Die weiße Revolution im Zahlungsverkehr

03.08.1984

Revolutionen erfolgen nie zufällig und unbeabsichtigt, auch dann nicht, wenn sie sich kaum vorher ankündigen. Dies gilt ebenfalls für die Revolution durch Automation im Zahlungsverkehr. Die wirtschaftlichen Akteure welcher Branche, Größe und Funktion auch immer, werden zunehmend in diese Entwicklung involviert. Bei den Auswirkungen des "electronic money" sollen die herausragenden und augenfälligen Problemkreise der Konsequenzen für die Banken, für die Bankangestellten und die Kunden betrachtet werden.

Die Banken als Zentren des Geld-, Kredit- und Kapitalverkehrs stehen im Mittelpunkt des Geschehens. Dies gilt sowohl für den Interbankzahlungsverkehr als auch für die vielfältigen Kontakte zu Kunden. Für sie stehen bereits seit einiger Zeit automatische Kassenschalter zur Verfügung. Das Home-Banking über Bildschirmtext befindet sich ebenso vor der allgemeinen Einführung wie Point-of-Sale-Systeme (POS), die hauptsächlich Konsumenten und Einzelhändler betreffen. Über Cash-Management-Systeme und Company-Banking-Terminals können Unternehmen vielfältige Funktionen des Zahlungsverkehrs und der Liquiditätsplanung, wenn nötig auch weltumspannend, ausfahren.

Bankintern versprechen die mannigfaltigen Möglichkeiten der Büroautomation umwälzende ablauforganisatorische Konsequenzen. Es kann wohl behauptet werden, daß Bankorganisation beinahe ausschließlich EDV-Organisation ist. Und es ist sicherlich keine Übertreibung, zu vermuten, daß wohl noch kaum ein Kreditinstitut die vollen Konsequenzen dieser geballt auftretenden Neuerungen zu Ende gedacht hat.

Worin aber liegen die wesentlichsten Änderungen? Zunächst müssen im Führungssystem der Banken die Funktionen der Informatik besser integriert werden. Was noch für Rothschild nach der Schlacht von Waterloo die Brieftauben gewesen sind, ist für die moderne Bank die totale "Informatisation", die ziel- und zweckgerichtete Beschaffung, Speicherung, Aggregation und Interpretation von relevanten Informationen.

Die Marktpolitik der Banken wird durch das Home-Banking gleich in mehreren Dimensionen betroffen. Es geht in erster Linie um die Auswirkungen auf die bisherige Expansionspolitik bei Zweigstellen, also um den Wechsel nicht nur der Absatzkanäle, sondern auch der Sortimentspolitik, Informations- und Akquisitionspolitik, und sogar der Preispolitik. Die kurzfristige Realisierung spontaner Marketingeinfälle gehört der Vergangenheit an. Nicht ohne Grund wird die Strategische Planung als neue Zauberformel herumgereicht. Wie notwendig sie ist, zeigt das Beispiel einer amerikanischen Großbank, die über mehrere Jahre etwa zwei Milliarden Dollar Entwicklungskosten in ihr Cash-Management-Verfahren investierte und heute aufgrund dieser strategischen Erfolgsposition als Marktleader gilt.

Die Einführung des POS zeitigt je nach Teilnehmer unterschiedliche Implikationen. Speziell für die Banken stehen die Möglichkeiten der Kostenreduktion im Zahlungsverkehr, eine Erhöhung des Bodensatzes und die Strategie gegen die Substitutionskonkurrenz, vor allem die Kreditkarten-Organisationen, im Vordergrund.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß eine derartige Fülle von Innovationen manche Institute, vor allem kleinere überfordert. Indes scheint sich die Einsicht durchzusetzen, daß der Zahlungsverkehr für einen Profilierungs-Wettbewerb nicht besonders gut geeignet ist und den Kollektivstrategien auf diesem Sektor der Vorzug zu geben sei. Davon profitieren natürlich die kleineren Institute, für die die Innovationspolitik zu einer Angelegenheit ihrer Verbände geworden ist.

Die Auswirkungen der Computerisierung auf die Bankangestellten sind quantitativer und qualitativer Art zugleich. Oft führen beide Komponenten zu einem Angstsyndrom, vor allem bei jenen, die generationsbedingt nicht mehr in der Lage sind, sich auf die neuen Technologien umzustellen. Dies betrifft die Führungs- wie die Vollzugsebene der Banken gleichermaßen und spricht die qualitative Dimension an. Die Anforderungsprofile werden sich auf allen Ebenen ändern oder haben sich schon gewandelt. Um dies bildlich auszudrücken: Der Bankdirektor im Nadelstreifenanzug wird immer mehr dem im weißen Mantel weichen.

Die quantitative Seite, der zahlenmäßige Ersatz von Menschen durch den Computer scheint dagegen weniger einschneidend. Bankgeschäfte sind und bleiben erklärungsbedürftige Anliegen. Durch die Entlastung von Routinearbeiten wird zudem die Möglichkeit geschaffen, den Anteil der Mitarbeiter im direkten Kundenkontakt zu erhöhen. Im übrigen werden die natürlichen Fluktuationsraten, die in normalen Zeiten bei etwa zehn Prozent liegen, dafür sorgen, daß den Anpassungserfordernissen sukzessive nachgekommen wird. Durch die permanente Verlagerung der Schnittstellen von Bank und Kunde ist eine nennenswerte Auswirkung auch

auf die Klientel der Banken gegeben, im Massengeschäft ebenso wie im Firmenbereich.

Von zeitintensiver, individueller Beratung im Bankgeschäft abgesehen aber bringen Cash-Dispenser, Home-Banking und Company-Banking vermehrt Bildschirmkontakte mit sich. Die Konsequenzen liegen einerseits in einer erhöhten Markttransparenz der Kunden, andererseits aber auch in stärker standardisierten Angeboten. Ob der Kunde die verringerten Cross-selling-Möglichkeiten der Banken als einen Nachteil empfinden wird, darf ebenso bezweifelt werden wie der Umstand, daß persönliche Kontakte zum "Bankbeamten" abnehmen werden. Eher spielt schon die erzwungene Änderung der Zahlungsgewohnheiten eine Rolle, Damit ist die Frage der Akzeptanz angesprochen, also inwieweit und wie schnell sich der Bank. kunde umzustellen bereit und auch in der Lage ist. Dies könnte zweifellos ein retardierendes Moment der "Revolution" im Zahlungsverkehr darstellen, das um so größer wäre, wenn die Mutmaßung zuträfe, wonach die neuen Medien nicht aus den Bedürfnissen des Marktes heraus entstanden seien, sondern sich vielmehr in erster Linie aus dem technischen Fortschritt ergeben hätten. Eine Behauptung, der ich mich aber nicht anschließen möchte, denn Zahlungsverkehr ist Massenabwicklung und damit für die Computerisierung prädestiniert.