Digital Research über DOS-User: Die brauchen Hilfe CW-Gespräch mit dem DR-Management

01.11.1991

Digital Research wurde von der Netzwerk-Company Novell übernommen. Für Branchenkenner ist es deshalb nur zu verständlich, daß der Betriebssystem-Veteran mit seinem DR-DOS das Interesse von IBM weckt, vor allem seit das Verhältnis zwischen Big Blue und Microsoft getrübt ist. Wie sich die neue Situation als hundertprozentige Novell- Tochter für Digital Research darstellt und ob eine Zusammenarbeit mit IBM wieder in Frage käme, nachdem Big Blue seinerzeit vor etwa zehn Jahren bei der Betriebssystem-Wahl Bill Gates den Vorzug gegeben hat, darüber sprachen die CW-Redakteure Dieter Echbauer und Stefanie Schneider mit Dieter Giesbrecht, Senior Vice-President Europe, und Norbert Christ, Geschäftsführer der deutschen Digital Research GmbH.

CW: Wie reagieren die Kunden auf den Zusammenschluß mit Novell?

Giesbrecht: Ausgesprochen positiv, weil sich unsere Produktpaletten sehr gut ergänzen. Zudem sind wir stark im OEM-Geschäft, und Novell ist stark im Corporate-Account-Geschäft durch die Netzwerkinstallationen.

CW: Findet die indirekte Anbindung an die IBM die Zustimmung des DR-Gründers Gary Kildall?

Giesbrecht: Ich glaube schon, daß er da zustimmt. Als Mitglied des Vorstands hat er auch für den Zusammenschluß mit Novell gestimmt. Die IBM ist mit ihren Kassensystemen schon seit Jahren weltweit unser größter Lizenznehmer für das Echtzeit-Betriebssystem Flex-OS.

CW: Die IBM wird das zwar anders darstellen, aber es sieht doch so aus, als ob Microsoft Big Blue eine Absage erteilt habe. Kildall könnte doch sagen: "Jetzt sind wir gut genug, nachdem Microsoft mit IBM nichts mehr zu tun haben will." Wollen Sie Lückenbüßer sein?

Giesbrecht: Das sind wir bestimmt nicht, denn wir haben ein besseres Produkt. Was zwischen Microsoft und IBM passiert, darüber will ich nicht spekulieren. Mich interessiert, was wir machen. Ich glaube, IBM sucht eher einen Partner, mit dem man kooperativ zusammenarbeiten kann.

CW: Mit Microsoft hat IBM, wie es hieß, bis vor kurzem auch noch kooperativ zusammengearbeitet. Kann man mit IBM kooperativ zusammenarbeiten?

CW: Sind die Verträge mit Novell jetzt perfekt?

Christ: Die amerikanischen Behördenprüfungen sind durch. Die Anteilseigner werden keinen Einspruch einlegen. Heute sieht es so aus, daß Digital Research als eigenständige Division weitergeführt wird.

CW: Geht Digital Research vollständig in Novell auf?

Christ: Ja, Digital Research wird eine hundertprozentige Novell-Tochter.

CW: Unter gleichem Namen?

Christ: Das ist noch nicht endgültig definiert, aber es wäre nicht klug, wenn man den Namen aus dem Markt nimmt.

CW: Ändert sich von der Organisation her in bezug auf den deutschen Markt etwas?

Christ: So wie es jetzt aussieht, wird sich nichts ändern.

CW: Der Kunde geht also weiterhin zu Digital Research?

Christ: Ja. Natürlich werden wir unsere Aktivitäten dahingehend abstimmen, daß logischerweise bei einer Netzwerkimplementierung die Empfehlung kommt, DR DOS 6.0 zu installieren. Es wird sicher auch in der Flex-OS-Betriebssystem-Seite eine Menge kommen.

Giesbrecht: Wie gesagt, die IBM ist der größte Lizenznehmer seit 1984. Und da haben wir noch nie ein Problem gehabt.

CW: Wie hoch liegt der Anteil der mit IBM erzielten Umsätze am Gesamtumsatz.

Giesbrecht: Wir sind ein Privatunternehmen und veröffentlichen keine Zahlen, aber IBM ist der größte Lizenznehmer und in bezug auf das Betriebssystem Flex-OS Weltmarktführer auf dem Kassenterminal-Markt. Und in allen Systemen ist unser Betriebssystem installiert.

CW: Das ist aber nicht der Markt, der in die Schlagzeilen kommt.

Giesbrecht: Das ist richtig.

CW: Wir denken nur daran, daß immer euphorisch über eine Zusammenarbeit mit IBM berichtet wird, wenn man in einer recht jungen Phase ist. Wir haben aber auch Beispiele erlebt, wo es für eine Firma tödlich war, sich auf eine Zusammenarbeit mit der IBM einzulassen.

Giesbrecht: Mit dem Betriebssystem Flex-OS ist Siemens in Europa unser größter Kunde und in Japan arbeiten wir zum Beispiel mit Mitsubishi zusammen. Man darf sich auf gar keinen Fall von einem einzigen Partner abhängig machen.

CW: Nun stellt sich in der Verbindung mit Novell die Situation wieder neu. Im PC-Netzwerkmarkt ist ja zur Zeit auch ein ziemliches Hauen und Stechen.

Giesbrecht: Novell ist da ganz eindeutig Marktführer.

CW: Das hat aber doch die Konkurrenz auf den Plan gerufen.

Giesbrecht: Es steht trotzdem niemand da, um gegen 60 Prozent Marktanteil anzutreten.

CW: Wird ihre Produktentwicklung von Novell beeinflußt?

Giesbrecht: Ich glaube, das ist zweiseitig zu sehen. Wir haben zwei Entwicklungszentren, und dieses technische Know-how, das wir dort haben, wird sicherlich auch die weitere Entwicklung von Novell-Produkten beeinflussen. Die Strategie ist noch nicht ausgearbeitet, aber sie werden in Zukunft ganz klar Produkte sehen, die gemeinsam entwickelt wurden, die besser integriert und kundenfreundlicher sind.

CW: Möglich wäre doch ein Netz-Betriebssystem Novell-Netware, das DR DOS integriert. Die Kunden würden gar nicht merken, daß sie DR DOS kaufen?

Giesbrecht: Das ist denkbar.

CW: Wenn Sie von 60 Prozent sprechen, meinen sie einen heute definierten Markt. Wenn sich neue Möglichkeiten auftun, wird man möglicherweise in einem Jahr einen Marktanteil ganz anders definieren, weil vielleicht ganz andere Konstellationen vorherrschen. Wenn ich jetzt an ACE oder die Verbindung PC-Workstation denke, dann wird man diesen Markt nicht mehr so wie heute definieren können. Ist das für Novell unter diesen Gesichtspunkten ein ruhiges Polster?

Giesbrecht: Ein ruhiges Polster hat in der Industrie niemand. Man sieht es bei den großen PC Herstellern. Die halten in der Technologie mit den kleineren Firmen nicht mehr mit, weil diese flexibler sind. Schauen sie die Notebook-Hersteller an, die führenden Unternehmen sind kleinere Firmen.

Christ: Das hat Novell in der Firmenphilosophie genau erkannt Daß der Markt sich verändert, ist ganz klar. Es ist nur die Frage, wie sich die Firmen selbst reparieren.

Giesbrecht: Für Novell ist der Zusammenschluß aus zwei Gesichtspunkten sehr wichtig: erstens wegen unserer Technologie und zweitens wegen dem Personal, das wir beschäftigen. Wir haben eine Entwicklung in Europa, die hat Novell nicht. Und die haben das als Vorteil gesehen. Ein simples Beispiel: Wir verfügen zum Beispiel über Erfahrungen, was die Internationalisierung von Produkten betrifft.

CW: Ich habe Sie jetzt so verstanden, daß Digital Research auf die installierte Basis abzielt. Da Microsoft sich über den Desktop- in den Midrange-Bereich vorarbeitet, könnte man das so verstehen, daß Sie den DOS-Markt weiter pflegen wollen. Sind Sie weniger an Neukunden orientiert, sondern an bestehenden DOS-lnstallationen?

Christ: Bei den DOS-lnstallationen ist enorm viel Geld investiert worden. Wenn Sie heute mit den Leuten sprechen, die eine Entscheidung über ein Betriebssystem treffen müssen, die sich fragen "Wo geht es hin?" - die sind total verunsichert. Da wird über OS/2 gesprochen, IBM-Apple und die ACE-Geschichte - das sind Initiativen die erst in drei Jahren greifen, wenn überhaupt. Was macht der Entscheider solange? - Er muß seinen MIS-Job machen und die Applikationen am Laufen halten. Den Leuten muß geholfen werden. Man kann nicht immer eine neue Technologie bringen und sagen, es funktioniert erst ab dem 486er oder 586er. Was passiert mit den Sachen, die auf dem 286er laufen. Natürlich ist das ein Markt.

CW: Aber sie kennen doch die Kurven, die von Marktforschern gemalt werden. 1993 und 1994 ist es mit DOS vorbei. Bill Gates muß halt Vorsorge treffen, daß er dann die richtigen Produkte hat.

Christ: Wir sagen ja nicht, daß DOS über Jahrzehnte das Betriebssystem bleibt, aber daß es für DOS noch eine sehr gute Möglichkeit gibt, auch im Hinblick darauf, daß man eine Unmenge von Daten, die schon einmal erstellt worden sind, sauber weiterführen muß.

CW: Wir danken Ihnen für das Gespräch.