Innovationskultur

Digitale Transparenz - in mitarbeiterfreundlich

31.08.2020
Von 
Wissenschaftsjournalistin in München
Wie eine Innovationskultur trotz Datenschutz gut funktionieren kann und sich eine immer weitergehende digitale Kontrolle der Beschäftigten verhindern lässt, erläutern die Professoren Alexander Pretschner, Andreas Boes und Thomas Hess im CW-Gespräch.
Viele Unternehmen sitzen auf einem Mitarbeiterdatenschatz. Der lässt sich beispielsweise nutzen, um Innovationen voranzutreiben.
Viele Unternehmen sitzen auf einem Mitarbeiterdatenschatz. Der lässt sich beispielsweise nutzen, um Innovationen voranzutreiben.
Foto: fizkes - shutterstock.com

Sie beschäftigen sich mit Daten, die im Arbeitsprozess anfallen - welche sind das zum Beispiel?

Hess: "Unternehmen sammeln infolge der Digitalisierung automatisch viele Daten darüber, was Mitarbeiter tun. Das kennt man schon länger, etwa aus der Versicherungsindustrie, wo beim Bearbeiten von Schadensanträgen viele Daten anfallen. Eine solche automatische Aufzeichnung, die bislang eher technisch getrieben war, um bestimmte Systeme zu optimieren, gibt es nun in ganz vielen Bereichen. Wir untersuchen das am Beispiel der Software-Industrie. Die Tools, die Software-Entwickler einsetzen, enthalten viele Aufzeichnungen darüber, wer was wann getan hat. Es geht also um Daten darüber, was Mitarbeiter machen."

Boes: "Daten werden heute als Nebenprodukt des Arbeitens automatisch erzeugt. Es steht nirgendwo eine Kamera, die aufzeichnet, was jemand tut, wie oft und wie lange man da ist. Aber wer mit digitalen Systemen arbeitet, und das machen ja inzwischen die meisten, der erzeugt permanent Daten."

Andreas Boes, ISF/bidt: "Die Technik macht es möglich, Menschen bis in die tiefsten ­Poren ihrer Leistung zu kontrollieren, aber ohne Vertrauenskultur ist ein vernünftiges Arbeiten nicht möglich."
Andreas Boes, ISF/bidt: "Die Technik macht es möglich, Menschen bis in die tiefsten ­Poren ihrer Leistung zu kontrollieren, aber ohne Vertrauenskultur ist ein vernünftiges Arbeiten nicht möglich."
Foto: bidt / Diane von Schoen

Wofür lassen sich die Daten auswerten?

Hess: "Intuitiv würde man meinen, dass klar ist, was passiert: Vorgesetzte, die so viele Daten über ihre Beschäftigten haben, gehen zu einer Mikrosteuerung über, das heißt, sie kontrollieren jede kleinste Aktivität aller Mitarbeiter, für die sie verantwortlich sind. Das aber wäre aus zwei Gründen genau das Falsche. Zum einen ist aus der Management-Perspektive nicht gesagt, dass das die bessere Art der Führung ist. Zum Beispiel würden Mitarbeiter dadurch nicht motiviert. Und das zweite ist, dass es dafür keine Akzeptanz gibt. Die Mitarbeiter würden sicher einen Weg finden, ein solches System zu umgehen, oder einfach den Arbeitgeber wechseln."

"Das Gegenteil von Vertrauenskultur"

Vor Kurzem landete Zalando in den Schlagzeilen, weil es seine Mitarbeiter angeblich mit einer Software überwacht. Zeigt das, wie es nicht laufen sollte?

Boes: "Das ist ein interessantes Negativbeispiel. Im Grunde genommen wurde ein vernünftiges Tool, nämlich das für 360-Grad-Feedback, missbraucht, um eine Spitzelkultur zu verankern, in der jeder jeden verpetzt - zumindest, wenn man der Studie, die dazu veröffentlicht wurde, Glauben schenken darf."

Hess: "Ein solches System ist nicht zukunfts­fähig, das ist genau das Gegenteil von Vertrauenskultur. So wird Führung nie funktionieren."

Thomas Hess, LMU/bidt: "Das Management könnte problemlos an der Software nach­lesen, wie viele Zeilen jemand geschrieben hat, und meinen, wer viel programmiert hat, sei produktiv."
Thomas Hess, LMU/bidt: "Das Management könnte problemlos an der Software nach­lesen, wie viele Zeilen jemand geschrieben hat, und meinen, wer viel programmiert hat, sei produktiv."
Foto: bidt/Diane von Schoen

Boes: "Unsere Meinung ist, dass sich ohne ­Vertrauenskultur kein vernünftiges Arbeiten erreichen lässt. Die Technik macht es möglich, Menschen bis in die kleinsten Details ihrer Leistung zu kontrollieren. Eine Antwort darauf könnte sein, Daten, die im Arbeitsprozess anfallen, radikal zu schützen. Damit verliert man aber die damit verbundenen Chancen, sie sinnvoll zu nutzen, zum Beispiel für Innovationen. Würden aber umgekehrt alle Daten freigegeben, bestünde die Gefahr, dass sich die Menschen nicht darauf einlassen, mit ihnen zu arbeiten, weil sie permanent Angst hätten, dass die Information gegen sie verwendet werden kann. Für dieses scheinbare Gestaltungsdilemma ver­suchen wir in unserem Projekt in interdisziplinärer Zusammenarbeit eine Lösung zu finden."

Wie wollen Sie das in Ihrem Projekt ­sicherstellen?

Hess: "Wir wollen eine Win-win-Situation herstellen. Wir suchen eine Lösung für eine Verwendung dieser Daten, von der beide Seiten ­etwas haben. Und das wollen wir über inverse Transparenz herstellen."

Was meinen Sie mit inverser Transparenz?

Boes: "Ein Arbeitsverhältnis ist immer asymmetrisch. Durch das Direktionsrecht ist fest­gelegt, dass sich nicht zwei Gleiche begegnen, sondern eine Seite mehr Macht hat. Die Gefahr ist nun, dass die Daten, die heute entstehen, beim Management landen und nichts passiert, außer dass es noch mehr Macht bekommt. Dagegen setzen wir die Idee der inversen Transparenz: Die Mitarbeiter sehen, wie sie gesehen werden. Sie haben Einblick, welche Daten von ­ihnen genutzt werde, und wozu. So können sie sich sicher sein, dass nichts hinter ihrem Rücken passiert. Dahinter steckt das Prinzip "Watch the Watcher"."

Wie lässt sich das technisch erreichen?

Pretschner: "Wir entwickeln ein Tool, das die Verwendung von Daten fälschungssicher protokolliert. Wir bauen ja im Projekt auch ein Werkzeug, mit dem die erhobenen Daten aggre­giert und angezeigt werden können, da haben wir die Kontrolle über die Protokollierung. Aus technischer Sicht gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, an Mitarbeiterdaten zu gelangen: Man kann direkt auf die Datenbank zugreifen, in der die Daten zu Arbeitsabläufen gespeichert sind. Man kann auf die Daten über die Aggregationswerkzeuge zugreifen, die ja genau den Mehrwert aus den erhobenen Daten erzielen sollen. Es lassen sich Excel-Tabellen exportieren, und man kann den Bildschirm abfotografieren. Wir haben in den letzten zehn Jahren an Ansätzen der sogenannten verteilten Datennutzungskontrolle gearbeitet, mit der die Verwendung von Daten nach ihrer Herausgabe kontrolliert werden kann. In diesem Projekt konzentrieren wir uns auf den Aggregator und die Datenbank sowie fälschungssichere Logs, die die Zugriffe protokollieren. Es gibt da noch viele Herausforderungen: Wie gehen wir mit großen Datenmengen um? Und wie stellen wir sicher, dass der Benutzer versteht, wo die Grenzen dieses Ansatzes liegen?"

Alexander Pretschner, TU München/bidt: "Ich glaube, dass ent­wicklungsbezogene Daten die Software-Entwicklung extrem positiv beeinflussen können – sofern sie menschenverträglich verwendet werden."
Alexander Pretschner, TU München/bidt: "Ich glaube, dass ent­wicklungsbezogene Daten die Software-Entwicklung extrem positiv beeinflussen können – sofern sie menschenverträglich verwendet werden."
Foto: bidt/Diane von Schoen

Was bedeutet der Zugang zu diesen Daten für Führungskräfte?

Boes: "Die Voraussetzung dafür, dass die Daten sinnvoll genutzt werden, ist eine Vertrauenskultur. Darum ist es auch so wichtig, dass wir das Thema interdisziplinär angehen. Thomas Hess befasst sich mit Fragen der Führung in datenvermittelten Strukturen. Und ich gehe von der Mitarbeiterseite an das Thema heran: Wie schaffen wir es, dass die Mitarbeiter aktiv diese Daten nutzen? Ein wichtiges Element sind Regeln, die definieren, wie das Spiel mit den Daten funktioniert."

Hess: "Rechte und Regeln braucht es für die technische Seite, aber auch für das Führungsverhältnis."

Pretschner: "Aus technischer Perspektive können wir festlegen und in definierten Kontex­ten erzwingen, wer wann wie lange und unter welchen Umständen auf die Daten zugreifen darf, auch wann die Daten gelöscht werden - aber diese Regeln müssen natürlich Menschen festlegen."

Wie Daten Innovationen treiben

Lassen sich Arbeit und Leistung denn ­über­haupt immer in Daten erfasst darstellen? Wie funktioniert das bei den sogenannten Wissens­arbeitern oder in kreativen ­Berufen?

Boes: "Bei einfachen Büroarbeiten werden zum Beispiel die Anschläge gemessen."

Hess: "... oder in der Industrieproduktion, wie viele Teile gefertigt werden."

Boes: "Software-Entwicklung dagegen ist im Grunde eine hochkreative Tätigkeit, bei der komplexe und innovative Produkte entstehen. Wir arbeiten in einem Projekt mit der Software AG zusammen. Das Unternehmen geht bewusst damit um, dass es eben nicht alles misst, was es messen könnte. Sondern es wird versucht, in Datentransparenz zu fassen, was wirk­lich wichtig ist. Zum Beispiel, wie ein Problem gelöst wurde. Diese Erfahrungen werden dann mit ­allen Beschäftigten weltweit geteilt."

Hess: "Auf Führungsebene ist interessant, dass das Management die Daten eben nicht einsetzt, um den individuellen Fortschritt zu kontrol­lieren. Es könnte problemlos an der Software nachlesen, wie viele Zeilen jemand geschrieben hat, und meinen, wer viel programmiert hat, sei produktiv. Oder man könnte es am ­Ergebnis festmachen: Vielleicht hat jemand zwar nur drei Module geschrieben, aber es sind die besseren. Eine solche Kontrolle wäre aus Unternehmensperspektive aber nicht sinnhaft. Sie würde nicht dazu führen, dass das Management Input für Innovationen bekommt."

Das Stichwort Innovationen ist ­öfter gefallen: Wie lassen sich Daten dafür nutzen?

Pretschner: "Es gibt die Forschungsströmung der sogenannten Code-Intelligence. Früher haben wir Informatiker versucht, allein aus dem Code Rückschlüsse zu ziehen, wo etwa besonders fehleranfällige Stellen liegen, oder welche Code-Stücke besonders schwierig zu warten sind - anhand von Metriken, mit denen wir strukturelle Merkmale des Codes erfasst haben. Das hat nicht so richtig gut funktioniert. Aber wenn man Kontextwissen aus dem Entwicklungsprozess dazu nimmt, klappt das sehr viel besser. Wir können Test­fälle so sortieren, dass diejenigen Tests als erstes ausgeführt werden, die am wahrscheinlichsten Fehler finden, sodass Entwickler schnell Rückkopplungen erhalten. Ich glaube, dass entwicklungsbezogene Daten die Softwareentwicklung extrem ­positiv beeinflussen können - sofern sie menschenverträglich verwendet werden."

Boes: "Das sind also nicht nur leistungsbezogene Daten, die anfallen. Viele Daten sind immer wichtiger dafür, dass Menschen vernünftig zusammenarbeiten können. Zum Beispiel läuft in manchen Unternehmen die ganze Kommuni­kation in Systemen ähnlich dem, was wir von Face­book kennen. Und moderne Unternehmen schaffen über Daten Transparenz. Es gibt Programme, bei denen Kollegen sehen, wie weit ­Arbeitsabläufe fortgeschritten sind, an die sie dann anschließen. In den neuen datenbasierten Wertschöpfungssystemen gehen Innovation und Wertschöpfung Hand in Hand. Firmen wie Facebook, Google oder Spotify sind permanent dabei, ihr Produkt zu erweitern und zu verbessern. Sie brauchen datenvermittelte Transparenz, damit die Beschäftigten innovativ sind. Die sehen in Echtzeit, wie ein Kunde mit ihrem Produkt umgeht, und können sich dann Gedanken machen, wie es sich verbessern lässt."

Hess: "Innovation ist sicher der unternehmerisch wichtigste Bereich, aber es gibt noch andere Felder, zum Beispiel die Arbeitssicherheit."

Boes: "Wir beginnen in diesem Jahr mit dem betrieblichen Praxislaboratorium bei der Software AG. Im dritten Jahr sollen Technologie und das Instrumentarium auf eine größere Gruppe von Unternehmen übertragen werden. Unser Ziel ist, am Ende eine fallerprobte Lösung zu haben für den Umgang mit Daten in digitalen Arbeitsprozessen."

Pretschner: "Perspektivisch sollte der Ansatz natürlich nicht nur für Software-Ingenieure An­wendung finden, sondern auch für Manager." (mp)