Interview Jürgen Kunz, Oracle

Die Zukunft gehört den integrierten Systemen

18.07.2013
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Die Private Cloud hat sich etabliert

CW: Das ‚c‘ in Oracles kürzlich vorgestelltem neuen Datenbank-Release 12c steht für Cloud Computing. Worauf konzentrieren aus Ihrer Sicht die Anwender ihre Aktivitäten - sind das eher Private-Cloud-Initiativen oder reicht es auch schon weiter in die Public-Cloud?

Kunz. Die Private Cloud hat sich mittlerweile etabliert. Da wird vielleicht nicht mehr viel darüber geredet. Denn wenn man sich die großen Unternehmen ansieht, dann ist Private Cloud nichts, was erst seit gestern gemacht wird. Vielleicht wurde es anders genannt, Shared Service Center oder so ähnlich, aber die dazu gehörige Infrastruktur-Plattform ist eine Private-Cloud-Plattform. Das Thema Software as a Service (SaaS) stößt derzeit auf wachsendes Interesse draußen im Markt.

Beispielsweise wächst das Thema Human Capital Management (HCM) im Cloud-Umfeld derzeit massiv. Der Grund liegt darin, dass sich ein Private Cloud Service an dieser Stelle wunderbar anbietet. Den Unternehmen genügt eine standardisierte Lösung, es gibt in der Regel wenig Anpassungsbedarf. Damit stellt sich automatisch die Frage, ob man so eine Standardfunktionalität selbst betreiben oder nicht besser aus einer Cloud beziehen sollte. Wo es sicher in nächster Zeit noch spannend werden wird, sind Plattform- und Infrastruktur-Themen.

CW: Hier ist natürlich die Konkurrenz eine ganz andere.

Kunz: Gar nicht mal von der Konkurrenz her, sondern grundsätzlich von der Frage, ob das als Geschäftsmodell für die Unternehmen attraktiv ist. Das ist sicher für viele Entwickler interessant. Wenn man sieht, was an dieser Stelle in den zurückliegenden Monaten im Markt vorgestellt wurde, zeigt das, welche Innovationskraft dahintersteckt. Viele Entwickler, beispielsweise von Apps mit 3D-Techniken, hätten sich die dafür benötigten Entwicklungsressourcen in der Vergangenheit gar nicht leisten können. Heute lassen sich die dafür nötigen Plattformkapazitäten einfach temporär und relativ günstig in einer Cloud mieten. Das macht überhaupt erst die Entwicklung von verschiedensten Produkten möglich.

Die Idee war bei vielen Startups wahrscheinlich schon lange da, aber schlichtweg finanziell nicht umsetzbar. Der Aufbau eigener Entwicklungsplattformen hat früher einfach zu viel gekostet. Da hilft heute natürlich so ein PaaS-Angebot. Ob solche Angebote allerdings in großen Anwenderunternehmen nachgefragt werden, muss sich erst noch zeigen. An dieser Stelle kommen auch andere Themen mit ins Spiel wie Data Security. Momentan sind aus meiner Sicht Überlegungen, flexibel Kapazitäten aus der Cloud zu buchen und dann wieder abzuschalten, wenn man sie nicht mehr braucht, in den großen Anwenderunternehmen noch nicht so ausgeprägt.

CW: Wie beurteilen Sie das Thema IaaS - ist das ein valides Geschäftsmodell?

Kunz: Ich denke schon, dass es eine Chance haben kann. Aber momentan gelten an dieser Stelle aus meiner Sicht die gleichen Voraussetzungen wie beim Plattformaspekt. Man muss sich überlegen, ob es eine kritische Masse dafür gibt, und was geeignete Infrastrukturumgebungen sein könnten, die sich für ein entsprechendes Cloud-Offering eignen. Da steckt man, wenn man das mit dem Thema SaaS vergleicht, noch in den Anfängen.

CW: Andere Unternehmen wie Amazon und Microsoft sind an dieser Stelle bereits sehr aktiv. Verpasst Oracle da nicht den Anschluss?

Kunz: Nein, es ist ja nicht so, dass wir diese Angebote nicht haben. Gerade im Silicon Valley ist das bei vielen Startups eine durchaus gefragte Plattform. Der deutsche Markt ist allerdings eine andere Sache.

CW: Warum stellt sich für Sie in Deutschland die Situation anders dar?

Kunz: Das liegt einfach an der Menge der Innovationsthemen. Das Angebot muss natürlich auch angenommen und genutzt werden. Hier bewegt man sich in Deutschland meist noch in einem etwas konservativeren Modell als es vielleicht in den USA der Fall ist. Dort ist eher die Flexibilität das Kernkriterium. In Deutschland wird mehr über Sicherheit diskutiert. Das sind berechtigte Fragen.

CW: Betreibt Oracle Rechenzentren in Deutschland beziehungsweise Europa?

Kunz: In Deutschland nicht, aber wir haben zwei Rechenzentren in Schottland und bauen momentan ein weiteres in Amsterdam auf.

Kunden verlangen Flexibilität in der Cloud

CW: Gerade die klassischen Softwareanbieter, die im Lizenz-Wartungsgeschäft groß geworden sind, tun sich oft schwer bei der Umstellung auf SaaS-Produkte. Welche Rolle wird dieser Zweig in Ihrem künftigen Applikationsgeschäft spielen?

Kunz: Eine ganz wichtige Rolle. Das sieht man auch an den Akquisitionen, die Oracle zuletzt getätigt hat. In den vergangenen beiden Jahren hat es sich bei fast allen Zukäufen um Ergänzungen unseres Cloud-Umfelds gehandelt. Das ist ein Beleg dafür, dass wir diesen Bereich nicht nur ernst nehmen, sondern dass dieser absolute Priorität in unserer Strategie genießt. Unser Ansatz ist, den Kunden die Wahl zu lassen, ob sie ihre Lösungen on-premise betreiben oder aus der Cloud beziehen wollen.

CW: Was ist denn für die Kunden entscheidend?

Kunz: Wenn es um das Cloud-Angebot geht, ist es besonders wichtig, auch über die Architektur zu sprechen. Es geht hier um Interoperabilität. Schließlich ist es für die Kunden entscheidend, den Cloud-Anbieter auch wechseln zu können, beziehungsweise einen Cloud-Service wieder zurück in eine On-Premise-Umgebung im eigenen Unternehmen holen zu können. Wenn Sie das von der Architektur her nicht bieten können, dann meinen Sie es nicht ernst mit der Cloud. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Es dreht sich an dieser Stelle sehr stark um eine Architekturdiskussion. Es geht nicht nur um die Funktionen, die man in der Cloud anbietet. Man muss dem Kunden auch Flexibilität bieten. Oder er ist verhaftet, wenn er sich einmal für einen bestimmten Cloud-Service entscheidet.

CW: Es ist sicher nicht ganz einfach, die Daten aus einer Amazon-Cloud wieder herauszubekommen. Aber geht denn das bei einer Oracle-Cloud wirklich einfacher?

Kunz: Es geht nicht nur um den Datentransfer, sondern es geht vor allem um die Applikationen. Wenn Sie eine komplette CRM- oder HCM-Umgebung in der Cloud auf spezifische Anforderungen hin optimieren, dann geht es nicht nur darum, Daten von links nach rechts zu schaufeln. Hier ist schließlich eine komplette Applikationswelt in der Cloud entstanden. Die entscheidende Frage ist doch: Kann ich morgen diese Applikationswelt mit sämtlichen Daten aus der Cloud herauszunehmen und wieder fest verdrahtet in meine On-Premise-Umgebung im Unternehmen zurück integrieren.

CW: Kann man das denn bei Oracle?

Kunz: Ja. Das ist genau der Unterschied und deshalb ist es auch eine Architekturfrage.

CW: Ist denn der Bedarf in dieser Hinsicht wirklich da? Der Reiz im SaaS-Umfeld liegt doch eher darin, sich schnell einen Service zu buchen, den man aktuell oder temporär braucht, und nicht großartig ganze Landschaften hin- und herzuschieben.

Kunz: CRM-Leistungen, die große Unternehmen bei uns anfragen, sind nichts, was die mal schnell temporär machen. Wenn ein Unternehmen heute das komplette Key-Account-Management in die Cloud verlagert, dann ist das eine strategische Entscheidung. Es geht darum, dass die Systeme wachsen und die Unternehmen zusätzliche Funktionen benötigen. Die Aufgabe, die dafür notwendige Infrastruktur aufzubauen und zu betreiben, liegt bei Oracle. Aber natürlich wollen diese Unternehmen die Option haben, das ganze Thema wieder aus der Cloud herauszukriegen. Nicht umsonst hat die Entwicklung von Fusion Applications seine Zeit gebraucht. Das darf man nicht unterschätzen. Es war von Anfang an die oberste Prämisse, dass die Fusion Applications Cloud- und On-Premise-fähig sind.

CW: Die Adaption der Fusion Applications ist eher schleppend. Das Konzept scheint bei den Kunden noch nicht so recht anzukommen.

Kunz: Man muss sich genau ansehen, welche großen Anwendungssysteme in der Cloud betrieben werden. Momentan findet viel in Private-Cloud-Umgebungen statt. Man darf an dieser Stelle nicht nur auf die Zahlen zu Public-Cloud-Umgebungen achten.

Viele Kunden verfolgen einen Best-of-Breed-Ansatz

CW: Am Anfang hieß es, es wird eine große neue Suite geben, heute sieht es eher nach einzelnen Funktionsmodulen aus, die sich miteinander koppeln lassen. In welche Richtung zielt denn nun ihre Fusion-Applications-Strategie?

Kunz: Der Suite-Ansatz besteht nach wie vor. Allerdings besteht diese aus sehr vielen Einzelmodulen, die vollständig miteinander integriert sind. Das ist auch notwendig. Man kann die ganze Funktionalität schließlich nicht in einem Softwaremoloch zusammenpacken. Weil viele Unternehmen nach wie vor einen Best-of-Breed-Ansatz verfolgen, ist es unser Ziel, diesem auch gerecht zu werden. Deshalb muss man so eine Suite auch aufteilen: Wir bieten die Komponenten einzeln an, die sich in eine bestehende Infrastruktur integrieren lassen, gleichzeitig lassen sich diese aber auch als komplette Suite beziehen. Die Überschriften sind aber die gleichen geblieben: Das ist CRM, Supply Chain, Procurement, HCM, HR. Dahinter stecken weit über 100 Einzelmodule. Kein Kunde muss eine komplette Suite aus verschiedensten Modulen wählen, die er womöglich gar nicht braucht.

CW: Ist die Suite denn schon komplett?

Kunz: Es gibt weit über 100 Module. Aber das Ganze ist eine permanente Weiterentwicklung. Das haben wir uns auch so vorgenommen. Dabei darf man allerdings die Entwicklungsaufwände nicht unterschätzen. Wir haben den Kunden, die von den akquirierten Portfolios kommen, schließlich Investitionssicherheit versprochen. Das gilt nach wie vor. Wir haben vor ein paar Jahren das Applications-unlimited-Programm vorgestellt. Das heißt, ein Siebel-Kunde, der in seiner Softwarewelt bleiben möchte, erhält nicht nur Support, sondern dessen Module werden auch weiterentwickelt. Parallel entwickeln wir Fusion. Das ist schon ein gewisser Kraftakt. Aber das können wir auch, schließlich haben wir 35.000 Entwickler, die jeden Tag Hard- und Software entwickeln.

CW: Stecken Sie an dieser Stelle nicht in einem gewissen Dilemma? Wenn die alten Applikationen unbefristet weiter gepflegt und entwickelt werden - warum sollten die Anwender auf Fusion wechseln?

Kunz: Das wird aber irgendwann geschehen. Wir wollen an dieser Stelle nur keinen künstlichen Druck aufbauen. Kunden sollen nicht wechseln müssen, nur weil wir die Entwicklung einstellen. Sie können den richtigen Zeitpunkt selbst wählen, wenn sich beispielsweise Geschäftsprozesse verändern und sich in der Folge die Architekturfrage stellt. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon an einem anderen Beispiel gesehen. Wir hatten von Digital die Datenbank RDB übernommen. Die relativ große installierte Basis ist dann über die Jahre größtenteils in die Oracle-Welt hinüber gewechselt.

Aber wir haben heute noch zwischen 50 und 100 Kunden, die RDB nutzen. Das ist auch nicht schlimm. Zwar sind das Legacy-Umgebungen, aber wir pflegen diese nach wie vor. Sicher sind das limitierte Ressourcen in der Entwicklung. Das tut uns jedoch nicht weh. Aber natürlich hat das Gros der Kunden gewechselt. Und so wird es auch im Umfeld von Fusion in den kommenden Jahren passieren - wenn die Fusion-Roadmap von den Kunden verstanden ist und der Zeitpunkt der richtige ist. Aber warum da Druck aufbauen? Das wird sich zwangsläufig im Laufe der Jahre ergeben.

CW: Sie lassen also sich und den Kunden Zeit?

Kunz: Ja, das wird im Markt auch honoriert. In solchen Situationen, wenn Veränderungen anstehen, ist es schließlich immer auch eine Option, sich links und rechts im Markt umzusehen. Hier erlebe ich sehr positive Reaktionen von unseren Kunden. Sie schätzen es sehr, dass wir zu unserem Wort stehen. Gerade die Flexibilität und Offenheit, den Zeitpunkt selbst wählen zu können, kommen gut an. Wenn dann ein Wechsel ansteht, ist das Vertrauen da, so dass die Kunden auch in der Oracle-Welt bleiben. (mhr)

Teaserbild: Team Oracle