IT in Versicherungen/Mehr als ein neuer Vetriebsweg

Die Zürich Kemper Life auf dem Weg zur virtuellen Versicherung

02.07.1999
Zur Zeit präsentieren sich über hundert deutsche Versicherer mit einer eigenen Web-Site. Sie nutzen sie hauptsächlich zur Unternehmens- und Produktdarstellung. Darüber hinaus jedoch zeichnen sich tiefgreifende Einwirkungen des Mediums Internet auf die Versicherungswirtschaft ab, sagt Thomas Feldhaus*.

Das Internet kann mehr sein als ein neuer Vertriebsweg. Es bietet die Möglichkeit der einheitlichen Kommunikation zwischen allen Beteiligten, also den Versicherungsgesellschaften, ihren Ausschließlichkeitsagenten und Maklern und dem Kunden. Zudem wird der Weg zum virtuellen Unternehmen durch das Internet eröffnet. Was aber bedeutet dieser Begriff? Wird es das virtuelle Unternehmen je geben, oder existiert es bereits?

Vorreiter der Entwicklung sind in den USA zu finden. Zürich Kemper Life (ZKL), ein Unternehmen des Zürich Konzerns, bietet nicht nur seine Produkte über das Internet an, sondern kommuniziert auch mit seinen Vertriebsstellen über das Netz. Mit Cyber Comp, einem Unternehmen von Reliance National, wurde 1997 darüber hinaus eine virtuelle Versicherungsgesellschaft gegründet.

Bei diesem Business-to-Business-Bereich handelt es sich um Beziehungen zu unabhängigen Agenten und Vertriebsorganisationen für den Verkauf klassischer Lebens- und Rentenversicherungsprodukte, zu Banken und Maklern für den Vertrieb von Rentenversicherungsprodukten sowie zu spezialisierten Agenten für den Vertrieb von Pensionen. Dabei wird das Internet nicht nur für die einfache Bereitstellung von Informationen oder Verkaufsunterlagen genutzt. Die gesamte Logistik des Versicherungsvertriebs wird online abgewickelt: von der Tarifberechnung über die Antragstellung bis hin zur Policierung.

Den Vertriebsmitarbeitern im Außendienst stehen dafür alle notwendigen Informationen zur Verfügung. Sie haben beispielsweise Zugriff auf alle Formulare der Zürich Kemper Versicherung. Nach dem Aufruf eines Formulars läßt sich am Bildschirm ein individueller Antrag stellen. Der direkte Zugriff auf Kundendaten oder die Policierungs-Richtlinien der Zürich Kemper Versicherung ist ebenfalls möglich.

Seit dem Beginn vor drei Jahren hat sich das Internet-Engagement der Versicherung kontinuierlich weiterentwickelt. Von anfänglich 40 Benutzern, die sich über den aktuellen Bearbeitungszustand ihrer Anfragen informieren konnten, hat sich die Anzahl der Nutzer auf über 500 erhöht. Gleichzeitig wurde der Service um unterstützende Literatur, die Bereitstellung von Verkaufsunterlagen und Formularen, Newsletters und Software-Support erweitert. "In den letzten zwölf Monaten ist die Akzeptanz unseres Internet-Angebots stark gestiegen, die Besucher haben sich in diesem Zeitraum vervierfacht", berichtet Tracey Witte, E-Commerce- Managerin der ZKL. Über 30 Prozent der Kommunikation laufen über das Internet ab. Und immerhin erziele der Versicherer drei bis vier Prozent seines Umsatzes über Online-Abschlüsse.

Das Ziel der ZKL, sagt die Managerin, sei jedoch eine echte End-to-end-E-Commerce-Lösung mit integriertem Data-Warehousing und einer direkten Einbeziehung des Versicherungskunden. "Von der Verkaufs- zur Servicestelle, von der E-Mail zur Interaktivität", formuliert es Russ Bostick, Informatikchef der ZKL. Damit entwirft er ein Szenario, das durchaus auf die hiesige Versicherungswirtschaft übertragbar sein könnte.

Der Einstieg in die virtuelle Welt erfolgt bei der ZKL über einen individualisierten Web-Browser. Kann sich der Nutzer autorisieren, hat er Zugriff auf alle für ihn bestimmten Daten. So ist die komplette Bestandsführung über das Internet möglich.

Mit der Internet-Site wendet sich die Zürich Kemper Life direkt an die Versicherungskunden. Hier lassen sich nicht nur Angebote für Lebensversicherungsprodukte errechnen, sondern auch Verträge sofort abschließen. Zukünftig sind Applikationen geplant, die dem Kunden über einen autorisierten und geschützten Zugang direkten Zugriff auf seine Kundenakte erlauben.

Technische Voraussetzungen

Die technische Grundlage für das Internet-Geschäft der ZKL bildet "Vilink/ECP" von der Policy Management System Corp. (PMSC) aus Columbia, South Carolina. Das Produkt bringt Anwendungen, Datenbanken und Informationssysteme auf eine einheitliche Basis. Anschließend lassen sich die Informationen verteilen und abrufen. Sogar Programm-Updates können über das Netz versandt und über eine Routine automatisch auf dem Client installiert werden. Bei jeder Online-Verbindung findet ein Datenabgleich und, falls notwendig, eine Aktualisierung statt. Die Daten, zum Beispiel bei der Antragsannahme, lassen sich offline bearbeiten.

Doch ein virtuelles Versicherungsunternehmen verlangt noch mehr. Cyber Comp Corp. in den USA exerziert das vor. Mit PMSC als Partner im Geschäftsprozeß-Outsourcing hat Cyber Comp bereits 1996 ein entsprechendes Geschäftsmodell entwickelt.

Zunächst startete der Anbieter als normaler Direktversicherer mit den traditionellen Vertriebswegen Fax und Telefon. Im Sommer 1997 begann der Vertrieb über das Internet. Mit nur zehn Mitarbeitern im Hauptsitz und 14 Agenturbetreuern in verschiedenen Regionen konnte das Unternehmen bis Ende 1997 ein Beitragsvolumen von 36 Millionen Dollar erwirtschaften, davon 4,3 Millionen Dollar aus dem Internet. Mittlerweile sind mehr als 500 Agenten über das Internet hinzugekommen und haben bis Mai dieses Jahres den Umsatz aus dem Online-Geschäft auf 25 Millionen Dollar steigern können, bei einem Gesamtbeitragsvolumen von 68,2 Millionen Dollar.

Cyber Comp bietet in erster Linie eine Art Berufsunfähigkeitsversicherung an und will bis Ende dieses Jahres 70 Prozent der entsprechenden Beiträge über das Internet erzielen. Das Gesamtvolumen der Berufsunfähigkeitsversicherung in den USA liegt bei 29 Milliarden Dollar. Der Marktanteil von Reliance National an diesem Geschäft beträgt zwei Prozent. In den nächsten fünf Jahren soll sich der Marktanteil der Internet-Versicherung auf drei Prozent erhöhen. Dazu setzt Reliance National vor allem auf das Internet-Geschäft seines Unternehmens Cyber Comp. Die Projektzeit zur Gründung von Cyber Comp betrug nur wenige Monate. PMSC stellte die Internet-Technik und die notwendigen Rechenzentrumskapazitäten.

Die schnelle Entwicklung zeitgemäßer, innovativer Versicherungsprodukte ist eine der wichtigsten Herausforderungen an Assekuranzen. Auch die schnelle Bearbeitung von Kundenanfragen, die rasche Policierung von Anträgen und die zügige Regulierung von Versicherungsschäden sind wichtig. Virtuelle Unternehmen sind dafür gerüstet. Sie können Nischen besetzen und Produkte ausprobieren, Zielgruppen direkt ansprechen und Cross-Selling-Effekte nutzen. Sie agieren schnell, und das bei überschaubaren Investitionen.

In den USA erfreuen sich virtuelle Versicherungsmärkte zunehmender Beliebtheit und entwickeln sich zu wichtigen Absatzkanälen. Beispiele für virtuelle Marktplätze sind der amerikanische insuremarket.com oder das amerikanische insweb.com. Aber auch in Deutschland wird an Portallösungen für die Versicherungswirtschaft gearbeitet. So haben sich der Asscompact Verlag und die PMS Micado GmbH zu einer Kooperation zusammengeschlossen, um das Asscompact.net zu gründen. Zunächst stehen Dokumente wie Broschüren und Anträge der beteiligten Versicherungsunternehmen elektronisch bereit. Sodann sind die Möglichkeiten der Bestandsführung und -kontrolle über das Netz geplant. Die dritte und letzte Ausbaustufe soll dann die Möglichkeiten des Online-Vertragsabschlusses, die Online-Policierung und die Courtage-Abrechnung ermöglichen.

Angeklickt

Ein virtuelles Unternehmen bedient sich des Know-hows und der Manpower anderer selbständiger Betriebe. So kann der DV-Betrieb von einem oder mehreren Dienstleistern kommen, die Schadensabwicklung, die Buchhaltung, das Marketing, der Vertrieb von weiteren Vertragspartnern. Zusammengehalten wird das Gebilde von einer Geschäftsidee, die in einem eigenständigen Unternehmen organisiert wird, und einer Infrastruktur, die ein nahes Zusammenarbeiten via Web erlaubt.

*Thomas Feldhaus arbeitet bei der PMS Micado Produkt Systeme GmbH in Hennef.