Digitalisierung verändert Zusammenarbeit

Digitaler Wandel braucht eine Fehlerkultur

16.09.2016
Von 
Arik Ott ist Senior Consultant bei Cassini Consulting in Berlin. Nachdem er zunächst fundierte Erfahrungen im IT-Betrieb sammelte, liegt sein Schwerpunkt seit einigen Jahren auf der Leitung von komplexen IT-Projekten sowohl in der Privatwirtschaft als auch im Public Sector. Zudem berät er zu den Themen IT-Infrastrukturen und Internet of Things.
Die Unternehmenskultur muss stimmen, damit der digitale Wandel als Chance begriffen wird. Diese zeigt sich in der Art der Zusammenarbeit und auch darin, wie Mitarbeiter und Führuingskräfte miteinander kommunizieren.

Eine Unternehmenskultur, die die erforderliche Flexibilität und Veränderungsbereitschaft besitzt, adressiert zwei große Felder innerhalb der Organisation: das Miteinander-Reden und das Miteinander-Arbeiten. Nötig sind eine engere Kooperation und eine intensivere Kommunikation. Beides ist eine Frage der gelebten Unternehmenskultur. Die verwandelt sich nicht durch Führungsentscheidungen und per Dekret, sondern durch die tägliche Praxis, durch eine Vielzahl kleiner Initiativen und Projekte.

Aber ebenso richtig ist: Ohne Unterstützung und Steuerung durch die Führungsebene kann Veränderung im Unternehmen nicht gelingen. Eine transformationsoffene Unternehmenskultur zu schaffen, ist ebenso Aufgabe des Managements wie der Teams. Wie können Unternehmen von heute durch engere Kooperation und Kommunikation dem menschlichen Faktor der digitalen Transformation Rechnung tragen?

Handlungsfeld 1: Miteinander arbeiten

Entscheidend dafür, dass Wandel als selbstverständlich wahrgenommen wird, ist ein Neu-Denken des Miteinander-Arbeitens. Eine neue Unternehmenskultur entsteht dadurch, dass sie praktisch gelebt wird. Dabei sollte die Führung Bedingungen schaffen, dass die Mitarbeiter und Teams ihre Arbeit bewältigen und Probleme gemeinsam lösen können – die Führung muss den Weg zu einer besseren Kooperation ebnen. Es ist nicht entscheidend, ob dafür Methoden wie Scrum oder Kanban eingeführt werden – wichtiger als die Methoden ist das Ziel des Miteinander-Veränderns.Dies lässt sich dadurch befördern, dass man Vorgehensweisen und Werkzeuge aus etablierten Methoden miteinander kombiniert, um so den für das Unternehmen besten Weg zur flexiblen Organisation zu finden.

1.1 Visualisieren von Arbeit

Die Arbeit eines Teams zu visualisieren eröffnet Vorteile in zwei Dimensionen: Einerseits profitiert das Team selbst davon, andererseits tun es die Stakeholder und das Management. Die interne Sicht der Teammitglieder auf ihre Arbeit hilft, Fragen zu beantworten wie: Wer im Team tut gerade was, wo ist Unterstützung notwendig, und wo kann Wissenstransfer aktuell hilfreich sein?

Aber auch die externe Perspektive der Stakeholder wird durch eine Visualisierung unterstützt. Sie erfahren, woran das Team arbeitet und wie hoch seine Auslastung ist. Die Tafel in Kanban oder das Scrum Board sind geeignete Werkzeuge, aber auch ein Gantt Chart kann eine sinnvolle Lösung sein. Die Voraussetzung: Die Visualisierung muss allen Beteiligten und Interessenten zur Verfügung stehen – ein Gantt-Diagramm, das nur im Büro sichtbar ist, wäre wenig hilfreich.

Ein Scrum Board wie beim IT-Dienstleister doubleslash hilft, die Arbeit des Teams auch für das management zu visualisieren.
Ein Scrum Board wie beim IT-Dienstleister doubleslash hilft, die Arbeit des Teams auch für das management zu visualisieren.
Foto: doubleSlash Net-Business

1.2 Was ist zu tun – und wann muss es fertig sein?

Es ist wichtig, zu Beginn eines Vorhabens eine Vision davon zu entwickeln, wie das Ergebnis der Arbeit aussehen soll. Solch eine Zieldefinition geschieht zunächst von einer beträchtlichen Flughöhe aus – bevor die operative Arbeit beginnen kann, muss die Vision in kleine Teile zerlegt werden, die sich bearbeiten lassen. So liefert das „Epic“ im Rahmen des Anforderungsmanagements die Vision, aber handhabbar wird das Epic erst durch eine Work Breakdown Structure oder User Stories. Erst diese Untergliederung macht eine Visualisierung und Strukturierung der Arbeit möglich.

Ebenso wichtig ist es, schon bei der Planung das Ergebnis der Arbeitsteile und den dafür erforderlichen Zeitaufwand im Auge zu haben.Um die Time-to-Market zu verringern, hilft es nicht, immer neue Arbeit anzufangen – man muss sie auch fertigstellen. Dies gelingt, wenn man die Arbeit, die das Team gleichzeitig erbringen muss, begrenzt. Das Ziel ist es dabei, einen Flow im Team herzustellen, bei dem sich ein Teilergebnis an das nächste reiht.

1.3 Das Stakeholder Management 2.0

Die Art, wie Wissensarbeit erbracht wird, ist einem kontinuierlichen Wandel unterworfen. Noch vor einigen Jahren formulierte Kunde seine Idee, worauf sich der Auftragnehmer zurückzog und das Produkt entwickelte. War es fertiggestellt, wurde es präsentiert, und der Kunde konnte es nutzen. Heute können sich Anforderungen viel schneller ändern oder ganz neue hinzukommen, die die ursprüngliche Vereinbarung obsolet werden lassen.

Damit die Arbeit trotzdem zu dem Ergebnis führt, das der Kunde zum Zeitpunkt der Fertigstellung tatsächlich benötigt, muss sich die Interaktion zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ändern. Es ist wichtig, dass der Auftraggeber aktiv an der Entwicklung des Endergebnisses teilhat. Nur wenn er in den Arbeitsprozess integriert ist, kann er steuernd eingreifen. Dies führt zu einer höheren Kundenbindung und im besten Fall sogar dazu, dass ein Projekt zu einem wirklich gemeinsamen Vorhaben wird. Ein Beispiel dafür, wie eine solche Bindung in einem agilen Entwicklungsprozess geregelt und strukturiert sein kann, liefert die Rolle des „Product Owner“ in Scrum.

1.4 Etablieren einer Fehlerkultur

Gerade wenn Wissensarbeit erbracht werden soll, ist es zentral, Transparenz über die laufende Arbeit herzustellen. Erst Transparenz und eine geeignete Visualisierung führen zur wirklichen Teilhabe und zum echten Mitdenken der Beteiligten. Dazu gehört auch, Messbarkeit und Verbindlichkeit herzustellen. Damit dies funktioniert, muss es möglich sein, ein Scheitern zuzulassen und Fehler bewusst zu betrachten. Erst wenn die Möglichkeit des Scheiterns akzeptiert ist und eine angemessene Fehlerkultur etabliert wird, stiftet Transparenz maximalen Nutzen. Dann kann sie einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg leisten.

Handlungsfeld 2: Miteinander reden

Kommunikation stellt in Projekten und der täglichen Zusammenarbeit einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar. Dies gilt umso mehr, wenn unter den Bedingungen der digitalen Transformation die Bedeutung der kreativen und innovativen Wissensarbeit noch wächst und Veränderungen Unternehmensalltag werden. Allerdings gibt es im Feld der Kommunikation recht viele Stolperfallen, die die gewünschten positiven Wirkungen in ihr Gegenteil verkehren können.

2.1 Kommunikation ist noch keine Verständigung

Ein wesentliches Ziel aller Kommunikationsbemühungen muss es sein, Missverständnisse zu eliminieren und sich mit allen Teammitgliedern zu verständigen. Entscheidend ist es hierbei, sicherzustellen, dass die Kommunikationsinhalte wirklich ankommen. Wir haben vielleicht etwas Sinnvolles und Wichtiges gedacht, es aber nicht gesagt. Oder wir haben es gesagt, aber nicht so deutlich und klar, dass diese Idee auch gehört worden wäre. Oder was wir sagten, wurde zwar gehört, aber nicht verstanden.

Verständnis bedeutet nicht gleich Einverständnis, und selbst wenn der Adressat einverstanden ist – umgesetzt ist die Idee dann noch lange nicht. Sprache zu verstehen, ist das eine, die kommunizierten Inhalte in unsere Gedankenwelt umzusetzen und somit Verständigung zu erreichen, ist das andere. Ohne klaren Feedbackkanal besteht immer die Gefahr, dass Kommunikationsabsichten innerhalb des Teams ungehört oder unverstanden versanden.

2.2 Der Unterschied zwischen Monolog und Dialog

Gegenüber einem Monolog hat eine dialogische Kommunikationsform den Vorteil, ein wechselseitiger Prozess zu sein. Missverständnissen lässt sich auf diese Weise vorbeugen. Schwierig ist es, im Unternehmensalltag den geeigneten Mix aus einseitiger und mehrseitiger Kommunikation zu finden. Wann reicht eine einseitige Nachricht aus, wann sollten zwei Teammitglieder miteinander diskutieren, und wann sollten sich alle Teammitglieder austauschen? Gerade bei großen Meetings tauchen gern die erwähnten Probleme des Gesagt-aber-nicht-gehört oder des Gehört-aber-nicht-verstanden auf, und es kommt zu keiner Verständigung.

2.3 Es gibt immer eine explizite und eine implizite Kommunikation

Paul Watzlawick, der berühmte Kommunikationswissenschaftler, brachte es auf den Punkt: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Sehr viel unserer Kommunikation spielt sich implizit ab. Was wir sagen, ist manchmal weniger wichtig, als wie wir es sagen, mit welchem Tonfall oder mit welcher Körpersprache. Man kann sich die Kommunikationsbandbreite als einen Eisberg vorstellen: Der größte Teil des Eisbergs ist unter der Wasseroberfläche und unsichtbar, aber dieser ist bedeutsamer und wirkungsmächtiger als der sichtbare Teil.

Von der besonderen Bedeutung der impliziten, unausgesprochenen Kommunikationsinhalte handelt auch ein weiteres kommunikationspsychologisches Axiom von Paul Watzlawick: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.“ Bei jeder Kommunikation im Unternehmen kommt ein komplexes soziales System zum Tragen: das Unternehmen mit seinen Menschen, seiner Kultur, seiner Geschichte, seinen Werten und seinen Regeln. Dies macht es umso wichtiger, sich nicht nur um Kommunikation, sondern um eine klare Verständigung zu bemühen. Es kommt nie nur darauf an, was man sagt, sondern auch wer es sagt, wie er es sagt und wie es wahrgenommen und verstanden wird.

2.4 Das Marmeladengesetz

Für die Kommunikation gilt: Je breiter ein Kommunikationsinhalt gestreut wird, desto fraglicher ist es, ob er die gewünschte Wirkung entfaltet. Die Balance zu finden zwischen Verbreitung und Fokussierung ist demnach sehr wichtig. Wenn also Inhalte zu stark gestreut werden, besteht die Gefahr, dass die ursprüngliche Kommunikationsintention und die Hauptaussage sich durch die Vielzahl der Interpretationen einfach auflöst oder bis zur Unkenntlichkeit verändert. Je breiter die Marmelade verstrichen wird, desto mehr Geschmack geht verloren. Bei der Kommunikation ist das ganz ähnlich. Es will also gut überlegt sein, wie man sein Projekt intern – und extern – kommuniziert.

Die Standbeine der modernen Organisation

Durch die digitale Transformation gewinnt Wissensarbeit eine noch größere Relevanz als früher. Die Rolle, die menschliche Kreativität und Innovationskraft für den Unternehmenserfolg spielen, wächst. Eine Organisation wird einen digitalen Wandel nur vollziehen können, wenn sie die Mitarbeiter mitnimmt. Darum verlangt die digitale Transformation es auch von den Organisationen selbst, sich zu transformieren.

Nur in einer transformationsoffenen Unternehmenskultur verliert der ständige Wandel für die Mitarbeiter seinen Schrecken, und nur dann ist eine Organisation in der Lage, auf die komplexen Fragen der fortdauernden Veränderungen in der digitalen Geschäftswelt Antworten zu finden. Dazu muss sich die Unternehmenskultur vor allem in zwei Bereichen verändern: Es braucht ein besseres Miteinander-Arbeiten und ein effektiveres Miteinander-Reden. Kooperation und Kommunikation heißen die beiden Standbeine einer modernen Organisation, die sich den Herausforderungen des digitalen Wandels gewachsen zeigen will.