Startups nehmen etablierte Player in Visier

Digitalisierung ist in der Immobilienbranche angekommen

18.10.2016
Von 
Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Nach jahrelanger Zurückhaltung nehmen Unternehmen der deutschen Immobilienwirtschaft das Thema Digitalisierung mittlerweile sehr ernst. Big-Data-Konzepte und technologieorientierte Startups, sogenannte Proptechs, spielen eine immer wichtigere Rolle.

Mehr als 90 Prozent der deutschen Immobilienunternehmen haben das Thema Digitalisierung auf der Agenda. Wurde der IT in der Vergangenheit oft nur eine unterstützende Funktion zugeschrieben, sehen viele Firmen darin heute eine Kernkompetenz. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie, die der Branchenverband Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) gemeinsam mit der Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) Real Estate organisiert hat. Dabei wurden 152 privatwirtschaftliche und öffentliche Unternehmen zu ihren digitalen Strategien befragt.

Die meisten Immobilienunternehmen beschäftigen sich mit Digitalisierung und setzten bereits digitale Technologien ein.
Die meisten Immobilienunternehmen beschäftigen sich mit Digitalisierung und setzten bereits digitale Technologien ein.
Foto: ZIA / Ernst & Young Real Estate

Das Bewusstsein für die digitale Transformation war in der Immobilienwirtschaft, die laut ZIA hierzulande jeden zehnten Arbeitsplatz stellt, lange Zeit nicht besonders ausgeprägt. Zwar setzten einige Unternehmen schon früh auf Vermittlungsplattformen für Wohnungen im Netz oder auf Crowd-basierte Immobilien-Investments für Kleinanleger, berichtet der Verband. Die meisten Marktteilnehmer seien jedoch eher traditionellen Geschäftsmodellen treu geblieben.

Inzwischen aber hätten auch die etablierten Player die Chancen digitaler Technologien erkannt. Dazu zählten insbesondere Big Data, Data Mining, Mobility, und Cloud-Technologien, aber auch das scheinbar alte Thema Datenstrukturierung, das 95 Prozent der Befragten für wichtig halten. "Ziel ist es, Rückschlüsse auf das Verhalten der Kunden zu ziehen", erläutert Martin Rodeck, Innovationsbeauftragter beim ZIA und Geschäftsführer der OVG Real Estate in Deutschland. "Warum klicken viele Nutzer eine bestimme Immobilie an, eine andere aber nicht?"

Die jungen Technologieunternehmen der Immobilienwirtschaft setzen laut Studie bereits mehrheitlich auf Big Data (55 Prozent). Aus Sicht eines klassischen Immobilienfonds könne eine Frage beispielsweise lauten: "Ziehen auffällig viele ähnliche Büromieter in einen bestimmten Stadtteil oder einen bestimmten Immobilientypus wie beispielsweise sanierte Fabriketagen?"

Zwar sind laut Rodeck Immobilienfonds und andere etablierte Unternehmen der Branche beim Thema Big Data noch zurückhaltender (42 Prozent); sie wollten aber aktiver werden: "Eine automatisierte Auswertung großer Datenmengen kann in vielen Fällen Trends aufzeigen, möglicherweise auch Wanderungsbewegungen innerhalb einer Stadt sichtbar machen", erklärt er künftige Szenarien.

Wenig Interesse an Künstlicher Intelligenz, IoT und Augmented Reality

Doch längst nicht alle aufkommenden Technologien und Konzepte stehen auf der Prioritätenliste der Immobilienwirtschaft. Geht es beispielsweise um künstliche Intelligenz, Internet of Things (IoT) oder auch Augmented Reality, sehen die Unternehmen gegenwärtig kaum Handlungsbedarf. Einsatzbeispiele gäbe es genug, berichtet Christian Schulz-Wulkow, Leiter des Immobiliensektors bei Ernst & Young für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Im Bereich Augmented Reality etwa könnten Datenbrillen für virtuelle Wohnungsbesichtigungen einen Mehrwert bieten, das Thema IoT gewinne durch die zunehmende Vernetzung unterschiedlichster Geräte in Wohnungen und Büros immer mehr an Bedeutung.

Startups drängen in den Immobilienmarkt

Etwas zu sorglos schätzt der Berater auch die Haltung der alteingesessenen Player zu den technologieorientierten Startups in der Immobilienbranche ein, die häufig unter dem Begriff Proptechs beschrieben werden, analog zu den Fintechs in der Finanz- oder Insurtechs in der Versicherungsbranche. Nur 14 Prozent der Befragten sehen in ihnen eine ernstzunehmende Gefahr.

"Im Gegenteil erwarten viele der etablierten Marktteilnehmer, dass ihr Geschäft durch die innovativen Player zusätzlich beflügelt wird", so Schulz-Wulkow. Die sehen das ganz anders: Eine Mehrheit der "digitalen Jungunternehmer" (63 Prozent) glaubt durchaus, dass sie die Platzhirsche herausfordern kann. Dafür sind die Startups gut gerüstet, wie sich ebenfalls aus der Studie ergibt. Beim Thema Digitalisierung hätten sie einen deutlichen Vorsprung, berichtet ZIA-Experte Rodeck: "Wir haben in der Branche derzeit noch zwei Geschwindigkeiten". Der ZIA plädiere in diesem Kontext für ein "Miteinander-statt-Gegeneinander". Kooperationen böten Chancen für beide Seiten, nur würden sie bislang noch nicht ausreichend genutzt.

Die meisten Immo-Startups gibt es in Berlin

In der Studie listet der Branchenverband immerhin 114 Technologie-Startups auf, die sich mit der Immobilienwirtschaft beschäftigen. Rund 42 Prozent davon gründeten sich im Raum Berlin. Bayern folgt mit einem Anteil von 18 Prozent, die Unternehmen haben sich überwiegend im Raum München angesiedelt. Hamburg belegt mit zehn Unternehmen Platz 3 Platz im Ranking der Digitalstandorte.