DEC-World '90: Gemischtwarenladen für die Anwender

Digital probt den Ausbruch aus ihrer proprietären Welt

20.07.1990

BOSTON (gfh) - Die anhaltend mageren Geschäftsergebnisse zwingen die Digital Equipment Corp. zu einer zukunftsorientierten Produktstrategie. In deren Rahmen räumt das Unternehmen Unix erste Priorität ein. Auf den Ständen der DEC-World, der Bostoner Hausmesse des Unternehmens, dominierten dagegen Netzwerkprodukte und branchenspezifische Lösungen.

Bruno D'Avanzo, Sales Manager Europe, faßte seine Sicht der künftigen DEC-Strategie zusammen: "Wir machen Unix, weil die Kunden es fordern. Unsere proprietären Systeme erhalten wir, aber profilieren können wir uns gegenüber den Mitbewerbern nur über Software und Services - und zwar gerade auch außerhalb unserer eigenen Systemwelten.

Die Besucher sahen von dieser Vision nur wenig. Ihnen gegenüber benutzte der Hardwarehersteller aus Maynard die Messe vor allem, um sich mit einer möglichst breiten Produktpalette als Allrounder zu empfehlen. Diese Einstellung wurde an den Ständen mit einer Vielzahl von Branchenlösungen demonstriert und in Vorträgen über Outsourcing und Facilities Management bestätigt. "Wir können alles und machen alles - selbst Fensterputzen, wenn es sein muß", lautete die Message von Don Zereski, Digitals Vice-President Customer Service. Waren für Zereski "vor dem Kunden alle DEC-Produkte gleich", so betonte Bruno D'Avanzo, die momentane Vorrangstellung von Unix: "Was DEC betrifft, so gehört das eben angelaufene Geschäftsjahr Unix." Dazu gehört, daß Skip Garvin, European Unix Sales Manager, allein für Europa rund 1000 Verkäufer in das Wettrennen um Unix-Marktanteile schicken kann.

Unternehmensintern war die Stellung von Unix auf der DEC World allerdings keineswegs unumstritten. So hat DEC-Chef Ken Olsen anläßlich einer Pressekonferenz auf der DEC-World dem Betriebssystem die kommerzielle Reife abgesprochen. Außerdem könnten entsprechende Features den offenen Charakter des Systems derart verändern, daß es seine Attraktivität verlöre.

Er habe zu VMS und Unix ein Verhältnis wie zu zwei sehr unterschiedlich geratenen Söhnen: "Beide sind mir lieb, sowohl der strebsame und erfolgreiche Stammhalter, als auch der ungestüme Breakdancer, der immer wieder mit Blessuren nach Hause kommt und erst noch reifer werden muß." Die Vice Presidents und Marketiers von DEC bemühen sich seither hektisch, dieses Bild in eine für Unix positive Richtung auszulegen.

Mehr Einigkeit herrschte dagegen beim Netzwerk-Konzept von DEC. Dazu Win Hindle, Senior Vice-President Corporate Operations: "Unsere Strategie richtet sich lange schon auf Interaktivität, auf Netzfähigkeit und die Möglichkeit, in verteilten Umgebungen zu arbeiten. Neu ist, daß wir sie jetzt nicht mehr nur auf Midrange-Ebene anwenden, sondern vom PC bis zum Mainframe auf eigener wie auf fremder Hardware."

Um dieses Statement zu untermauern, wurde auf der DEC-World eine Reihe neuer Hard- und Software vorgestellt (siehe auch die COMPUTERWOCHE von nächster Woche). In allen Fällen handelt es sich dabei um Produkte, die den Aktionsradius der Anwender über die reine DEC-Welt hinaus erweitern sollen.

So ist die "VAX 4000" ein dezidierter Rechner für Client-Server-Umgebungen, der Systeme unter OS/2, DOS oder dem Apple-Macintosh-Betriebssystem in einer verteilten Umgebung mit gemeinsam zu nutzenden Dateien, Datenbanken und Progammen bedient. Zu diesem Zweck ist die neue VAX mit zwei zusätzlichen Prozessoren ausgerüstet worden, die nur für In- und Output-Operationen zuständig sind.

DECs magere Gewinne überschatteten die Messe

Ein weiteres Produkt soll die Überwachung und Wartung von heterogenen Netz-Architekturen ermöglichen. "DECmcc-Director" arbeitet allerding ausschließlich unter VMS und wird in den Staaten ab Februar nächsten Jahres ausgeliefert. Beschlossene Sache ist auch der Einstieg in den Glasfasermarkt. Erste Produkte dafür waren ebenfalls auf der DEC-World zu sehen.

Neben all diesen Ankündigungen war jedoch immer wieder von Digitals wirtschaftlicher Lage die Rede. Angesprochen auf DECs Aktienkurs verzog Pierre-Yves Tiberghien, Engineering Finance Manager Europe, säuerlich das Gesicht. "Für uns gibt es keine Marktnischen mehr. Der Markt wird immer enger", erklärte er, und zog dar aus den Schluß, daß zusätzliche Gewinne nur von den IBM-Märkten zu holen sind.

Zahlen über die intern bereits vorliegenden Ergebnisse des eben beendeten Geschäftsjahres waren allerdings nur hinter vor gehaltener Hand zu bekommen. Das Unternehmen räumte zwar ein, daß die Erlöse hinter den Erwartungen zurückbleiben. Der Umsatz soll jedoch, so deutete Skip Marvin an, auf rund 14 Milliarden Dollar gegenüber 12,8 im Vorjahr steigen. Was den Gewinn betrifft, so konnte das Unternehmen in den ersten drei Quartalen bis zum 31. März dieses Jahres nicht einmal ein Drittel des Vorjahresergebnisses erzielen.

Im Rahmen der DEC-World, die noch bis zum 1. August 1990 andauert, finden täglich 54 Workshops und 81 Vorträge statt. Digital rechnet insgesamt mit 18 000 Besuchern, vor allem aus den Vereinigten Staaten. Im August geht die Herstellermesse dann in verkleinerter Ausführung auf Tournee nach Australien, Frankreich und Japan. Die europäische Veranstaltung wird vom 10. bis 21. September dieses Jahres unter der Bezeichnung "Decville" in Cannes stattfinden. +