Anwender wollen ihre Investitionen schützen

Die Zukunft von MS-DOS liegt in OS/2-, Unix- oder NT-Boxen

20.11.1992

In kaum ein Betriebssystem wurden so viele Software-Investitionen gesteckt, wie in Microsofts US-DOS. Um so ängstlicher reagieren viele eingefleischte DOS-Anwender, wenn sie die Marktentwicklungen in Richtung grafischer Benutzeroberfläche verfolgen. Hans Kamutzki* sieht dennosch Perspektiven für den PC-Oldie.

"Microsoft hat in der Vergangenheit die Entwicklung des Standard-Betriebssystems für PCs, MS-DOS, mit allen Kräften vorangetrieben und wird dies auch in Zukunft tun. MS-DOS lives!" Dieses Bekenntnis war von Lothar Hänle, dem Business Unit Manager Personal Systems bei Microsoft Deutschland, vor wenigen Tagen zu hören. Gleichwohl ist das Augenmerk der Branche mehr und mehr auf Windows gerichtet, und generische Applikationen für DOS werden immer seltener.

Heute sind etwa 60 Millionen PCs mit MS-DOS ausgestattet, und die, jährliche Zuwachsrate wird auf zirka 18 Millionen Einheiten geschätzt. In über zehn Jahren Entwicklungsgeschichte hat DOS, vielleicht auch wegen des Mangels an ernsthaften Alternativen, eine beeindruckende Standfestigkeit im Markt bewiesen, obwohl es seit der Einführung des AT 1984 den technischen Möglichkeiten der Hardware immer weiter

hinterherhinkte. Das 1981 noch aus 4000 Zeilen Assembler bestehende Betriebssystem für die Intel 8086 CPU hat sich dennoch nach und nach den Anforderungen der Anwender angepaßt. Einzig und allein die berüchtigte 640-KB-Barriere konnte DOS nicht durchbrechen, da es auch auf moderneren Prozessorgenerationen wie Intel 286, 386 oder 486 von den Möglichkeiten der Protected-Mode-Adressierung keinen Gebrauch macht. Die Netzwerkfähigkeit als Client wurde 1985 mit der Version 3.1 implementiert, DOS 3.3 unterstützte mehrere Festplattenpartitionen, und mit der Version 4.01 ließen sich erstmals Harddisks über 32 MB verwalten. Heute steht mit MS-DOS 5.0 eine stabile Plattform zur Verfügung, die die Betriebssystem-Basis für viele Millionen Anwendungen, nicht zuletzt für Windows, darstellt.

Neben MS-DOS von Microsoft sind eine Reihe von OEM-Versionen erschienen, und Digital Research hat mit DR-DOS erstmals ein echtes Konkurrenzprodukt auf den Markt gebracht. Der Erfolg war angesichts der bis dato bestehenden Dominanz von Microsoft beträchtlich. Darüber hinaus finden sich in OS/2, Windows und vielen PC-Unix-Versionen mehr oder weniger funktionierende DOS-Boxen. Man kann also guten Gewissens behaupten: Bis heute führte an DOS kein Weg vorbei.

DOS-Version 6.0 soll Mitte 1993 kommen

Im Zuge der immer schneller voranschreitenden Entwicklung der Hardware jedoch spricht die Branche heute eigentlich nur noch von 32-Bit-Systemen, von Multitasking, Networking und Groupware. Kann DOS da noch mithalten? Wird es diese Features bei einer neuen DOS-Version geben?

Viele Anwender warten eigentlich schon seit dem Erscheinen der Version 5.0 auf die große technische Innovation, die endlich die Möglichkeiten der heute gängigen Hardware ausschöpft. Doch Microsoft hielt sich seit dem immensen Erfolg von Windows mit den Ankündigungen für MS-DOS zurück. Gegen Mitte des nächsten Jahres, so die offizielle Auskunft, wird nun die Version MS-DOS 6.0 erscheinen.

Ähnlich wie die Konkurrenz von Digital Research, die ihre Version DR-DOS 5.0 durch zusätzliche Utilities erweiterte, wird MS-DOS 6.0 teilweise modifizierte und angepaßte Addon-Komponenten der Hersteller Central Point (PC-Tools), Symantec (Norton Utilities) und Mitan Software (Double Disk) enthalten. Dazu gehören werden Virenschutzprogramme, eine Backup-Utility mit deutlich besserer Performance als das antiquierte "Backup", ein Disk Defragmenter und ein Kompressionsprogramm der zweiten Generation mit Double Disk, das eine komfortable Verwaltung gepackter Daten ermöglicht. Auch das leidige Problem der Systemoptimierung wird mit Version 6.0 der

Vergangenheit angehören. Das zeitraubende Herumprobieren beim Ausnutzen freier Speicherbereiche oberhalb von 640 KB ersetzt eine automatische Konfigurations-Utility. Zusätzlich ist in MS-DOS 6.0 eine erweiterte System-Schnittstelle implementiert, die Windows den Zugriff auf Systemresourcen erleichtern wird (sic!).

Die von vielen erwartete und erhoffte Revolution bringt MS-DOS 6.0 offensichtlich jedoch nicht, auch wenn der Fortschritt unverkennbar ist. Dazu Lothar Hänle: "Momentan noch nicht vom Markt nachgefragt beziehungsweise noch nicht optimal einsetzbar ist die 32-Bit-Architektur im Massenmarkt der PC-Anwender, weshalb MS-DOS 6 nicht auf 32 Bit aufgebaut sein wird. Das Fehlen von entsprechenden Anwendungen macht ein Betriebssystem mit einer 32 Bit-Architektur zum unnötigen Ballast für eine optimale Leistung unter den jetzt gegebenen Umständen und ist somit nicht kundenorientiert".

Trotzdem: MS-DOS allein kann in seiner heutigen Form und auch in der 6.0-Version die Ansprüche an ein modernes Betriebssystem, vor allem im Corporate Environment, nicht erfüllen. Es ist nach wie vor ein Single-Tasking-Betriebssystem, das durch den Betrieb im Real-Mode die Begrenzung auf 640 KB Hauptspeicher nicht überwinden kann. Die heute zur Verfügung stehende Hardware läßt sich so nur zu einem Bruchteil ausnutzen. Die große Anzahl erhältlicher DOS-Extender - zum Beispiel Compiler zur Erzeugung von Programmen, die im Protected Mode laufen wie Qemm oder 386MAX - sprechen hier eine deutliche Sprache. Doch gibt es überhaupt Alternativen?

IBM bietet innerhalb von OS/2 2.0 eine exzellente Unterstützung für DOS-Applikationen an und ist seiner Marketing-Ankündigung, OS/2 sei "ein besseres DOS als DOS", sehr nahe gekommen. Für viele Anwender jedoch ist OS/2 2.0 zu ressourcenintensiv und scheidet auch auf älteren PC-Systemen wegen der Notwendigkeit eines 386er Prozessors aus. Digital Research hält sich mit Auskünften über die zukünftige Entwicklung vornehm zurück, und Microsoft selbst wird nicht mehr in die Entwicklung neuer, großer DOS-Anwendungen investieren, sondern hat sich auf die Produktpflege zurückgezogen. Von den für 1993 prognostizierten 2o Prozent Umsatzwachstum soll der wesentliche Anteil von den Anwendungsprogrammen kommen, und die laufen unter Windows. Es stellt sich die Frage: Wie geht es überhaupt weiter mit DOS? Wird DOS nur noch eine ungeliebte Unterlage für Windows sein?

Um das beurteilen zu können, muß man sich Microsofts Windows-Strategie genauer ansehen. Im Moment stellt sich die Windows-Welt wie folgt dar. Am unteren Ende der Pyramide findet sich das auf DOS basierende Windows 3.x mit weltweit rund 14 Millionen Installationen. Über 50 Prozent der heute verkauften PCs werden mit Windows und somit natürlich auch mit DOS ausgeliefert. Windows 3.x nutzt die Fähigkeiten der Intel-Architekturen ab 386 im "Extended Mode", kann mehr als 640 KB Hauptspeicher verwalten, ist Muftitasking-fähig - auch wenn es sich hier nur um ein "non-preemptive, cooperative multitasking" handelt - und bietet dem Anwender die erfolgreichste grafische Benutzeroberfläche auf dem PC.

Weltweit über 5200 Windows-Anwendungen

Windows 3.x dringt als Front end in professionelle

Einsatzbereiche vor und ist die Basis für viele moderne Entwicklungen im Multimediabereich. Weltweit sind bereits über 5200 Applikationen auf dem Markt, und der Umsatz mit Windows-Programmen hat den der DOS-Applikationen überflügelt. Auch MS-DOS 6.0 wird interessanterweise Windows-spezifische Komponenten enthalten. Eine Reihe der Utilities werden in einer Windows- und in einer DOS-Version Bestandteil des Softwarepakets sein.

Auf der zweiten Stufe der Pyramide findet sich Windows for Workgroups (WfW), eine Peer-to-Peer-Networking-Erweiterung für Windows 3.1, die für bislang nicht Vernetzte Arbeitsplatzrechner den Zugang zur LAN-Welt ermöglicht. File- und Printer-Sharing mit individueller Ressourcenzuordnung gehören ebenso zur Funktionalität wie elektronische Postdienste (E-Mail) und ein Terminkalender für die Koordination der Aufgaben einer Arbeitsgruppe (Schedule). Auch WfW setzt auf DOS auf.

Erst mit dem über mehrere Hardwareplattformen portablen Windows NT, einer angekündigten modernen 32-Bit-Entwicklung, wird das Basis-Betriebssystem DOS obsolet. Windows NT bietet neben der Windows API (WIN32) und einem Posix- sowie einem OS/2-Subsystem die gewohnte DOS-Box. Sogar bei den Versionen für RISC-Prozessoren (Mips R3000/R4000 und DEC Alpha) sollen DOS-Programme binärkompatibel laufen. Der nicht ganz unerhebliche Aufwand für eine PC-DOS-Software-Emulation auf diesen Plattformen zeigt, daß man hier bestrebt ist, DOS, oder besser DOS-Applikationen, nicht sterben zu lassen. Windows NT wird durch den LAN Manager NT zum oberen Ende der Windows-Plattform und stellt in dieser Konfiguration die Basis für High-end-Networking- und Datenbankapptikationen dar.

NT als Konkurrenz zu DOS/Windows 3.x

Das im Moment noch eher als Server-Betriebssystem hauptsächlich gegen Unix positionierte NT wird wie alle früheren Server-Systeme mit steigender Hardwareleistung auf dem Desktop PC zu finden sein. Dort dürfte es zumindest bei Power-Usern dem Gespann DOS-[Windows 3.x Konkurrenz machen. Entscheidend für die Weiterentwicklung von DOS wird also nicht zuletzt der Markterfolg von Windows NT sein. Da sich dessen Auslieferung voraussichtlich bis zum zweiten Quartal 1993 verschieben wird, dürfte es jedoch nicht allzuschnell zu diesem Microsoft-internen Wettbewerb kommen.

Verbindendes Glied zwischen DOS/Windows 3.x und den 32-Bit-NT-Versionen stellt im Moment das WIN32S API dar. 32Bit-Programme, die sich an die hier spezifizierten Funktionsaufrufe halten, werden sowohl unter dem auf DOS basierenden Windows 3.x als auch unter Windows NT binärkompatibel ablaufen. Der Zusatz "S" steht für "Subset", denn eine Reihe von Funktionen, die NT aufgrund seiner Architektur bietet wie Preemptive Multitasking und Multithreading, kann Windows 3.x nicht unterstützen.

Der Zug fährt in Richtung "Cairo"

Das bedeutet jedoch nicht grundsätzlich das Aus für anspruchsvolle Applikationen unter DOS/Windows 3.x. Microsoft arbeitet an einer erweiterten Version dieser API, die wahrscheinlich den schönen Namen WIN32S Plus tragen wird. Damit wäre dann eine Art NT-Light geboren, das auf DOS aufsetzen wird. Insider erwarten diese Windows-Variante 1994.

Nicht ganz unerheblich ist in dickem Zusammenhang die Weiterentwicklung der Windows-Familie als Ganzes. Objektorientierte Technologien werden den Softwaremarkt der Zukunft beherrschen. Programmiersprachen wie C + + und Smalltalk sind erst der Anfang dieser Entwicklung. Mittelfristig werden die Programmiersprachen und Anwendungen Anforderungen an die Betriebssysteme stellen, denen die heutigen Implementierungen nicht mehr genügen können. IBM hat mit dem System Object Model (SOM) bei OS/2 2.0 darauf bereits reagiert. Auch Windows NT ist strukturell, zumindest im Executive, bereits objektorientiert, und das New Technology File System (NTFS) offenbart bei genauer Betrachtung alle Voraussetzungen für die Implementierung eines echten objektorientierten File-Systems.

Auch auf der GUI-Seite sind die Dinge in Bewegung geraten. Nach der Präsentation der OS/2 Workplace Shell, über deren Funktionalität man gewiß geteilter Meinung sein kann, wurden zumindest in Fachkreisen schnell Fragen nach einer neuen Windows-Benutzeroberfläche laut.

Daß Microsoft die erfolgreichste grafische Benutzeroberfläche (GUI) der Welt nicht ohne Grund völlig verändert, ist verständlich. Dennoch sind mit der Einführung von OLE die Weichen in die richtige Richtung gestellt worden.

Der Zug fährt in Richtung "Cairo", einer Sammlung von objektorientierten Systemerweiterungen und Technologien, die in zukünftige Windows-Versionen einfließen, sollen, und zwar sowohl in Windows NT als auch in DOS/Windows. Ob das darunterliegende DOS noch das Betriebssystem sein wird, das wir heute kennen, oder ob es überhaupt noch DOS heißen wird, kann bezweifelt werden.

Mit Sicherheit wird aber die auf MS-DOS 6.0 folgende Version auf eine 32-Bit-Architektur aufbauen. Dieses DOS wird bestimmt nicht vor 1994 herauskommen; der konkrete Zeitpunkt dürfte mit dem Erscheinen erster Cairo-Komponenten zusammenfallen. Angesichts der in der Branche üblichen Ankündigungspraxis werden wir auf all diese Neuerungen möglicherweise noch etwas länger warten müssen.

*Hans Kamutzki ist Chairman Windows User Group Deutschland bei der GF Microdoc Computersysteme GmbH.