Die Weichen sind gestellt - reicht der Atem?

Die Weichen sind gestellt - reicht der Atem? Anwender fordern klare Strategie von Baan

12.03.1999
CW-Bericht, Bernd Seidel MÜNCHEN - Für das abgelaufene Geschäftsjahr 1998 meldet die niederländische Softwareschmiede Baan Comp. einen Rekordverlust von 315 Millionen Dollar. Das Unternehmen hat infolge dessen die beiden weltweiten Benutzerkonferenzen Baan World abgesagt. Die CW hat nachgefragt, wie die Stimmung unter Baan-Usern ist.

Angesichts der katastrophalen Ergebnisse und der gedämpften Erwartungen für das laufende und nächste Jahr wirkt die zum Teil positive Stimmung bei vielen Baan-Anwendern geradezu grotesk. Doch haben die leidgeprüften User anscheinend ihre Gründe: Der Support sei in den vergangenen neun Monaten spürbar besser geworden. Zudem sei die neue Produktfamilie "Baan Series" marktreif und gegenüber den Vorgängerprodukten leistungsfähiger.

Mit der Integration der im letzten Jahr zusammen mit dem gleichnamigen Hersteller übernommenen "Coda"-Finanzsoftware habe man auch endlich im Bereich Finanzwesen ein konkurrenzfähiges Produkt. Baan brauche sich nun hinter der SAP-R/3-Finanzlösung nicht mehr zu verstecken. Kurz und gut: Die Baan-User haben das Gefühl, daß sich insbesondere die neue deutsche Geschäftsführung ernsthaft mit ihren Problemen auseinandersetzt.

Anlaß zur Kritik sei jedoch eine fehlende weltweite Strategie - zumindest sei sie nicht erkennbar. Fragen, die vielen Anwendern aufgestoßen sind: Erhält Baan künftig neben dem Engagement des Investmenthauses Fletcher weiteres Kapital (siehe CW 3/99, Seite 15)? Strebt das Unternehmen eine Fusion an, oder hat man schon einen potenten Käufer in der Hinterhand?

Ein weiterer Knackpunkt sei der Ausbau des Consultings: Angesichts des gravierenden Personalabbaus bei Baan wird hier mit einer Verschlechterung gerechnet. Fraglich ist auch, wie die Niederländer Beratungspartner für sich gewinnen wollen - der Markt ist leergefegt.

"Aufgrund der Turbulenzen im vergangenen Jahr war mit besseren Zahlen überhaupt nicht zu rechnen", sagt Carol Smolawa, Leiter Informations-Management bei der Bremer Goldschlägerei Bego und Mitglied der deutschen Baan User Group. Die Stimmung bei den Baan- Bestandskunden sei positiv. Die Umstrukturierungen, die von der neuen Geschäftsführung eingeleitet wurden, würden allmählich greifen: So sei der Support und auch der projektbegleitende Service in den letzten Monaten besser geworden. Das alles koste natürlich zunächst einmal Geld und schlage sich dementsprechend in den Geschäftsergebnissen nieder.

Smolawa vermißt allerdings eine erkennbare weltweite Strategie: "Baan muß klar herausstellen, wie es weitergehen soll", lautet seine Forderung. Dazu reichten die Vorstellungen des deutschen Managements allein nicht aus. Die vielen unbeantworteten Fragen ließen reichlich Freiraum für Spekulationen.

Äußerst problematisch ist für den IT-Leiter, wie Baan unter den derzeitigen Umständen neue Kunden für sich gewinnen will. Interessenten empfiehlt er, die in der Auslieferung befindlichen Baan-Produkte genau zu prüfen - es lohne sich. Smolawas Fazit: "Die Leistungsfähigkeit und Qualität der Produkte ist deutlich besser geworden." Zudem verfüge das Unternehmen über einen großen Kundenstamm, auf dem es weiter aufbauen könne.

Die immer wieder beschriebene schlechte Beratung von Baan sei, so Smolawa, bei anderen Softwarefirmen auch nicht besser. Dennoch sollte Baan auch hier nochmals in die Auswahl, Qualifizierung und Zertifizierung der Partner investieren: "Große Namen wie die Big Five oder umsatzstarke Unternehmen aufzulisten reicht nicht." Die Qualität der Berater müsse über Kundenbefragung und strikte Qualifizierungsprozesse überprüft werden, so daß die Leistungsfähigkeit der Partnerunternehmen für den Kunden und Interessierten sichtbar werde.

Maßnahmen nicht ausreichend verkauft

Ein Anwender aus der Möbelbranche, der nicht namentlich genannt werden möchte, hofft, daß die Niederländer mit den neuerlichen Zahlen endlich reinen Tisch gemacht haben. Warum die Softwerker dieses "reinigende Gewitter" allerdings Marketing-mäßig nicht ausschlachten, ist für ihn unverständlich: "Entweder hat Baan verschlafen, die Maßnahmen als Frühjahrsputz zu verkaufen, oder im Hintergrund gibt es doch noch mehr Probleme."

Die Gefühle seien angesichts der Zahlen sehr gemischt, denn man wisse schließlich nicht, ob die Substanz des Unternehmens ausreiche. Angesichts des Verbreitungsgrades und der Leistungsfähigkeit der Software - auch wenn es immer mal wieder Anlaß zu Klagen gibt - werde das Unternehmen jedoch nicht vom Markt verschwinden: "Ich davon überzeugt, daß es mit Baan weitergeht."

Die Absage der Baan-World-Veranstaltungen hinterlasse zwar einen schlechten Eindruck, sei aber kein sachliches Problem: "Mittelständische Kunden werden von diesen Mammutveranstaltungen ohnehin kaum angesprochen. Regionale Events, wie sie ersatzweise geplant sind, sind für diese Klientel sinnvoller."

Gute Noten für deutsches Management

Das neue Baan-Management in Deutschland hat laut Ralph Brandenburg, Org. DV-Leiter bei Europa-Karton in Hamburg, die richtigen Weichen gestellt. Zweifel hat er allerdings, ob der Markt Baan genügend Zeit gibt, bis die organisatorischen Maßnahmen durchgehend wirken: "Binnen der nächsten zehn bis zwölf Monate werden wir es wissen."

Ein völlig falsches Signal sind für ihn vor allem die Streichungen im Marketing: "Gerade jetzt müßte das Softwarehaus Flagge zeigen." Das Unternehmen brauche zufriedene Bestandskunden und Neukunden. Doch würde die Marketing-Mannschaft um die Hälfte reduziert. Für ihn ist im Gegensatz zu DV-Leiter Leinker die Absage der User- Konferenzen ein Fehler. Alles deute darauf hin, daß die Probleme größer seien als bisher bekannt: "Was ist von einem Unternehmen zu halten, das nicht mehr in der Lage ist, seine Anwender zusammenzubringen?"

Qualifizierte Berater sind Mangelware

Als problematisch schätzt er überdies die Situation für Bestandskunden ein, die einen Release-Wechsel von der Baan- Vorgängerversion "Triton" auf das neue Produkt "Baan IV" oder "Baan ERP" planen: "Die Triton-Anwendungen sind zum Teil massiv an die Unternehmensbedürfnissse angepaßt worden und durch die Veränderungen sind viele Betriebe unter Umständen nicht mehr Release-fähig", erklärt Brandenburg. Man müsse nun abwarten, wie sich die Situation von Baan entwickle: "Wenn ich heute auf ein neues Release migriere und Baan nächstes Jahr nicht mehr in der heutigen Form existiert, um mit mir zusammenzuarbeiten, war der Aufwand vergeudet."

Qualifizierte Baan-eigene Berater, die bei einem Release-Wechsel zur Hand gehen könnten, seien ohnehin Mangelware. Zudem reduzierten auch die Beratungsunternehmen ihre Baan-Kapazitäten. Für Brandenburg bedeutet das, die Migration mit der eigenen Mannschaft vorzunehmen. Dadurch steige allerdings die Gefahr, aus mangelnder Erfahrung und Kenntnis über den Leistungsumfang der neuen Software das Standardprodukt stark zu modifzieren: "Damit steckt man in einem Teufelskreis."

Für Klemens Hauk, Leiter Anwendungen und Organisation beim Aufzughersteller Otis in Berlin, besteht die Gefahr, daß durch den Aderlaß bei Baan die Betreuung der Bestandskunden wieder schlechter wird. Speziell für den Bereich Front-Office sei es derzeit schon schwer genug, Berater zu bekommen. Um hier Defizite durch den Abbau der eigenen Mannschaft auffangen zu können, müsse Baan verstärkt Partner akquirieren.

Hauk, der Vorsitzender der Deutschen Baan User Group ist, plant auf einem Mitgliedertreffen Ende April, an dem übrigens auch Baan- CEO Mary Coleman teilnehme soll, die Probleme auf den Tisch zu bringen: "Wir wollen Antworten auf unsere Fragen.

Hintergrund Zahlen und Maßnahmen

- Die Zahl der Mitarbeiter weltweit um 1000 reduziert, 50 Niederlassungen geschlossen, zehn Tochtergesellschaften veräußert.

- Baan Com. übernimmt Baan Midmarket Solutions (BMS) von Vanenburg Ventures und damit die Kontrolle über den indirekten Vertriebskanal.

- Das US-Investment-Haus Fletcher pumpt rund 75 Millionen Dollar in den Softwarekonzern, bis zum 31. Dezember 2001 besteht eine Option zur Aufstockung der Investitionen auf 225 Millionen Dollar.

- Baan Deutschland GmbH trennt sich von der "Comet-Division", der Personalzeiterfassung sowie dem Bereich Utilities.

- Engagement im Bereich Handel eingestellt.

- Der Kundenstamm stieg durch Übernahmen der Firmen Coda, Caps- Logistics, Aurum, Matrix von 2800 auf 6300.