Projektplanung und Softwarequalität/Unternehmen sehen Softwarequalität als strategische Aufgabe

Die Wandlung vom Notfalldienst zum Königsmacher ist vollzogen

27.08.1999
von Rudolf van Megen* Die Autohersteller haben es schon Anfang der 80er Jahre begriffen: Qualitäts-Management ist nicht nur ein zusätzlicher Kostenfaktor, sondern fördert - neben dem Wert des Erzeugnisses - die Produktivität und die Flexibilität des Unternehmens. Mit Lean Production und Total Quality Management hievte sich die Branche damals aus der Krise. Die Informa- tionstechnik setzt gerade an, in diese Fußstapfen zu treten.

Zukunftsweisende Einsichten werden selten am grünen Tisch geboren: "Qualitäts-Management bekommt vor allem dann einen großen Schub, wenn sich schmerzhafte Erfahrungen häufen", faßt Ulrich Stremmel, Entwicklungsleiter in einem Bereich der Allianz Versicherungs AG, München, die Erfahrungen in seinem Unternehmen zusammen.

Weil bei der Allianz verschiedene Projekte aus dem Ruder zu laufen drohten, geht sie heute - mit Stremmel an der Spitze - das Thema Qualität systematisch an. Vor allem dank des Risiko-Managements kann das Unternehmen mittlerweile rechtzeitig erkennen, wo welche Projektgefahren lauern, und vorbeugende Maßnahmen ergreifen.

Beim Mittelständler FLS Fuzzy Logik Systeme GmbH, Dortmund, führte der Weg zur Qualität über Europa. Mit Hilfe des EU-Programms "Tapistry" verschaffte das Systemhaus seiner Software-Entwicklung, die zu komplex und undurchschaubar geworden war, die nötige Transparenz.

Die Wege und Verfahren dieser beiden Unternehmen sind unterschiedlich, aber beide stehen vor derselben Herausforderung: Den zunehmend komplexeren Informationssystemen ist mit herkömmlichen Mitteln, also mit Improvisation, nicht mehr beizukommen. Mit wachsender Dichte des Softwaredschungels sind Vorgehensstandards notwendig, die gangbare Wege freilegen.

Die Unternehmen haben das offenbar erkannt, denn die Analysten melden einen stark wachsenden Bedarf für Hilfsmittel zur Qualitätssicherung (QS): Ihren Schätzungen zufolge legt der Markt für Testwerkzeuge derzeit jährlich um bis zu 60 Prozent zu.

Doch die analytische Qualitätssicherung ist nur die eine Seite der Medaille. Sie setzt dort ein, wo keine vorbeugenden Maßnahmen ergriffen wurden. Ein übergeordnetes Qualitäts-Management (QM) integriert beide Seiten.

Während Testwerkzeuge auch von Mitarbeitern der dritten und vierten Ebene angeschafft werden können, bedarf das QM der Unterstützung durch die Unternehmensführung, wenn es erfolgreich sein soll. Die großen Dienstleister aus dem Finanz- und Telekommunikationsbereich sind hier die Vorreiter. Ihr Geschäft wird heute zu 80 Prozent von IT-Systemen gesteuert.

Ein größerer Blackout dieser Systeme würde sie daher bis ins Mark treffen. Bei Dresdner Bank, Deutsche Bank, Deutscher Telekom oder E-Plus steht Software-Qualitäts-Management folglich auf den Tagesordnungen der Führungsetagen.

Mehr Zurückhaltung legen derzeit noch die Industrie und vor allem der Handel an den Tag. Bei letzterem fallen - wegen der kleinen Gewinnspannen von etwa zwei Prozent - die Investitionen generell eher gering aus.

Doch gerade beim Handel ändert sich die Situation drastisch: Im Zusammenhang mit dem Thema E-Commerce werden hier die Karten neu gemischt. Die zugrundeliegenden Internet-Anwendungen erfordern mehr QS als bisher: Während in der klassischen Software-Entwicklung bis zu 40 Prozent des Aufwands auf das Konto von Fehlervermeidung und Testen ging, steigt dieser Anteil im Zeitalter des Web auf bis zu 45 Prozent. Die Ursachen liegen in den direkten Schnittstellen der Internet-Systeme zum Kunden und in den zusätzlichen externen Störfaktoren - beispielsweise Proxy-Server oder Web-Browser.

Im QS-Management sind wieder einmal die USA führend - dank des Capture Maturity Model (CMM). Doch die Europäer haben mit Bootstrap nachgezogen, einem Verfahren, das zur eigenständigen Größe auf dem Markt avancierte. Beide Ansätze stecken vor allem den Rahmen für folgende Aufgaben ab:

-Organisation des Qualitäts-Managements,

-Lieferanten-Management (zum Beispiel Ausschreibung und Vertragsgestaltung),

-Mitarbeiter-Management und

-Risiko-Management.

Sowohl mit CMM als auch mit Bootstrap ist es möglich, über Assessments eine Bestandsaufnahme der Softwareprozesse oder der Organisation im Unternehmen zu erstellen. CMM operiert dabei mit einer Kennzahl für das gesamte Unternehmen, während Bootstrap die Reife von insgesamt 36 einzelnen Softwareprozessen bewertet: angefangen von der Softwarewartung bis hin zur Kundenbetreuung.

Im Rahmen der konstruktiven Qualitätssicherung haben sich mittlerweile strukturierte Verfahren der Fachkonzepterstellung durchgesetzt.

In der klassischen Software-Entwicklung hingegen zeigt der Trend in Richtung Objektorientierung (OO). Die Wiederverwendbarkeit von Komponenten ermöglicht aber nicht nur eine wirtschaftlichere Software-Entwicklung; sie birgt auch die Gefahr in sich, daß ein Bug gleich an mehreren Stellen im System Schaden anrichtet.

Deshalb muß die QS den Schritt zur Objektorientierung mitvollziehen. So bildet der UML-Standard (UML = Unified Modelling Language) die Basis, auf der alle führenden Werkzeuge aufsetzen.

Für die analytische Qualitätssicherung stehen neben den klassischen Tests (Entwickler-, Funktions-, System- und Integrationstest) vor allem Reviews, Inspektionen und "Walk Throughs" zur Verfügung. Damit lassen sich Fehler auf frühen Stufen der Entwicklung auffinden, also dort, wo die Beseitigung noch relativ wenig Zeit und Geld kostet.

Zunehmend werden die Aufgaben der analytischen Qualitätssicherung an eigenständige Testabteilungen übertragen - so etwa bei der West LB oder dem nordrhein-westfälischen Rechenzentrum der Finanzverwaltung (RZF). Erfolgsentscheidend ist hier, daß sowohl Fachabteilungen als auch IT-Experten in diese Teams eingebunden sind.

Die Aufgabe der Arbeitsgruppen besteht darin, abgegrenzte Testaufgaben zu übernehmen und nachvollziehbare Ergebnisse zu produzieren. Da sich diese Teams nach dem Prinzip des "Subcontracting" auslagern lassen, wird hier über kurz oder lang ein eigener Markt entstehen.

Den Aufwand für die Qualitätssicherung können diese eigenständigen Gruppen vor allem durch Testautomatisierung reduzieren. Bei der herkömmlichen Entwicklung bietet hier bereits eine ganze Reihe von Werkzeugen Unterstützung. Für die Entwicklertests von objektorientierten Applikationen und Internet-Anwendungen hingegen ist ein eigenständiger Tool-Markt erst im Entstehen begriffen.

Die marktgängigen Testwerkzeuge unterscheiden sich bezüglich ihrer Leistungsmerkmale erheblich voneinander. Deshalb sollte vor einem Kauf eine Checkliste erstellt werden. Sie muß Antworten auf die Fragen geben: Welche Aufgaben stehen an, und welches Tool eignet sich dafür?

Wie in anderen IT-Bereichen zeichnen sich auch bei den QS-Tools Komplettlösungen einzelner Anbieter ab. Zudem verständigen sich die Hersteller der Spezialprodukte untereinander und offerieren integrierte Lösungen. Beispielsweise kooperiert SQS mit Continuus und Microtool oder MID sowie Mercury mit Continuus.

Die Auswahl der richtigen Werkzeuge oder Verfahren ist aber nicht das dringlichste Problem. Sehr viel mehr Kopfzerbrechen bereitet den Personlachefs die Qualitätssicherung. Sie wissen derzeit nicht, woher eigentlich die Mitarbeiter kommen sollen, die die Werkzeuge und Verfahren anwenden.

Auf dem Sektor Qualitäts-Management und -sicherung ist die Personalsituation noch angespannter als auf dem allgemeinen IT-Arbeitsmarkt: Zum einen gibt es einen sehr hohen Bedarf: QS-Aufgaben warten auf durchschnittlich 20 bis 30 Prozent der Mitarbeiter in IT-Projekten. Zum anderen drängen sich die IT-Spezialisten nicht gerade nach diesen Aufgaben: Den QS-Experten haftet immer noch der Geruch von Ausputzern an, die reparieren, was andere falschgemacht haben.

Die Realität sieht jedoch anders aus: Bei den Banken etwa ist aus dem Notfalldienst längst ein "Königsmacher" geworden, der die Fäden aus Entwicklung, Fachbereichen und Management in Händen hält. Das reine Testen trat in den Hintergrund, abgelöst durch Kommunikation und Projektsteuerung. De facto ist das Qualitäts-Management zum Beraterjob avanciert.

Erfolgsfaktoren

Ein erfolgreiches Softwarequalitäts-Management hängt davon ab, daß

-das Top-Management Unterstützung bietet;

-Qualitäts-Management und -sicherung frühzeitig aufsetzen;

-Brücken zwischen Auftraggeber und -nehmer, zwischen Fach- und DV-Abteilung gebaut werden - nach der Vorgabe: "Jeder macht das, was er am besten kann.";

-der Einstieg über ausgewählte (Pilot-) Projekte erfolgt;

-Know-how einen höheren Stellenwert erhält als Technologie: Werkzeuge sollten gezielt und nicht für die Ewigkeit gekauft werden.

Test-Tools: Auswahlkriterien

1. Tools für das Anforderungs-Management

Wichtige Fragen:-Werden die Anforderungen so verwaltet, daß ein Nicht-DV-Experte damit arbeiten kann?-Sind Änderungen in den Anforderungen nachvollziehbar?

Einige der in Frage kommenden Produkte:-Caliber von Technology Builder (www.tbi.com),-Doors von Quality Systems & Software Inc. (www.qssinc.com) und-Requisite Pro von Rational (www.requisite.com)

2. Tools für Fachkonzept, Design und Implementierung

Wichtige Fragen:-Werden gängige Standards (zum Beispiel UML) umgesetzt?-Handelt es sich um ein offenes System, das die mit älteren Tools erzielten Ergebnisse übernimmt?

Einige der in Frage kommenden Produkte-Innovator von MID (www.mid.de),-ObjectiF von Microtool (www.microtool.de),-Rational Rose von Rational (www.rational.com) und-Software through Pictures (StP) von Aonix (www.aonix.com)

3. Tools für die Testvorbereitung

Wichtige Fragen:-Werden gängige Standards (zum Beispiel Äquivalenzklassen-Analyse) umgesetzt?-Handelt es sich um ein offenes System, das Schnittstellen zu Entwicklungswerkzeugen besitzt?-Lassen sich die Ergebnisse im Falle von Änderungen in Fachkonzepten aktualisieren?

Einige der in Frage kommenden Produkte-Attol Unitest von Attol Testware (www.attol-testware.com),-SQS-Test/Testfallermittlung + Testdatenverwaltung von SQS (www.sqs.de) sowie-Testframe von CMG (www.cmg.de)

4. Tools für die Testdurchführung (Capture/Replay-Tools)

Wichtige Fragen:-Bietet das eingesetzte Werkzeug Schnittstellen zur eingesetzten Entwicklungsumgebung?-Lassen sich die Ergebnisse im Falle von Änderungen aktualisieren?

Einige der in Frage kommenden Produkte-Auto Tester von Auto Tester Inc. (www.autotester.com),-Webtester von Cyrano (www.cyrano.com),-QA Hiperstation/QA Run von Compuware (www.compuware.de),-QA Partner von Segue Software (www.segue.com),-Rational Robot/Visual Test von Rational (www.rational.com),-Silk Test von Segue Software (www.segue.com),-TPNS von IBM (www.ibm.com),-Trans Century Enterprise Tester von Emerald Software (www.emeraldsoft.com) sowie-Win Runner und X Runner von Mercury Interactive (www.mercury.com)

5. Tools für das Management der Qualitätssicherung (QS)

Wichtige Fragen:-Bietet das eingesetzte Werkzeug Schnittstellen zu den eingesetzten Testwerkzeugen (mit transparenter Ergebnisverwaltung) und zu den Projektplanungs-Tools?-Unterstützt es automatisierte Statusreports und Berichte?-Wie steht es mit der Optimierung der QS-Prozesse?

Einige der in Frage kommenden Produkte:-Aimfirst und Aimstep von Aimware (www.aimware.com),-Bootcheck vom Bootstrap Institute (www.bootstrap-institute.com),-Qualica 2.0 von Qualica GmbH (www.qualica.de),-Rochade von Viasoft (www.viasoft.de),-SQS-Test/Testmanagement von SQS (www.sqs.de) und-Test Expert von Silicon Valley Networks (www.svnetworks.com)

6. Tools für das Konfigurations-Management

Wichtige Fragen:-Unterstützt das Werkzeug die Integration in die eingesetzte Entwicklungsumgebung?-Werden verschiedene Zielplattformen unterstützt?-Umfaßt das Tool ein fertiges anpaßbares Status- und Berechtigungskonzept?-Läßt es sich an den spezifischen Entwicklungsprozeß adaptieren?

Einige der in Frage kommenden Produkte:-Clear Case von Rational (www.rational.com),-Continuus vom gleichnamigen Anbieter (www.continuus.com),-Enabler von Softlab (www.softlab.de),-PVCS von Merant (www.merant.com),-Source Integrity von MKS (www.mks.de) und-Team Connection von IBM (www.ibm.com)

Angeklickt

Die Improvisation hat ausgedient: Den zunehmend komplexeren Informationssystemen ist nur noch mit einem Management der Qualitätssicherung (QS) beizukommen. Die Unternehmen der Finanz- und Telecom-Branche haben das längst erkannt. Im Zusammenhang mit dem Thema E-Commerce erobert QS aber auch die naturgemäß zurückhaltende Handelsbranche. Und das Image der QS-Experten wandelt sich - vom Ausputzer zum internen Berater.

*Rudolf von Megen ist Geschäftsführer der SQS Gesellschaft für Software-Qualitätssicherung mbH, Köln