Interview Jürgen Kunz, Oracle

Die Zukunft gehört den integrierten Systemen

18.07.2013
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Oracles Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Kunz erläutert im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, wie Anwender auf die zunehmende Komplexität in ihrer IT reagieren können und welche Rolle die Themen wie Big Data und die Cloud künftig spielen werden.

CW: Das vierte Quartal ihres letzten Geschäftsjahres 2013, das zum 31. Mai endete, enttäuschte die Analysten und Anleger. Sind die Geschäfte so schlecht gelaufen?

Kunz: Ob wir mit einem Prozent Wachstum die Erwartungen der Analysten erfüllt haben, steht auf einem anderen Blatt. Wir sind damit am unteren Ende der Erwartungen geblieben, das ist richtig. Wenn man die Rahmenbedingungen, insbesondere in einigen Staaten Europas sieht, ist es nicht verwunderlich, dass dort die Investitionen rückläufig sind. Vor dem Hintergrund bin ich sehr zufrieden. Wir konnten erneut in allen wichtigen Segmenten wachsen, insbesondere - und das spricht für die Strategie von Oracle - in den Bereichen Engineered Systems und Cloud, aber auch bei klassischen Software-Lizenzen. Im Hardware-Geschäft haben wir allerdings immer noch eine spezielle Situation.

Oracles Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Kunz erläutert im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, wie Anwender auf die zunehmende Komplexität in ihrer IT reagieren können und welche Rolle die Themen wie Big Data und die Cloud künftig spielen werden.
Oracles Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Kunz erläutert im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, wie Anwender auf die zunehmende Komplexität in ihrer IT reagieren können und welche Rolle die Themen wie Big Data und die Cloud künftig spielen werden.
Foto: Oracle

CW: Was meinen Sie, wenn Sie von einer speziellen Situation im Hardware-Bereich sprechen?

Kunz: Wir befinden uns momentan auf einer Gratwanderung. Da sind auf der einen Seite die Engineered Systems, was ein komplett neues Konzept ist. An dieser Stelle sind wir mehr als zufrieden. Auf der anderen Seite haben wir das ‚normale‘ Portfolio wie die M-Series oder T-Series, die auch weiterentwickelt werden wollen. Das ist jetzt passiert und ich denke, mit dem neuen Prozessor T5 wird es neuen Schwung geben. Hier haben wir einen neuen Meilenstein gesetzt. Die Performance-Werte sind sicher beeindruckend. Das gilt es, jetzt aber auch erst einmal im Markt zu positionieren. Es sind schließlich komplett neue Maschinen und es dauert einfach, bis die entsprechenden Abschlüsse da sind.

CW: Rechnet sich die Sparc-Entwicklung denn noch? Wie Sie selbst sagten, scheint der Aufwand ja nicht unerheblich?

Kunz: Wir spüren aus unserer Kundenbasis heraus nach wie vor eine hohe Nachfrage nach diesen Systemen.

CW: Damit meinen Sie ja wohl Ersatzgeschäft. Gibt es denn auch Neukunden in diesem Segment?

Kunz: Ja absolut - mit den SPARC-T5-Servern bieten wir so ein attraktives Preis-Performance-Verhältnis, dass Kunden durchaus überlegen, von x86 zurück zu migrieren. Außerdem gibt es Kunden, die ihre Plattformen erweitern und ausbauen. Ich höre jedenfalls keine kritischen Stimmen, die behaupten, diese Plattform sei irgendwann einmal obsolet - im Gegenteil.

Die Zukunft liegt in integrierten vertikalisierten Systemen

CW: Welchen Stellenwert hat für Oracle das Geschäft mit den x86-Standard-Servern?

Kunz: Lassen Sie mich hier ein bisschen weiter ausholen. Viele unserer Kunden haben in den vergangenen Jahren einen Best-of-Breed-Ansatz verfolgt - sowohl auf der Applikations- wie auf der Infrastrukturebene. An dieser Stelle hat sich jedoch eine hohe Komplexität entwickelt. Die ließ sich zwar teilweise mit Hilfe von Virtualisierung auflösen. Aber das geht nur bis zu einem gewissen Grad. In gewisser Weise sind diese Plattformen, flapsig gesagt, ausgelutscht und skalieren nicht mehr.

Was sind nun die Herausforderungen, diese Komplexität zu reduzieren? Das sind zum Beispiel die wachsenden Datenmengen im Zuge von Big Data. Hier wächst der Druck, sich von diesem horizontalen in einen vertikalen Stack zu begeben. Wenn man das auf eine technische Ebene herunterbricht, sind das integrierte Engineered Systems. Das ist die Zukunft.

Sicher gibt es auch Potenzial für Up- und Cross-Selling in den horizontalen Landschaften. Die werden schließlich nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden. Aber die Zukunft ist sicher in integrierten vertikalisierten Systemen zu sehen. Das sind andere Plattformen - das ist nicht x86.

CW: Mit diesen integrierten Systemen begeben sich die Anwender aber auch in eine gewisse Abhängigkeit von einem Hersteller?

Kunz: Ich habe diesen Einwand ausgiebig mit CIOs diskutiert. Deren Fazit lautet: Am Ende des Tages bin ich von allem möglichen abhängig. Im Grunde sind ganz andere Ziele ausschlaggebend, wie zum Beispiel die Komplexität in den Griff zu bekommen und mehr Freiraum für Innovationen zu haben - dann gehen die Verantwortlichen gerne diese Abhängigkeit ein. Eigentlich ist diese Abhängigkeit auch gar nicht gegeben. Wenn Sie sich in einer offenen Architektur bewegen, wie das bei Oracle der Fall ist, gibt es jederzeit die Möglichkeit, Konstellationen zu ändern.

85 Prozent der IT-Budgets fließen in den Betrieb

CW: Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Herausforderungen für die Anwenderunternehmen?

Kunz: An der Reduktion der Komplexität zu arbeiten, und auf der anderen Seite genug Freiraum zu schaffen, um innovative Geschäftsmodelle und Veränderungen in den Geschäftsprozessen zu begleiten. Es ist nach wie vor erschreckend, wie die IT-Budgets investiert werden: Die Zahlen einer Gartner-Studie sind seit sieben oder acht Jahren im Grunde unverändert. Über 85 Prozent der Budgets fließen in den Unterhalt und die Pflege der bestehenden Systeme und nur etwa 15 Prozent in neue Projekte. Diese Systeme sind teilweise Jahrzehnte alt. Es ist Aufgabe von beiden Seiten, Industrie und Kunden, sicherzustellen, dass die Gelder umverteilt werden und der Betrieb so effizient und schlank wie möglich funktioniert. Das geht nur, wenn man sich in diesen integrierten Stack hineinbewegt. Das wird sicher nicht von einem Tag auf den anderen passieren, aber schrittweise.

CW: Viele andere Anbieter haben diese Idee auch aufgegriffen und bauen integrierte Systeme …

Kunz: Das bestätigt uns natürlich, weil wir damit angefangen haben.

CW: Moment - Cisco hat 2009 mit EMC und VMware die ersten Komplettsysteme herausgebracht, und dann kamen erst die großen IT-Anbieter, wenn ich mich richtig erinnere.

Kunz: Aber es ist schon ein Unterschied, ob ich ein integriertes System von der Festplatte bis zur Applikation baue oder ob ich eine vorkonfigurierte Maschine in einem Netzwerkumfeld anbiete. Das ist eine andere Dimension.

CW: Grundsätzlich verfolgen alle großen IT-Anbieter ähnliche Konzepte mit Komplettsystemen. Wie kann Oracle hier im Wettbewerb punkten?

Kunz: Es ist entscheidend, welche Varianten sich realisieren lassen. Unsere Systeme sind ein Beleg dafür, wie breit unsere Produktpalette ausgelegt ist. Natürlich ist es unrealistisch zu sagen, jeder Kunde macht von jetzt an nur noch in rot. Aber wir bieten für bestimmte Bereiche Konfigurationen, mit denen sich Optimierungen erzielen lassen. Deswegen haben wir auch unser Exa-Portfolio in verschiedene Bereiche wie "Exadata", "Exalytics" und "Exalogic" unterteilt. Wenn es um die Infrastrukturebene geht, reden wir über Exadata. Wenn es darum geht, Middleware zu konsolidieren, kommt Exalogic ins Spiel. Wenn es sich um Analytics und das Data Warehouse dreht, können Kunden auf Exalytics zurückgreifen. Wir können uns schrittweise in so eine Konsolidierung hineinbewegen, ohne dem Kunden zu sagen: Schmeiß alles weg, was du im Einsatz hast.

Das ist der Vorteil bei einer Exa-Plattform: Sie dient auf der einen Seite dazu, die Performance in den einzelnen Applikationen sicherzustellen, aber auch auf der anderen Seite eine Konsolidierung im Infrastrukturbereich zu erzielen. Dabei eignet sich die Exa-Plattform für alle Umgebungen, ob das nun eine Oracle-Anwendung ist, eine SAP-Applikation oder eine Eigenentwicklung. Damit sprechen wir hier über einen wirklichen Plattformgedanken und nicht über isolierte Stacks. Das macht einen gewaltigen Unterschied. Damit lassen sich Kosteneinsparungen erzielen und gleichzeitig der Betrieb hoch-performanter Plattformen sicherstellen. Und das in unterschiedlichen Konstellationen, je nachdem wo der Schwerpunkt der Kundenprojekte liegt. Das macht auch den großen Unterschied gegenüber dem Wettbewerb aus.

CW: Welche Klientel adressieren Sie mit diesen Systemen?

Kunz: Die Exa-Maschinen sind auch im Mittelstand stark nachgefragt. Die Konfigurationen beginnen mit den Full-Racks - das waren auch die großen mächtigen Maschinen der ersten Generation. Mittlerweile haben wir die Systeme unterteilt: Es gibt Half-Racks, Viertel-Racks bis hinunter zu Achtel-Racks. Kunden können in einer kleinen Konfiguration beginnen und diese dann entsprechend ausbauen. Damit sind die Systeme auch absolut für den Mittelstand geeignet.

CW: Wie werden die Maschinen vorwiegend eingesetzt?

Kunz: Die großen Unternehmen sehen diese Systeme vor allem als Konsolidierungsplattform. Es gibt Kunden, die haben hunderte von Servern durch eine beziehungsweise ein paar wenige Exa-Maschinen ersetzt. Das hat natürlich Konsequenzen auf allen Ebenen. Letztlich fängt es mit der Konsolidierung auf Infrastrukturebene an. Richtig interessant wird es aber, wenn die Diskussionen weitergehen, beispielsweise welche Konsequenzen das auf die Abläufe hat. Wie wirkt sich das auf der Prozessebene aus, auf der Applikationsebene und der Infrastrukturebene? So einen Strategiewechsel muss man im Gesamtkontext sehen.