Dilettanten und Dinosaurier auf der Suche nach dem Rightsizing

02.10.1992

Robert Hall

Geschäftsführer der GIK Gesellschaft für Information,

Kommunikation und RZ-Beratung GmbH in Offenbach/Main

Der Trend der Industrie zur rasanten Verkleinerung und entsprechend günstigeren Hardware zwingt die frage nach Downsizing förmlich auf*. Wenn man sieht, Was eine heutige kleinere CPU leistet und dies mit der Leistung der Rechner vom vorigen Jahrzehnt vergleicht, dann fragt man sich zwangsläufig, ob wir nicht besser daran täten, viele kleinere Rechner statt einem großen zu haben. Schließlich hat man damals die ganze DV auf kaum leistungsfähigeren Rechnern gefahren.

Die Frage ist in der Tat berechtigt, doch die Antwort besteht nicht aus einer Aufrechnerei von MIPS und Speicherkapazitäten, wie es von Herstellern und leidenschaftlichen Technikern häufig dargestellt wird.

Die Antwort auf die Frage zu Downsizing ist immer komplex und auf die Situation des Anwenders bezogen. Sie wird immer organisatorische Konsequenzen und Management-Entscheidungen mit sich bringen. Gerade die Tragweite dieser Entscheidungen geht in der Diskussion unter.

Abgesehen davon, daß die Folgekosten eines Computers immer ein Mehrfaches der reinen Hardwarekosten betragen, gehören zu den zu klärenden Themen:

- Was soll mit dem Rechner gemacht werden?

- Welche Anwendungen eignen sich, dezentral gefahren zu werden?

- Welche Abhängigkeit haben sie von den verbleibenden zentralen Systemen?

- Welche Abhängigkeit haben die Daten auf den dezentralen Rechnern untereinander?

- Wem gehören die verwendeten Daten?

- Wer ist für ihre Integrität und Sicherheit zuständig?

- Wer darf die Daten in welcher Form beziehen?

- Welche Standards werden für die Beschaffung der dezentralen Systeme gelten?

Und dies ist nur ein Auszug aus dem gesamten Fragenkatalog!

Auf der betrieblichen Ebene muß zu den Themen Datensicherung und Auslagerung Stellung genommen und die Verantwortung genau festgelegt werden. Zu diesen Themen gehören:

- die Vorbereitung, Durchführung und Überwachung des betrieblichen Ablaufes;

- Restart- und Recovery-Fähigkeit der Online-Monitore, wobei dies in Verbindung mit Datenbank-Recoveries gewährleistet werden muß;

- zeitnahe, vollständige Katastrophen-Datensicherung in Verbindung mit zeitnaher Datensicherung und Auslagerung der Datenträger. (Auf dem zentralen System kann der Einsatz von Robotersystemen im Archiv zur Optimierung des Verfahrens gerechtfertigt sein.) Nur so kann die externe Backup-Fähigkeit für den Katastrophenfall garantiert werden;

- die Durchführung einer DV-Produktion darf nicht in der Verantwortung von Mitarbeitern liegen, die aus der Fachabteilung beziehungsweise nebenbei die Tätigkeiten erledigen. Für die DV-Produktion bedarf es generell entsprechenden Fachpersonals!

Disziplinen, die im Großrechnerbereich seit Jahren gang und gäbe sind wie Band- und Plattenplatz - Verwaltung, Datensicherung und -sicherheit, automatische Ablaufplanung und -steuerung, stehen auf der mittleren und kleineren DV-Ebene in den Kinderschuhen es mangelt an der notwendigen Hard- und Software.

Einerseits könnten die Großen viel von den anspruchsvollen PC- und Unix-Anwendungen lernen und den PC als Plattform verwenden, sowohl um die DV näher an den Anwender zu bringen, als auch um den Mainframe zu entlasten. Andererseits befürchte ich, daß, was in über 20 Jahren in der Groß-DV mit Mühe erschaffen wurde, man jetzt auf dem gleichen Leidensweg in der mittleren und kleinen DV wiederholen will.

Dazu kommt noch eine gewisse Arroganz, die man leider allzuoft in der gegenseitigen Beziehung der Vertreter der Groß-DV und der Klein-DV zueinander findet. Die ersteren betrachten die anderen als Dilettanten, und die Klein-DV-Vertreter nennen die Großen Dinosaurier. Das Ergebnis ist eine Barriere, die die gegenseitigen Bereicherung verhindert.

Das der Markt für Großrechner stagniert, ist eine Tatsache und wird von jedem, mit Ausnahme der betroffenen Hersteller, erkannt. Doch dies bedeutet noch lange nicht, daß die Dinosaurier tot sind. Im Gegenteil, der Großrechner wird weiterhin seinen Platz innerhalb der DV haben, doch ist bei weitem nicht mehr die DV sondern lediglich ein besonderes Teilgebiet von ihr.

Was fehlt, sind Standards: Verkehrsregeln, nach denen die verschiedenen Ebenen der DV nebeneinander und miteinander verkehren können. Diese werden noch eine Weile auf sich warten lassen Mittlerweile obliegt es der firmeneigenen DV, solche Verkehrsregeln aufzustellen und durchzusetzen. Die Rolle der zentralen DV verändert sich von der des DV - Betreibers zu der des DV-Beraters. Mit anderen Worten, sie muß von sich aus die Initiative ergreifen und die Fachabteilungen aktiv unterstützen. Leider gibt es noch häufig die in der CW angesprochene DV-Bürokratie, die aus Mangel an eigenen Konzepten nur die Rolle des Verhinderers übernehmen kann.

Ich kenne aus eigener Erfahrung Fälle genug. Zum Beispiel eine Stadtverwaltung, die von ihrer zentralen, kommunalen DV überhöhte Kosten in Rechnung gestellt bekam. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, daß die Stadtverwaltung für das Geld eine eigene DV auf Unix-Basis hätte betreiben können. Durch die Verlagerung eines Teils der Entwicklung auf PCs hätte man sogar diese Kosten noch weiter reduzieren können.

Das Gegenbeispiel ist die Situation eines großen deutschen Industrieunternehmens, wo die einzelnen technisch-wissenschaftlichen und Designbereiche eine Vielfalt von verschiedenen PCs, Sun-, HP- und anderen Workstations angeschafft hatten in Verbindung mit IBM- und Siemensgroßrechnern. Das Ergebnis war eine unüberschaubare Mischung von nichtkompatiblen Anlagen, die zwar über TCP/IP miteinander verbunden doch auf gar keinen Fall integriert waren. Daraus resultierten für das Management unerklärliche DV-Gesamtkosten. Bei näherer Betrachtung stellte es sich heraus, daß jede Rechnersorte ihre eigene Folge von Software-, Betreuungs-, Schulungs- und sonstigen Kosten mit sich brachte. Auch die dem Vorstand angebotene Lösung Outsourcing erwies sich als Chimäre, da dies lediglich eine der IBM-Anlagen aus der ganzen Manege entfernt hätte.

Mit technischen Lösungen allein sind solche Probleme nicht zu beseitigen. Jeder, der eine Lösung anbietet, hat auch die Pflicht die Folgen und die Folgekosten einer Entscheidung gewissenhaft darzustellen. Leider werden diese allzuoft aus Eigeninteresse verschwiegen, und der Anwender selber nimmt oft kritiklos den billigeren Weg. An dieser Stelle können unabhängige Berater ihre Rolle spielen: Ihre Aufgabe nämlich ist es, dem Anwender vernünftige Alternativen anzubieten und auch die Konsequenzen darzulegen. Ich glaube nicht, wie in der COMPUTERWOCHE impliziert wurde, daß der Berater den größeren Rechner empfiehlt, weil da mehr zu verdienen ist. Ich vermute viel eher, daß mancher sich scheut, Lösungen in Betracht zu ziehen, bei denen er selber einiges dazulernen mußte.

Resümee: Wildes Downsizing ist kein Ersatz für eine vernünftige unternehmensweite DV-Strategie. Hier muß der Berater dem Anwender helfen, indem er sich in die Lage des anderen versetzt und diesem dementsprechende Lösungen anbietet. Es ist in der Tat keine Frage von Downsizing oder Nicht-Downsizing, sondern eine Frage der richtigen Lösung für das jeweils anstehende Problem - besser gesagt eine Frage von Rightsizing. +

* Dieser Gastkommentar bezieht sich auf die Kolumne "Patient DV-Anwender Seehofer, wo bist Du?" in der CW vom 14. August 1992, Seite 9.