Hannover Messe 2021 Digital Edition

Digitale Transformation mit Pandemie-Fokus

09.02.2021
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
2021 findet die Hannover-Messe-Industrie (HMI) wegen Corona erneut nur digital statt. Im letzten Jahr noch kein Agenda-Changer, bestimmt die Pandemie die Industrieleitmesse in diesem Jahr auch thematisch.
Deutsche-Messe-Chef Chef Jochen Köckler sieht in der digitalen Version der HMI mehr als nur eine Übergangslösung.
Deutsche-Messe-Chef Chef Jochen Köckler sieht in der digitalen Version der HMI mehr als nur eine Übergangslösung.
Foto: Deutsche Messe AG

COVID-19 beschleunigt nicht nur die Digitalisierung der Industrie, die Pandemie zwingt auch Messebetreiber, ihre Konzepte neu zu überdenken, um zu überleben. So auch die Deutsche Messe AG: Während sie die IT-Mittelstandsmesse Twenty2X für 2021 als Jahresevent mit digitalem, hybriden und analogen Teil plant, geht sie es bei der seit 1947 bestehenden und deutlich größeren Hannover Messe Industrie vorsichtiger an.

"Leider haben wir den Schieberegler kurz vor Weihnachten von einer hybriden Hannover Messe auf rein digitalen schieben müssen - heute können wir sagen Gott sei Dank, denn es fehlt mir schlichtweg die Fantasie, dass sich Mitte April rund 70.000 Menschen - und das war ja noch ganz bescheiden geplant - auf dem hannoverschen Messegelände tummeln.", erklärte Messe-Chef Jochen Köckler auf einer Preview-Veranstaltung zur HMI.

HMI 2021: Programm

Deshalb soll die Industriemesse auch heuer in der Woche vom 12. bis 16. April 2021 als rein digitale Veranstaltung stattfinden. Geplant sind laut Deutsche Messe drei Elemente:

  • Eine digitale Expo, in der Unternehmen aus der produzierenden Industrie unter dem Leitthema "Industrial Transformation" ihre Technologien und Ideen für die Fabriken, Energiesysteme und Lieferketten der Zukunft präsentieren;

  • ein begleitendes Konferenzprogramm mit dem üblichen Verbands-Montag für wirtschaftspolitische Fragestellungen. Technische Themen stehen dann von Dienstag bis Donnerstag auf der Agenda. Am Freitag folgt der Karrierekongress WomenPower;

  • die Möglichkeit für Besucher, über eine personalisierte Einstiegsseite samt Dashboard direkt mit Ausstellern, Sprechern und anderen HMI-Besuchern per Chat oder Videocall in Kontakt zu treten.

Die Messe eröffnet die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel, zu den Vortragenden zählen KI-Legende Toby Walsh, Computerviren-Experte Eugene Kaspersky und Claudia Kempfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Das Aufgebot an Rednern ist nicht eben überragend - angesichts der Tatsache, dass eine physische Anwesenheit nicht unbedingt erforderlich ist.
Das Aufgebot an Rednern ist nicht eben überragend - angesichts der Tatsache, dass eine physische Anwesenheit nicht unbedingt erforderlich ist.

"Es gibt im Moment wenig digitale Formate, wo die Aussteller sagen, das war super", räumte Köckler auf der Preview ein. "Wir machen das aber aus der Überzeugung, dass sich nach der Pandemie Menschen wieder treffen können und wir dann Teile aus der Digital Edition übernehmen und in Zukunft hybride Messen ausrichten."

Entsprechend soll es auf der Hannover-Messe 2022 wieder ein volles Messegelände geben und trotzdem das in der Pandemie in Sachen Digitalisierung Gelernte hinzugepackt werden, fügte der Deutsche-Messe-Chef hinzu. Man dürfe aber nicht den Fehler machen, die Digital Edition mit dem Nutzwert einer realen, physischen HMI wie 2019 zu vergleichen. "Diese war sicher nicht perfekt" so Köckler, "aber die 19er Version war mit über 200.000 Besuchern, davon 80.000 aus dem Ausland, und über 6.000 Ausstellern - ein industrieller Mega-Treffpunkt. Wir sind aber sicher, dass wir mit der Digital Edition ein Format haben, das viel besser ist als wenn wir die Messe einfach absagen würden."

Auch thematisch stehen Corona und seine Auswirkungen auf die Industrie im Mittelpunkt der Messe. Die Pandemie hat sich doppelt auf die Branche ausgewirkt. Einerseits hat sie die Einführung digitaler Tools beschleunigt, andererseits hat sie die Verwundbarkeit von Lieferketten hervorgehoben", betonte Köckler. Besucher würden auf der Hannover Messe Digital Edition Antworten darauf finden, wie sich die Lieferketten verändern müssen, um auch auf künftige Krisen vorbereitet zu sein, oder wie die industrielle Produktion auch in Krisenzeiten weiterlaufen kann. Vor diesem Hintergrund sollte sich die Branche in Richtung einer flexibleren und automatisierten Produktion bewegen und der Connectivity von Geräten einen hohen Stellenwert einräumen.

Hannover Messe 2021: Das zeigen die Hersteller

Im Rahmen der HMI-Preview gaben mehrere Unternehmen bereits einen Ausblick über ihre Lösungen, um die Kontinuität der Produktion in einem noch unsicheren Gesundheitskontext zu gewährleisten.

Festo: Automatisiertes Social Distancing

So will etwa der schwäbische Automatisierungsspezialist Festo auf der Messe am Beispiel des Productivity Master demonstrieren, wie sich dank Automatisierung Social Distancing auch im Fertigungsbereich umsetzen lässt und das sowohl für Massen- wie auch individueller oder Kleinserienfertigung.

Der Productivity Master von Festo ist als via Cloud remote bedienbare und überwachbare modulare Produktionszelle konzipiert.
Der Productivity Master von Festo ist als via Cloud remote bedienbare und überwachbare modulare Produktionszelle konzipiert.
Foto: Festo

Die modulare Anlage - in der Demo für die Fertigung individualisierter USB-Sticks konzipiert - nutzt die Cloud nicht nur, um die Speichersticks von Kunden remote designen und mit Daten beschreiben zu lassen, sie ist auch über das IoT-Gateway von Festo mit der Cloud verbunden, so dass der Bediener im Homeoffice neben den Produktions- auch die Diagnosedaten der Maschine abrufen kann. Die Produktionszelle kann dazu viele Netzwerkstandards der Branche wie EtherCAT, OPC-UA, IO Link und MQTT verwalten.

Kuka: Roboter programmieren wird einfacher

Der Augsburger Roboterbauer Kuka wiederum gibt auf der HMI einen Zwischenstand zu seiner Mission, bis 2030 die Automatisierung einfacher, intuitiver und für alle zugänglich zu machen. Während der Hannover Messe präsentiert Kuka dazu eine Vorschau auf sein Betriebssystem der Zukunft, das bereits als Prototyp bei einigen Kunden im Einsatz ist.

Das neue Betriebssystem soll laut Kuka dazu beitragen, das Programmieren eines Roboters so einfach zu machen wie die Verwendung eines Computers. Das Unternehmen geht davon aus, dass die Automatisierung in den kommenden Jahren auf immer mehr Gebieten Einzug halten wird. "Nach der Corona-Pandemie wird es besonders in der Logistik und im Healthcare-Bereich einen echten Schub zu mehr Automatisierung geben", so Kuka-Chef Peter Mohnen. Die eigentliche Wertschöpfung werde dabei nicht mehr in einem einzelnen Produkt, sondern in digital vernetzten Lösungssystemen liegen, weshalb die Software entscheidender denn je sei.

Huawei: Transformations-Booster

Der chinesische ITK-Ausrüster Huawei wiederum konzentriert sich bei seinem Online-Messeauftritt auf eine Reihe kuratierter Flaggschiff-Angebote, um agile Forschung und Entwicklung, intelligente Fabriken, Enterprise Intelligence, Integration von Vertrieb und Betrieb sowie intelligente Services zu unterstützen. Dabei soll aufgezeigt werden, wie die Wireless-Lösungen 5G und Wi-Fi 6, KI und weitere führenden ITK-Technologien dazu beitragen können, die digitale Transformation zu beschleunigen.

"Die letzten Jahre waren geprägt von Pilotprojekten für den Einsatz digitaler Lösungen in der Fertigung", erklärte Cesim Demir, CTO Manufacturing Industry der Huawei Enterprise Business Group Westeuropa. Bei diesen Projekten habe sich gezeigt, dass diese Lösungen tiefgreifende Verbesserungen ermöglichen und den Kunden einen Mehrwert bieten. Upscaling sowie die vollständige Integration in bestehende Prozesse werden in diesem und den nächsten Jahren wichtig sein, um die Wettbewerbsfähigkeit in der internationalen Fertigungsindustrie sicherzustellen.

German Edge Cloud: All-In-One Hybrid Cloud

Die German Edge Cloud, Tochter der Friedhelm Loh Group stellt auf der HMI die Lösung "Oncite powered by IBM" vor. Dabei handelt es sich um die Industrial Edge Appliance Oncite von GEC, erweitert um die containerisierte Softwarelösung IBM Cloud Pak for Manufacturing. Die All-in-One-Hybrid-Cloud-Lösung soll Fertigungsbetriebe bei der Digitalisierung ihrer Produktion unterstützen, ohne hohe Anforderungen an lokale Ressourcen und Know-How zu stellen.

Im vollvernetzten Rittal-Werk in Haiger ist die IIoT-Edge-Lösung Oncite powered by IBM" bereits im Einsatz.
Im vollvernetzten Rittal-Werk in Haiger ist die IIoT-Edge-Lösung Oncite powered by IBM" bereits im Einsatz.
Foto: German Edge Cloud

Bereits die IIoT-Edge-Plattform Oncite wurde speziell für das volldigitalisierte Rittal-Werk in Haiger entwickelt, wo 250 vernetzte Maschinen und Anlagen täglich bis zu 18 Terabyte an Daten produzieren. Diese müssen analysiert, in nahezu Echtzeit verarbeitet und zur Optimierung der Produktion genutzt werden - und zwar mit der notwendigen Datensicherheit und -souveränität.

Mit Hilfe der IBM-Lösung erweiterten sich laut GEC die Möglichkeiten: Produktinformationen aus dem SAP-System wurden mit Echtzeit-Stationsdaten zusammengeführt. Damit konnte schnell und einfach visualisiert werden, in welchem Bearbeitungszustand sich die jeweiligen Produkte befinden und wie der Produktionsprozess insgesamt verläuft. "Der Aufbau und die digitale Integration unserer Produktion in Haiger war Pionierarbeit. Jetzt wollen wir mit Oncite powered by IBM, dass auch unsere Kunden von unseren Erfahrungen profitieren", so Professor Friedhelm Loh, Inhaber und Vorstandsvorsitzender der Friedhelm Loh Group.

AWS: ML-Lösungen für die Industrie

Auch der Cloud-Anbieter AWS hat erkannt, dass die digitale Transformation längst alle Wirtschaftsbereiche erfasst hat und geht mit der neuen Initiative "AWS for Industrial" speziell auf die Bedürfnisse der Industriekunden ein. Der 2020 gegründete Bereich umfasst von AWS und seinem Ökosystem speziell entwickelte Services und Lösungen, die es erlauben sollen, einfache Innovationen voranzutreiben und die Automatisierungen und Industrie-Workloads in der AWS Cloud laufen zu lassen.

Als Beispiel, wie Machine Learning einfach für die Qualitätssicherung eingesetzt werden kann, zeigt AWS eine ursprünglich für eine physisch stattfindende Hannover Messe gebaute Produktionsanlage für Kofferanhänger mit individueller Laserprägung: Um Anhänger mit Kratzern über die Steuerung auszusortieren, genügen laut AWS 200 Bilder des Rohmaterials mit und ohne Kratzern, die in zwei getrennten Ordnern auf den Cloud-basierten ML-Service Amazon Lookout for Vision hochgeladen werden. Dieser erzeugt dann per Knopfdruck ein ML-Modell, dazu noch eine API für die Bildübertragung - und fertig. AWS zufolge wird Amazon Lookout for Vision unter anderem bereits vom größten schwedischen Lebensmittelproduzenten Dafgard eingesetzt, um die Beläge von Tiefkühlpizzas zu überprüfen.

Zu den weiteren einfach integrierbaren Industrielösungen, die AWS auf der HMI Digital vorstellen will, zählen die Hardware-basierte Retrofitting-Lösung AWS Monitron, der Predictive-Maintenance-Service Amazon Lookout for Equipment und AWS Panorama zur Integration von Computer Vision in bestehende Kameras für die Produktionsanlage.