Die Zukunft von Open Source

29.11.2007
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Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Langsam, aber unaufhaltsam dringt quelloffene Software in alle Bereiche der Unternehmens-IT vor, prognostizieren US-Marktforscher.

Schon heute spielen Open-Source-Produkte in fast der Hälfte aller Kaufentscheidungen für Business-Software eine Rolle. Das beobachtet zumindest die amerikanische Marktforschungs- und Beratungsfirma Saugatuck Technology, die 1999 von ehemaligen Gartner-Analysten gegründet wurde. In der Studie "Open Source: The Next Disruptive IT Influence" beschreiben die Analysten weitreichende Veränderungen durch den zunehmenden Einsatz quelloffener Software. Diese beträfen einerseits die Art und Weise, wie Anwenderunternehmen Software beschaffen und nutzen. Andererseits müssten damit auch IT-Anbieter umdenken, wenn sie Software entwickeln, lizenzieren und warten.

Die Marktforscher stützen sich bei ihren Prognosen auf eine internationale Befragung von rund 200 Business- und IT-Verantwortlichen aus unterschiedlichen Branchen. Hinzu kamen zahlreiche Einzelinterviews mit Open-Source-Nutzern und -Anbietern. Der weltweite Nutzungsgrad von Open-Source-Software beträgt derzeit zwar nur magere zehn Prozent, berichten die Autoren. Doch bereits ein Drittel der Befragten rechne damit, bis zum Jahr 2010 gut die Hälfte aller Softwareanforderungen mit Open-Source-Systemen abdecken zu können. Mehr als 40 Prozent der neuen Betriebssystem-Installationen und 35 Prozent aller neuen Middleware-Komponenten sollen bis dahin auf quelloffenen Produkten basieren (siehe auch Produktvergleich Red Hat Linux gegen Suse Linux Server).

Hier lesen Sie

  • wie sich Open-Source-Software in Anwender- und Herstellerunternehmen verbreitet;

  • welche Motive hinter dem Einsatz quelloffener Software stecken;

  • welche Gründe gegen Open Source sprechen.

Auch die Anbieter von Mietsoftware (Software as a Service = SaaS) springen auf den Zug auf. Mehr als die Hälfte von ihnen wird im Jahr 2010 Open-Source-Komponenten und ganze Plattformen in ihre Servicemodelle einbinden, so die Prognose. Die größten Wachstumspotenziale sieht Saugatuck in "Mixed-Source"-Szenarien. Open-Source-Software hält demnach immer stärker Einzug in traditionelle IT-Systeme der Anwender. Gleiches gelte für Softwarelösungen kommerzieller Anbieter. Diese "versteckte Präsenz" quelloffener Software führe zu einer allmählichen Veränderung der Unternehmens-IT insgesamt.

Entwicklungsstadien

Die Akzeptanz und Verbreitung von Open-Source-Software vollzieht sich in drei Entwicklungsstadien, erläutern die Analysten (siehe Grafik "Verbreitung von Open-Source-Software"). Sie reichen von den ersten Gehversuchen ("Early Adoption") in speziellen IT-Bereichen über die breite Akzeptanz in unternehmenskritischen Feldern ("Core IT Acceptance") bis hin zu einer allgemeinen Präsenz quelloffener Komponenten in Anwender- und Herstellerunternehmen ("Commercial Ubiquity").

Die Marktforscher beschreiben die Verbreitung von Open-Source-Software anhand von drei Stadien.
Die Marktforscher beschreiben die Verbreitung von Open-Source-Software anhand von drei Stadien.

In der ersten Phase versuchen Anwender und Hersteller herauszufinden, welchen Nutzen Open Source ihnen bringen kann. Erste Implementierungen beschränken sich meist auf spezifische IT-Aspekte, beispielsweise auf einen bestimmten Server, eine Applikation oder sogar auf eine einzelne Funktion. Betriebssysteme wie Linux sind für viele Unternehmen ein bevorzugter Einstiegspunkt. Der Grund dafür liegt in den zahlreichen Supportdiensten, wie sie Hersteller, Dienstleister oder auch User Groups inzwischen offerieren. Das Interesse der Anwender gilt in diesem Stadium fast ausschließlich den IT-Kosten, genauer gesagt den erhofften Einsparungen durch die Software.

Legt man die aktuellen Erhebungen zugrunde, bewegen sich Anwenderunternehmen bereits in das zweite Entwickungsstadium, während die meisten Hersteller sich noch in der ersten Phase orientieren. Für professionelle Nutzer stehen nicht mehr länger Server-spezifische oder eng gefasste Open-Source-Initiativen im Mittelpunkt. Stattdessen arbeiten sie an Enterprise-Anwendungen und anderen quelloffenen Techniken für das gesamte Data Center. Anders als in der Orientierungsphase wagen sich Unternehmen auch an umfassende Modifikationen der verwendeten quelloffenen Komponenten. "Open Source ist für die meisten Anwenderunternehmen heute Teil der Mainstream-IT", konstatieren die Marktforscher. Einschlägige Diskussionen drehten sich nicht mehr nur um Kosten, sondern auch um Standards und die Verwaltbarkeit der Systeme.

Ganz anders die etablierten kommerziellen Anbieter. In den meisten Fällen suchten sie noch immer nach einer passenden Open-Source-Strategie, monieren die Auguren. Die Frage nach dem Nutzen und einem adäquaten Business-Modell bleibe allzu oft unbeantwortet. Helfen könnten den Herstellern nur die Kunden. Deren Einsatzszenarien und Wünsche böten ihnen die dringend notwendige Orientierung in Sachen Open Source.

Noch einige Jahre in der Zukunft liegt das Stadium der Commercial Ubiquity: Anwenderunternehmen standardisieren zunehmend auf Open-Source-Techniken. Quelloffene Betriebssysteme, Middleware und Anwendungen sind weit verbreitet. Am häufigsten genutzt werde Open-Source-Software dann in Form einzelner Komponenten, prognostizieren die Studienautoren, sprich als Teil größerer Anwendungen, Tools oder komplexer Management-Systeme. Ähnliches gilt für die Hersteller, die ihre Open-Source-Strategien weiterentwickeln. Unterm Strich sieht Saugatuck "hybride" IT-Strukturen in den Unternehmen entstehen. Sie beinhalten sowohl interne als auch ausgelagerte Systeme und Services, die wiederum zu großen Teilen aus Open-Source-Komponenten bestehen.

Motive für Open Source

Die Motive für den Einsatz von Open Source sind vielfältig. Ähnlich wie in vielen anderen Erhebungen stehen auch in der Saugatuck-Studie Lizenzbedingungen und Kosten ganz oben auf der Liste (siehe Grafik "Gründe für den Open-Source-Einsatz"). 44 Prozent der Befragten nannten diese Faktoren. Fast ebenso wichtig (37 Prozent) ist den Unternehmen eine verringerte Abhängigkeit von herstellerspezifischen Lösungen. Überraschend hoch bewerten die Befragten die grundsätzliche Möglichkeit, Open-Source-Software nach ihren Wünschen anzupassen. "Die meisten Kunden verändern den Code nicht, obwohl sie Zugang dazu hätten", zitiert Saugatuck dazu den CTO eines Open-Source-Anbieters im CRM-Umfeld. Diese Einschätzung sei unter Anbietern weit verbreitet, treffe aber offenbar nicht mehr zu.

Unternehmen erhoffen sich von Open-Source-Software Kostenvorteile und weniger Herstellerabhängigkeit.
Unternehmen erhoffen sich von Open-Source-Software Kostenvorteile und weniger Herstellerabhängigkeit.
Foto: Saugatuck Technology

Auch die Annahme, nur große Unternehmen mit entsprechenden IT-Ressourcen seien an diesem Aspekt interessiert, stützt die Studie nicht. Vielmehr sind es vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die es als wichtig erachten, den Quellcode modifizieren zu können. Die Analysten sehen in diesem Kontext eine Generation von IT-Verantwortlichen heranwachsen, die gewillt sei, die Funktionen klassischer Standardsoftware zu erweitern und diese besser an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Ob dies inhouse oder über Outsourcing-Verträge geschehe, stehe auf einem anderen Blatt. In jedem Fall sollten die Anbieter die Zielgruppe der kleinen und mittleren Betriebe ernst nehmen. Deren Wunsch nach maßgeschneiderten Lösungen lasse sich mit Open-Source-Software zu wesentlich niedrigeren Kosten erfüllen.

Zu dieser Einschätzung passen auch andere häufig genannte Gründe für den Einsatz quelloffener Systeme. Dazu gehören etwa die "offene Natur von Software", die Verfügbarkeit von Support und Know-how oder der "Zugang zu einem innovativen Entwicklernetz". Anders als erwartet spielen Aspekte wie SOA (Service-orientierte Architektur) oder SaaS (Software as a Service) bei Investitionsentscheidungen für Open Source nur eine untergeordnete Rolle.

Gründe gegen Open Source

Den tatsächlichen oder vermeintlichen Vorzügen steht eine ganze Reihe von Hindernissen für die Verbreitung von Open Source gegenüber. An erster Stelle rangieren mit 28 Prozent der Nennungen unreife Techniken, unvollständige Lösungen und mögliche Konflikte zwischen unterschiedlichen Techniken. Daraus lässt sich schließen, dass Anwenderunternehmen in den derzeit verfügbaren Open-Source-Lösungen noch eine Menge Raum für Verbesserungen sehen. Sorgen bereitet vielen zudem das Thema Sicherheit in Zusammenhang mit der Open-Source-Community. Mit 17 Prozent am dritthäufigsten genannt wurden Bedenken hinsichtlich des Supports der Systeme. Auch Lizenzfragen und damit zusammenhängende Risiken stehen einem Open-Source-Einsatz oft im Weg. Saugatuck geht davon aus, dass ein Großteil der Hindernisse bis zum Jahr 2010 ausgeräumt ist. Dies gelte vor allem für die Aspekte Sicherheit, Technik/Funktionalität und Reifegrad. Lizenzfragen dagegen dürften die Unternehmen noch länger beschäftigen.

Master Brands entstehen

Im Zuge der Veränderungen durch Open-Source-Software halten IT-Verantwortliche verstärkt Ausschau nach so genannten Master Brands, lautet eine weitere Prognose. Saugatuck versteht darunter Hersteller und Serviceanbieter, die ein bestimmtes Marktsegment dominieren. Sie sollen Anwenderunternehmen die Open-Source-Software und komplette Lösungen zur Verfügung stellen. Auf quelloffene Software spezialisierte Master Brands wie Red Hat oder MySQL gibt es derzeit nur wenige, führen die Studienautoren aus. Im Vergleich zu den traditionellen Master Brands fehle es ihnen an Reichweite. Die etablierten "IT Master Brands", unter ihnen HP, IBM, Oracle, Novell und sogar Microsoft, investierten zwar viel in die Entwicklung und Vermarktung quelloffener Software. Allerdings habe sich noch keiner dieser Anbieter zu einem dominierenden Player im Open-Source-Markt gemausert.

Andere Masterbrands sehen die Analysten im SaaS-Segment entstehen. Zu ihnen zählen beispielweise Salesforce.com oder SugarCRM. Auch sie bauen immer häufiger quelloffene Komponenten in ihre Plattformen ein, haben aber noch keine überragende Marktstellung erreicht. Dass sich im Open-Source-Umfeld über kurz oder lang weitere Masterbrands etablieren, hält Saugatuck für ausgemacht. Wegen der reduzierten Kosten und Entwicklungszeiten winke den Anbietern ein profitables Geschäft, das sich kaum einer entgehen lassen wolle.

Fazit

Open-Source-Software ist bereits in mehr als 80 Prozent der Unternehmen weltweit im Einsatz, resümieren die Analysten. Für IT-Zentren und in der Anwendungsentwicklung offeriere der Lamp-Stack - Linux, Apache, MySQL und Perl/PHP - eine kostengünstige und verlässliche Alternative zu kommerziellen Produkten. Ähnliches entwickle sich im Bereich der Enterprise-Anwendungen, wenn quelloffene Systeme dazu genutzt werden, um SaaS-Lösungen zu etablieren. Beispiele dafür liefern SugarCRM, OpenBravo, JasperSoft oder OpSource. Hinzu kommt eine Reihe populärer Desktop-Anwendungen wie Firefox oder OpenOffice.org.

In der Summe bildeten diese Systeme ein breites und wettbewerbsfähiges Angebot, das die traditionellen IT-Anbieter erheblich unter Druck setze. Doch damit nicht genug: Anwenderunternehmen bauten immer öfter Open-Source-Komponenten in ihre hergebrachten Systeme ein. Das Gleiche erwarteten sie von ihren Lieferanten. Ziehen diese nicht mit, verlieren sie Marktanteile, prognostiziert Saugatuck. Vor diesem Hintergrund sei es nur eine Frage der Zeit, bis sich Open-Source-Komponenten in sämtlichen kommerziellen Softwareangeboten wiederfänden.