Politik soll mehr fördern

Digitalisierung ist Bauern zu teuer

20.05.2022
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Klimawandel, Nachhaltigkeit und Umweltschutz sowie Ernährungssicherheit – angesichts der großen Herausforderungen wollen deutsche Landwirte wenig von digitalen Experimenten wissen.
Sensor und Sender im Ohr - damit hat der Bauer immer im Blick, wie es seinen Kühen geht. Das verbessert die Effizienz in der Viehhaltung, soll aber auch das Tierwohl fördern.
Sensor und Sender im Ohr - damit hat der Bauer immer im Blick, wie es seinen Kühen geht. Das verbessert die Effizienz in der Viehhaltung, soll aber auch das Tierwohl fördern.
Foto: Luke SW - shutterstock.com

Sich auf den Klimawandel einstellen, Umweltschutz gewährleisten und gleichzeitig die Ernährungsversorgung sicherstellen und überleben - die Herausforderungen und Sorgen der Landwirte hierzulande werden nicht weniger. Vor allem der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die Situation noch einmal verschärft. Futter- und Düngemittel werden teurer, genauso wie Energie und Kraftstoffe. Dem stehen die Anforderungen von Politik und Gesellschaft nach bezahlbaren Lebensmitteln gegenüber. All dem gerecht zu werden, wird für die Bauern immer schwieriger. Im Zuge von zunehmender Hitze und Trockenheit wächst die Sorge um Ernteerträge und mit dem kriegsbedingten Ausfall von Ernten in der Ukraine drohen weltweit Versorgungsengpässe.

Für die Höfe in Deutschland stellt sich die Frage, wie sie ihren Betrieb effizienter gestalten und gleichzeitig Umwelt und Klima schützen können. Die Digitalisierung könne dazu einen wichtigen Beitrag leisten, sagt der ITK-Branchenverband Bitkom und beruft sich dabei auf eine Umfrage unter 500 Landwirten in Deutschland. Demzufolge stimmen 92 Prozent der Aussage zu, dass digitale Technologien helfen könnten, Dünger, Pflanzenschutzmittel und andere Ressourcen einzusparen. 81 Prozent sind überzeugt: Die Digitalisierung ermöglicht eine umweltschonendere landwirtschaftliche Produktion. Fast zwei Drittel (63 Prozent) betonen, dass die Höfe mit Hilfe der Digitalisierung ihre Kosten senken könnten. Auch eine Steigerung des Tierwohls ist für 62 Prozent ein wichtiger Aspekt der Digitalisierung.

"Die Landwirtschaft steht vor einer riesigen Herausforderung: Sie muss gleichzeitig Erträge steigern, den Einsatz von Chemikalien senken, Umwelt und Klima schonen und gesunde Lebensmittel für eine stark wachsende Weltbevölkerung produzieren. Ein solcher Spagat lässt sich nur mit Digitalisierung schaffen", bekräftigt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Laut Umfrage nutzen derzeit 79 Prozent der hiesigen Agrarbetriebe digitale Technologien oder Verfahren. Am weitesten verbreitet sind GPS-gesteuerte Landmaschinen, mit denen große Felder effizient bestellt werden können (58 Prozent). Knapp vier von zehn Höfen arbeiten mit Agrar-Apps, die den Pflanzenbau dokumentieren oder Echtzeitanalysen von Feldern erstellen können. Ein Drittel (32 Prozent) hat Systeme für das Farm- oder Herdenmanagement im Einsatz und ein Viertel (24 Prozent) intelligente Fütterungssysteme, die eine optimale Futterverwertung sicherstellen und theoretisch auch das Futter für die Tiere so zusammenstellen können, dass diese weniger klimaschädliches Methan ausstoßen.

KI analysiert Pflanzen

Der Bitkom wirbt dafür, die Möglichkeiten der Digitalisierung noch viel intensiver zu nutzen. Für mehr Umweltschutz ließen sich Satellitenbilder von Feldern auswerten. Spezielle Algorithmen könnten Ernteprognosen erstellen und den benötigten Düngeraufwand berechnen, damit die Nährstoffe bei den Pflanzen und nicht im Grundwasser ankommen. Der Verband nennt Szenarien, in denen Sensoren und künstliche Intelligenz Pflanzen auf den Feldern analysieren und den Bauern dabei helfen Unkraut zu erkennen und mechanisch so zu entfernen, dass Nutzpflanzen unbeschädigt bleiben. Eine großflächige Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln sei dann nicht mehr nötig.

In solchen Szenarien liegt dem Branchenverband zufolge großes Digitalisierungspotenzial. Momentan werden aber Anwendungen für die teilflächenspezifische Ausbringung von Dünger (30 Prozent) und Pflanzenschutzmitteln (23 Prozent) längst noch nicht flächendeckend eingesetzt. KI- oder Big-Data-Werkzeuge kommen erst in jedem siebten Betrieb zum Einsatz.

Till Meinel vom Institut für Bau- und Landmaschinentechnik (IBL) in Köln und Vizepräsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) stimmt zwar zu, dass digitale Technologien eine Möglichkeit seien, die aktuellen ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern. "Es bedarf jedoch geeigneter Rahmenbedingungen, um die notwendigen Investitionen sinnvoll nutzen zu können." Mehr als die Hälfte der befragten Landwirte sieht die Digitalisierung nicht nur als Chance, sondern auch als große Herausforderung.

Landwirtschaft 4.0: Mit Digitalisierung zu mehr Umweltschutz

Hohe Investitionskosten bremsen Digitalisierung

Eine große Mehrheit der Betriebe (83 Prozent) sieht die hohen Investitionskosten als Hemmnis für die Digitalisierung der Landwirtschaft. Gerade einmal 17 Prozent planen, in den kommenden zwölf Monaten in digitale Technologien und Anwendungen zu investieren. Weitere 43 Prozent diskutieren noch darüber, knapp vier von zehn Betrieben schließen das derzeit aus. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder wirbt derweil für digitale Lösungen, die einen niedrigschwelligen Einstieg in Smart Farming bieten könnten, und verspricht: "Die Investitionen in digitale Technologien amortisieren sich schnell, zugleich wird ein Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz geleistet und die eigene Wettbewerbsfähigkeit gestärkt."

Fast vier von zehn Landwirten haben keine konkreten Pläne, in die Digitalisierung zu investieren.
Fast vier von zehn Landwirten haben keine konkreten Pläne, in die Digitalisierung zu investieren.
Foto: Bitkom

Die Bauern in Deutschland haben allerdings noch weitere Vorbehalte. Fast zwei Drittel befürchten beim Einsatz digitaler Tools und Anwendungen eine weitere Steigerung der ohnehin schon sehr hohen bürokratischen Belastung, 58 Prozent bemängeln fehlende standardisierte Schnittstellen und 54 Prozent eine unzureichende Internetversorgung. 46 Prozent sehen auch die mangelnde Digitalkompetenz auf den Höfen als Hindernis für die Digitalisierung. Vier von zehn Betrieben sprechen von Problemen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit digitalem Fachwissen zu finden.

Vor allem mit der Internet-Versorgung auf dem Lande sind die Bauern schon seit Jahren unzufrieden. Der Deutsche Bauernverband (DBV) fordert schon lange einen "Masterplan Digitale Infrastruktur Ländlicher Raum". Demnach werden die Agrarier in den nächsten Jahren immer mehr auf ein hochleistungsfähiges Internet auf der Basis von Glasfaser- und 5G-Mobilfunktechnik angewiesen sein, so die Vertreter des DBV. "Der Ausbau einer flächendeckenden, digitalen Infrastruktur muss deutlich schneller vorangehen", stellte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, klar. "Wer mehr Umwelt-, Klimaschutz und Biodiversität von unseren Bauern einfordert, darf die Wege für digitale Fortschritte in der Landwirtschaft nicht vernachlässigen."

Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV), fordert einen schnellen Ausbau der Netzinfrastruktur auf dem Land.
Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV), fordert einen schnellen Ausbau der Netzinfrastruktur auf dem Land.
Foto: DBV

Grundsätzlich fordern die Bauern mehr Unterstützung seitens der Politik. Neben einem beschleunigten Mobilfunk- und Breitbandausbau sprechen sich fast alle vom Bitkom befragten Landwirte für einen anwenderfreundlichen und kostenlosen Zugang zu Geo-, Betriebsmittel- und Wetterdaten aus. Auf der Wunschliste stehen ferner Fördergelder für digitale Anschaffungen (80 Prozent) und mehr als jeder zweite Betrieb (56 Prozent) hätte gerne, dass die Politik eine zentrale Agrarplattform für das Datenmanagement initiiert.

Von Bauernhofromantik keine Spur

Die Landwirtschaft in Deutschland steckt seit Jahren in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Immer weniger Betriebe ernähren immer mehr Menschen. Gab es 1960 noch knapp 1,4 Millionen Höfe, auf denen über 3,5 Millionen Menschen arbeiteten, waren es laut DBV-Angaben 2017 gerade noch etwas mehr als 600.000 Betriebe mit nicht einmal mehr 270.000 Beschäftigten. Vor allem technische Fortschritte sorgten für immer mehr Effizienz und damit höhere und stabilere Erträge. 1900 erzeugte ein Landwirt hierzulande Nahrungsmittel, um vier Personen zu ernähren. 2016 lag das Verhältnis bei eins zu 135.

Die für mehr Effizienz notwendige Technik erfordert erst einmal Investitionen, und die können sich die kleineren Betriebe kaum leisten. Dazu kommt, dass sich für kleinere Flächen die Anschaffung von selbstfahrenden Hightech-Traktoren und sonstigem Equipment nicht rechnet. Landwirte müssen mit spitzem Bleistift rechnen, zumal die Kosten an anderen Stellen steigen. Beispielsweise sind die Preise und die Pacht für Acker- und Grünland in den vergangenen Jahren in vielen Regionen Deutschlands regelrecht explodiert. Gleichzeitig schießen die Kosten für Dünger, Saatgut und Diesel in die Höhe.

Auf der politischen Agenda steht das Thema Digitalisierung der Landwirtschaft momentan nicht an erster Stelle. Das wurde auch auf dem Treffen der G7-Landwirtschaftsminister Mitte Mai in Stuttgart deutlich. Für Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat die weltweite Ernährungssicherheit oberste Priorität. Klimakrise, Verlust von Biodiversität, COVID-19 und nicht zuletzt der Angriffskrieg Russland gegen die Ukraine bedrohten global die Ernährung von vielen Millionen Menschen, so der Minister.

Özdemir sprach von einem umfassenden Transformationsprozess, um Ernährungssysteme nachhaltiger zu gestalten. Es gehe um einen verringerten und gezielteren Einsatz von Pestiziden und Dünger, den Ausbau des Ökolandbaus, aber auch die Reduktion von Lebensmittelverschwendung und Nachernteverlusten. Der Transformationsprozess müsse umweltfreundlich und wirtschaftlich verträglich für die Bauern gestaltet werden, sagte der Grünen-Minister.

Krieg in der Ukraine, Klimawandel und explodierende Lebensmittelpreise - der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen hat derzeit andere Probleme als die Digitalisierung der deutschen Bauernhöfe.
Krieg in der Ukraine, Klimawandel und explodierende Lebensmittelpreise - der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen hat derzeit andere Probleme als die Digitalisierung der deutschen Bauernhöfe.
Foto: BMEL/Janine Schmitz/Photothek

Welche Rolle die Digitalisierung dabei spielen soll, blieb indes unklar. Viele Initiativen aus dem Ministerium befinden sich noch im Pilotstadium. Seit 2019 wurden bundesweit 14 digitale Experimentierfelder in den Bereichen Pflanzenbau und Tierhaltung eingerichtet. In den fünf Jahren von 2019 bis 2023 sind dafür Fördermittel von insgesamt 50 Millionen Euro eingeplant. Projekte zur Förderung der KI in der Landwirtschaft, der Lebensmittelkette, der gesundheitlichen Ernährung und den ländlichen Räumen unterstützt das BMEL im Rahmen von verschiedenen Forschungsvorhaben in 35 Projektverbünden mit insgesamt gut 41 Millionen Euro. Anfang 2024 sollen die ersten Ergebnisse präsentiert werden.

BMEL-Etat: 0,7 Prozent für Digitalisierung

Insgesamt umfasst der Etat für das Landwirtschaftsministerium in diesem Jahr rund 7,1 Milliarden Euro. Für die Digitalisierung sind 51,4 Millionen Euro vorgesehen (2021: 36 Millionen Euro), das sind nur 0,7 Prozent der Gesamtmittel. Es scheint also so, als ob die Politik die Hebelwirkung von IT-Investitionen noch nicht erkannt hat.

"Nötig ist eine stärkere Förderung von Weiterbildungs- und Beratungsangeboten zur Digitalisierung landwirtschaftlicher Betriebe - und die Beschäftigten in der Landwirtschaft sollten sie dann auch wahrnehmen", fordert Bitkom-Geschäftsführer Rohleder und verweist auf die Vorteile. Laut Umfrage würden knapp zwei Drittel der Landwirte die durch die Digitalisierung erzielte Zeitersparnis sowie die körperliche Entlastung schätzen. 47 Prozent profitierten von einer flexibleren Arbeitsorganisation und drei von zehn von einer insgesamt besseren Work-Life-Balance dank Digitalisierung.

Es braucht mehr Fort- und Weiterbildung in Sachen Digitalisierung für die Bauern, fordert Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Bitkom.
Es braucht mehr Fort- und Weiterbildung in Sachen Digitalisierung für die Bauern, fordert Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Bitkom.
Foto: Bitkom

"Digitale Technologien setzen sich relativ schnell durch, wenn ihr Nutzen für den Anwender unmittelbar messbar ist", lautet das Fazit von DLG-Vizepräsident Meinel. Für die Einführung und Nutzung komplexerer digitaler Systeme benötigten die Landwirtinnen und Landwirte allerdings entsprechende Beratungsangebote sowie wissenschaftlich fundierte, unabhängige Testergebnisse.

Die Betriebe sollten ihrerseits digitale Möglichkeiten nutzen, um für mehr Transparenz und Rückverfolgbarkeit landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu sorgen, empfehlen die Bitkom-Vertreter. Damit würden auch die Sympathien in der Bevölkerung für die Landwirtschaft wieder steigen. "Mit dem Krieg in der Ukraine, der Zunahme von Extremwetter und auch den nachhaltig gestörten Lieferketten im Zuge der Corona-Pandemie steigt der Druck auf den Agrarsektor - zugleich gilt es, Festlegungen bei der Nachhaltigkeit nicht aufzuweichen und Klimaschutzauflagen und CO2-Ziele zu erfüllen", betonte Rohleder. "Mit der Digitalisierung halten die Landwirtinnen und Landwirte ein extrem starkes Instrument in der Hand, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen."