Ecosysteme werden immer wichtiger

Digitale Geschäftsmodelle brauchen neue Denkansätze

21.04.2017
Von 
Lumir Boureanu ist Geschäftsführer und CTO der eurodata tec GmbH.  Als studierter Informatiker, Wirtschaftsinformatiker und MBA entwickelt er neue Ideen, Visionen und Strategien in Verbindung mit digitalen Geschäftsmodellen der Zukunft.
Wer digitale Geschäftsmodelle aufsetzen möchte, muss anders denken. Es geht darum, die eigene Produkt- und Service-Palette neu aufzustellen, und zu überlegen, wie das Ganze in neue Ecosystem eingebettet werden kann. So lassen sich für alle Beteiligten Mehrwerte schaffen.
Digitale Geschäftsmodelle erfordern neben der entsprechenden Technik auch einen völlig neuen Denkansatz.
Digitale Geschäftsmodelle erfordern neben der entsprechenden Technik auch einen völlig neuen Denkansatz.
Foto: Digital Lab - shutterstock.com

Digitale Geschäftsmodelle sind auf den ersten Blick ein wenig irreführend. Der Grund: Sie definieren sich nicht allein über eine konkrete digitale Technologie, sondern es ist vielmehr ihre Fähigkeit, einen exponentiellen Wert zu schaffen, was sie ausmacht. Um einen solchen exponentiellen Wert zu erzeugen, ist es unerlässlich, sich zuerst eine exponentielle Denkweise anzueignen. Was ist damit gemeint? Die klassische inkrementelle Denkweise konzentriert sich darauf, etwas "Besseres" zu machen, wohingegen die exponentielle Denkweise den Ansatz verfolgt, etwas "Anderes" zu machen.

Möglichkeiten der Produktentwicklung

Es gibt zwei Formen der Produktdifferenzierung: die Bündelung beziehungsweise die Entflechtung einzelner Produkte und Services. Durch beide Ansätze entsteht ein Mehrwert für den Kunden, ohne dass die entsprechenden Anbieter etwas grundsätzlich Neues schaffen.

  • Bei der Bündelung werden mehrere kleine Angebote zu einem großen Angebot kombiniert. Der Vorteile besteht darin, dass der durch den Kunden wahrgenommene Wert desto höher erscheint, je mehr Angebote in einem solchen Bündel enthalten sind.

  • Die Entflechtung ist das Gegenteil der Bündelung. Es bedeutet, ein Angebot in mehrere kleinere Angebote aufzuteilen - eine Vorgehensweise, die wir interessanterweise bei einem Großteil der bisherigen Geschäftsmodelle des digitalen Zeitalters beobachten können. Musik-CDs werden beispielsweise in einzelene MP3-Dateien zerlegt, um Songs auch einzeln verkaufen zu können, oder Zeitungen werden in Blogs und Kleinanzeigen-Websites geteilt.

Wir sehen also schon heute, dass digitale Geschäftsmodelle Netzwerkeffekte nutzen, um eine beschleunigende Rendite zu erzeugen. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass traditionelle, industrielle Modelle linear sind, während digitale Modelle einen exponentiellen Charakter besitzen. Anhand eines konkreten Beispiels soll im Folgenden die Denkweise bei der Erschaffung eines neuen, gebündelten Angebotes demonstriert werden.

Das digitales Fahrtenbuch – ein dezentrales Ecosystem

Nehmen wir an, ein Unternehmen möchte ein elektronisches Fahrtenbuch als neues Produkt in sein Portfolio aufnehmen. Obwohl das Fahrtenbuch als Angebot bereits in allen möglichen Formen auf dem Markt zur Verfügung steht, leiden diese schon verfügbaren Produkte noch unter einer mangelnden Akzeptanz seitens der Nutzer. Durch die fortschreitende Digitalisierung bietet sich jetzt eine neue Bündelung des Angebots in einem dezentralen Ecosystem an. Es geht also darum, einen exponentiellen Wert zu schaffen.

Wie muss man sich das vorstellen? Der typische Anwender eines Fahrtenbuches ist der Fahrer eines Geschäftswagens. Dieser könnte, das zeigen Berechnungen, durch die Führung eines Fahrtenbuchs gegenüber der Ein-Prozent-Regelung Steuerersparnisse im vierstelligen Bereich erzielen. Im Unterschied zu den klassischen, elektronischen Fahrtenbüchern, die lediglich die Führung des Fahrtenbuchs erleichtern, kann ein Ecosystem "digitales Fahrtenbuch" jedoch viel mehr. Hier steht nicht die Technologie im Vordergrund, sondern es geht darum, exponentielle Werte zu schaffen, die weit über die Nutzung einer App, eines Portals oder GPS-Dongles hinausgehen.

Wie aber kann ein Angebot also gebündelt werden, um einerseits Netzwerkeffekte zu erzielen und gleichzeitig die Akzeptanz zu steigern? Das Ecosystem, in dem sich der Fahrer bewegt, kann einen ersten Anhaltspunkt liefern. Das Ziel des Unternehmens, bei dem der Fahrer des Geschäftswagens arbeitet, ist es, die Gesamtkosten für das entsprechende Fahrzeug zu senken. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten wie etwa Car-Sharing, die Abrechnung der Tankvorgänge, Fahrt- und Leistungsinformationen sowie die Optimierung der Betriebs- und Wartungszeiten. Um diese Ziele zu erreichen, ist die Akzeptanz des Fahrers unabdingbar.

Dezentrales Ecosystem eines Geschäftsfahrers
Dezentrales Ecosystem eines Geschäftsfahrers
Foto: Lumir Boureanu, eurodata tec GmbH

Aus der Perspektive des Fahrers gibt es einen konkreten Eintrittspunkt in dieses Ecosystem: Das ist der Onboarding-Prozess auf dem Portal des Fahrzeugherstellers. Hier werden alle benötigten Parameter und Freigaben durch den Fahrer vorgenommen. Durch diese Dateneingabe ist die eindeutige Verbindung zwischen dem Fahrzeug und dem jeweiligen Fahrer gewährleistet.

Über die Fleet-, Kredit- oder Tankkarte entsteht im nächsten Schritt die Verbindung zu einem weiteren Ecosystem - dem des Zahlungsdienstleiters. Der Leverage-Effekt entsteht dabei durch die etablierte Zusammenarbeit zwischen der Mineralölgesellschaft, den Kassensystemen sowie den Zahlungsdienstleistern.

Integration schafft gebündelte Angebote

Durch die Integration dieser drei völlig unabhängigen Ecosysteme des Fahrers, des Fahrzeugherstellers und der Tankstelle entsteht ein gebündeltes Angebot - ein dezentrales Ecosystem, das auf einer Partnerschaft basiert. Alle Teilnehmer sind auf Augenhöhe und für jeden Teilnehmer gibt es eine Win-Win Situation. Was bedeutet das in diesem Beispiel? Der Mineralölgesellschaft wird durch das gebündelte Angebot der direkte Einstieg ins Auto ermöglicht, und eröffnet ihr damit neues Potenzial für weitere Angebote. Der Zahlungsdienstleister wiederum erhofft sich einen Anstieg der abgewickelten Zahlungstransaktionen, weil der Zahlungsfortgang für den Fahrer jetzt extrem einfach ist. Der Fahrzeughersteller schließlich strebt die Markenbindung des Kunden an und erwartet, dass er den Fahrer durch den höheren Komfort sowie einer satten Steuerersparnis bei Geschäftsfahrten an seine Marke binden kann.

In so einem Ecosystem wird das Fahrtenbuch fast zu einer Nebensache, die im Hintergrund abläuft. Durch die Tatsache, dass es sich bei einem digitalen Fahrtenbuch um ein lernendes System mit integriertem Kalender handelt, wird die Interaktion mit dem Fahrer auf ein Minimum reduziert.

Digitale Geschäftsmodelle basieren auf einem wichtigen Rohstoff, den Daten. Diese ermöglichen eine garantierte Leistung für den Kunden. Einen solchen Service kann ein Unternehmen deshalb durchaus in einem ersten Schritt kostenlos einführen – allein um den Service zu etablieren und ein Umdenken zu veranlassen. In einem zweiten Schritt wäre es dann sogar denkbar, eine Bezahlung in Form einer "Erfolgsprämie" einzuführen, das heißt wenn der Fahrer eine Steuerrückerstattung bekommt, führt er einen geringen Prozentsatz an das Unternehmen ab, dass ihm diese Ersparnis ermöglicht. Ein solches Modell ist denkbar – lohnt sich aber nur in einem reinen digitalen Geschäftsmodell, wo die Grenzkosten gegen Null laufen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass digitale Geschäftsmodelle eine Verschiebung von inkrementellen zu exponentiellen Strategien erfordern. Am Anfang fällt das Umdenken schwer. In den frühen Phasen braucht es Mut und Geduld, um das Fundament für nachhaltiges Wachstum zu legen, auch wenn die Ergebnisse nicht schnell sichtbar sind. Wenn das Geschäftsmodell dann endlich erfolgreich durchstartet, kommt noch die Agilität des Ecosystems dazu.

In jedem einzelnen Stadium der Veränderung besteht die Herausforderung darin, "vertraute Denkweisen" zu verlernen und das Ungewohnte zu wagen. Erst mit einer Verschiebung von der inkrementellen zu exponentiellen Denkweise ergibt sich die Chance für die echte Ecosystem-basierte Innovation.