Pflichtenheft für die neue Messaging-Architektur definiert, "zumal wir den einzelnen Niederlassungen nicht vorschreiben wollten, welches Mail-System sie zu verwenden haben", läßt Kiefer den Entscheidungsprozeß Revue passieren. Während andere Unternehmen in solchen Situationen oft die Einführung eines einheitlichen neuen Mail-Systems beschließen, kam für Manager Kiefer dieser Schritt nicht in Frage, "denn wir wollten nicht bis nach Singapur reisen, um vor Ort das Mail-System umzustellen". Dementsprechend schien eine Lösung auf Basis eines X.500-Directorys am vielversprechendsten: erlaubt es doch gleichzeitig die Harmonisierung der bestehenden Welten und öffnet einen Migrationspfad zu neuen Lösungen. Zumal die DV-Planer zu berücksichtigen hatten, daß die vorhandenen Mail-Plattformen teilweise eng mit den operativen DV-Systemen verzahnt waren und sich so eine Ablösung nicht ohne weiteres realisieren ließ. Ebensowenig wie die Einführung einer neuen Mail-Plattform kam für Kiefer ein Mail-Outsourcing an einen externen Dienstleister in Frage, "da hier oft Services verkauft werden, die der Anwender nicht braucht". "Sie bekommen viel Value-added Services, aber nicht die Best practise", lautet seine Kritik an den umfassenden und teuren Angeboten der Dienstleister.

Hatten Anwender, die in der Vergangenheit auf unternehmensweite Directory Services migrieren wollten, wenig Auswahl, so änderte sich dies mit dem Siegeszug des Internet und dem hierbei propagierten Lightweight Directory Access Protocol (LDAP) grundlegend. "Allerdings", weiß Kiefer, "allzuoft nur auf dem Papier." So zeigte sich beim Evaluierungsprozeß, daß Notes nur über mangelhafte Funktionen in Sachen Directory Services und LDAP verfügte. Zwar hatte der Hersteller Besserung zugesagt, doch für Kiefer zählen solche Versprechen wenig: "Zum Zeitpunkt der Entscheidung zählen die Fakten und nicht künftige Features, die irgenwann einmal kommen." Entsprechend empfiehlt der Stratege anderen Anwendern, sich nicht von den Versprechen der Hersteller blenden zu lassen. Lieber sollten sie eine geringere Funktionalität in einem ausgereiften Produkt akzeptieren, als einen unsicheren Wechsel auf die Zukunft zu unterschreiben. Konsequent dieser Grundhaltung folgend, sortierte Kiefer Microsoft schnell aus, da die angekündigten Active Directory Services (ADS) bislang nur auf dem Papier bestehen - Erscheinungstermin ungewiß. Ein Problem, mit dem zumindest Novell nicht zu kämpfen hatte. Die Netzwerker bieten mit ihren Novell Directory Services seit Jahren einen funktionierenden Verzeichnisdienst. Allerdings fiel auch er durch die strenge Prüfung. Die DV-Experten bei Stinnes bemängelten das Fehlen etlicher Konnektoren, so daß die Connectivity nicht zu allen Systemen gewährleistet war.

Das Rennen machte letztlich der Verzeichnisdienst von Isocor, weil das Produkt nicht nur die gewünschte Connectivity, sondern auch eine problemlose Realisierung des Projekts Meta Directory versprach. "Zwar war Isocor vom Produktpreis her nicht die billigste Lösung, aber wir schafften die Einführung in 96 Tagen und sparten dadurch Kosten", begründet Kiefer seine Wahl. Angesetzt waren ursprünglich 90 Tage. Ferner gefielen dem Strategen an Isocor die Konnektoren zu SAP oder den Hicom-TK-Anlagen des Hauses. Pluspunkte, die anfangs aber nur in die Kategorie "nice to have" fielen, denn Kiefer rät jedem Anwender, sich bei einem solchen Projekt "auf die Grundfunktionen zu beschränken und dafür zu sorgen, daß diese schnellstens mit großem Durchsatz funktionieren". Nach seiner Erfahrung akzeptieren die Anwender ein neues System um so bereitwilliger, je schneller sie im Alltag produktive Verbesserungen spüren. Deshalb rät er auch, nicht alle Funktionen eines Produkts in Laborversuchen zu testen, sondern vielmehr wenige Features mit vielen Anwendern im Praxisbetrieb auszuprobieren und einzuführen, um eine positive Grundstimmung zu erzeugen. Daß dabei die Perspektive für das Gesamtsystem und seinen späteren Ausbau nicht verlorengehen darf, versteht sich für den Manager von selbst.

Nachdem Kiefer das Problem der Mail-Harmonisierung mit Hilfe eines Meta Directorys auf Isocor-Basis gelöst hat, stehen bereits die nächsten Schritte an. Die DV-Experten arbeiten an einer Harmonisierung ihrer Netzinfrastruktur, um mit weniger Providern auszukommen. "Jede Schnittstelle", berichtet Kiefer aus den Erfahrungen der Vergangenheit, "kann Probleme bergen." Der Plan ist, alle Niederlassungen auf internationaler Ebene über das Frame-Relay-Netz von Sita zu verbinden. In den jeweiligen Ländern werden dann Kopfstellen eingerichtet, die den Verkehr an das Netz des landesspezifischen Carriers übergeben. Gleichzeitig übernehmen die Kopfstellen die Funktion eines Hubs, der sich mit dem Meta Directory in der deutschen Zentrale synchronisiert und die aktualisierten Verzeichnisse an die Niederlassungen vor Ort weiterreicht.

Synchronisierung der Applikationen

Neben der Harmonisierung der Netze wird zudem eine Sychronisierung der Applikationen erwogen. So wollen die DV-Strategen ihre SAP- und Paisy-Plattformen an den Verzeichnisdienst anbinden. Auf diese Weise ließe sich beispielsweise die Einbindung neuer Mitarbeiter ins Netz deutlich beschleunigen. Statt der heute üblichen, durch den administrativen Overhead bedingten ein bis zwei Tage Durchlaufzeit könnte ein neuer Mitarbeiter künftig via Meta Directory innerhalb von Stunden alle DV-Rechte bekommen. Ebenso würde das Verzeichnis gewährleisten, daß beim Ausscheiden eines Mitarbeiters alle seine Berechtigungen gelöscht werden, so daß es nicht zu versteckten Sicherheitslöchern kommt.

Darüber hinaus könnte das Directory, ähnlich den Gelben Seiten, bestimmte Fähigkeiten der Mitarbeiter speichern, so daß die Suche nach einem Kollegen mit speziellen Kenntnissen in Chemie und Russisch quasi per Mausklick erfolgt und keine stundenlange Telefonrecherche erfordert, beschreibt Kiefer einen der Vorzüge eines globalen Verzeichnisdienstes. Außerdem diskutiert man bei Stinnes eine Anbindung der TK-Anlage an das Meta Directory. Dann könnte die Rufnummer einem Mitarbeiter folgen, so daß er in jeder Niederlassung - etwa auf Dienstreisen - unter derselben Telefonnummer erreichbar ist.

Bei allen Zukunftsplänen ist sich Kiefer aber auch bewußt, daß die Harmonisierung der Mail-Landschaft mit Hilfe eines Verzeichnisdienstes nur ein erster Schritt war und in Sachen cc:Mail weiterhin Handlungsbedarf besteht, da das Mail-System nur begrenzt Jahr-2000-fähig ist. Hier baut der DV-Verantwortliche darauf, daß seine operativen Systeme bald SMTP-fähig sind.

Angeklickt

Directories, so die vollmundigen Versprechen der Hersteller, sind wahre Alleskönner. Sie verwalten beispielsweise die Anwenderdaten oder vereinfachen die Netzadministration. Unternehmen wie die Stinnes Gruppe schätzen an den Verzeichnisdiensten jedoch noch andere Eigenschaften: Als organisatorische Klammer erleichtern diese den Mitarbeitern in weitverzweigten Unternehmen tägliche Arbeit, etwa bei der Suche nach dem gewünschten Ansprechpartner. Ferner half das Directory im Falle Stinnes mit, unterschiedlichste E-Mail-Systeme zu einer homogenen Kommunikationsplattform zu verschmelzen.

Abb: Das Directory harmonisiert bei Stinnes die Mail-Kommunikation und synchronisiert Applikationen wie SAP und Palsy. Quelle: Stinnes