Die Vorteile von Voice over IP

02.05.2007
Von Helmut Binder
VoIP bedeutet mehr als nur günstig zu telefonieren. Wird der Konvergenzgedanke wirklich gelebt, ergeben sich für Unternehmen zahlreiche Veränderungen.

Sicher haben Sie dies auch bereits erlebt: Ein Kollege schwärmt davon, wie sein Sohn zu Hause stundenlang kostenlos mit anderen Computerspielern über das Internet telefoniert (IP-Telefonie), und der Chef berichtet, dass seine Tochter mit der letzten Urlaubsbekanntschaft aus Australien zum Nulltarif via Skype kommuniziert. Angesichts solcher Erfahrungen steht schnell die Frage im Raum, warum das eigene Unternehmen noch immer kostspielig über das alte, klassische Telefonnetz (PSTN= Public Switched Telephone Network) telefoniert und nicht ebenfalls die neue Technik nutzt. Zumal dies ja ohne viel Aufwand möglich ist, wie doch die Beispiele aus dem privaten Umfeld belegen.

Hier lesen Sie ...

  • wie Unternehmen von VoIP profitieren können;

  • wo die Unterschiede zwischen VoIP im privaten und im professionellen Umfeld liegen;

  • wie die unterschiedlichen VoIP-Spielarten aussehen;

  • was Unternehmen beachten müssen, um den Konvergenzgedanken zu leben.

Doch genau dies ist ein Trugschluss. Im Gegensatz zum privaten Bereich ist das Telefonieren im Geschäftsumfeld eine geschäftskritische Anwendung. Werden im Consumer-Bereich etwa Rauschen, kurze Unterbrechungen oder Echoeffekte beim Telefonieren via Internet akzeptiert, so ist dies im professionellen Umfeld untragbar. Deshalb fällt das öffentliche Internet, das bei Skype oder der Internet-Telefonie genutzt wird, als Übertragungsnetz für den Business-Kunden größtenteils aus, denn hier kann niemand eine stabile Gesprächsqualität garantieren. Zudem sticht das Preisargument, das im privaten Umfeld gern zugunsten der Internet-Telefonie angeführt wird, im Geschäftsleben nur bedingt. Schon lange telefonieren Unternehmen mit speziellen Corporate-Tarifen sehr günstig.

Gerade für Unternehmen offeriert die IP-Telefonie aber mehr als nur niedrigere Telefonrechnungen: Mit dem Telefonieren über IP-Netze wächst die IT- und TK-Welt, für die bislang getrennte Netze existierten, zusammen. Voice over IP (VoIP) verwirklicht die seit langem propagierte Computer Telephony Integration (CTI). So kann der Anwender bei VoIP-Lösungen direkt aus seinem Outlook-Mail-Client heraus per Mausklick telefonieren. Entgangene Anrufe zeichnet nicht mehr ein klassischer Anrufbeantworter auf, sondern ein Server. Dem Abwesenden werden sie dann per Mail zugestellt, so dass er die Sprachnachrichten überall abrufen, anhören, weiterleiten oder archivieren kann. Dies sind nur zwei einfache Beispiele für die Vorteile, die eine integrierte Sprach-Daten-Welt offeriert.

Bessere Erreichbarkeit

Ein anderer Nutzen von VoIP ist, dass ein Mitarbeiter immer unter der gleichen Rufnummer erreichbar ist, gleich, ob er sich an seinem Arbeitsplatz befindet oder in einer Unternehmensfiliale in das Netz einloggt. Seine Durchwahlnummer folgt ihm automatisch. Eine Option, die auch die Realisierung von Teleworking-Szenarien deutlich vereinfacht. So können die Mitarbeiter auch zu Hause per VoIP einfach an das Telefonsystem angebunden werden. Selbst auf Dienstreisen ist eine nahtlose Integration in den Kommunikationsfluss möglich. Auf dem Notebook ist hierzu lediglich ein so genanntes Softphone zu installieren, und der Mitarbeiter ist wie gewohnt zu erreichen. Das Notebook verwandelt sich damit endgültig zum mobilen Office.

Mit VoIP erhöhen Unternehmen so nicht nur die Servicequalität gegenüber ihren Kunden, sondern steigern zugleich die Produktivität ihrer Mitarbeiter. Zudem senken sie ihre internen Kosten, denn eine VoIP-Lösung ist einfacher zu administrieren als eine klassische TK-Anlage. Damit reduzieren sich die Kosten für das Change-Management, wenn ein Mitarbeiter innerhalb eines Unternehmens umzieht. In der VoIP-Welt entfällt der kostspielige Besuch eines TK-Servicetechnikers, der die Rufnummern an der TK-Anlage neu vergibt.

Diese Integrationsbeispiele zeigen aber auch, dass die kostenlosen Consumer-Lösungen mit ihren Problemen in Sachen Sprachqualität oder Netzwerksicherheit für Unternehmen zu kurz greifen. Hier sind Lösungen der Unternehmens- oder Carrier-Klasse gefragt. Werden die Integration und der Konvergenzgedanke gelebt, so bedeutet dies einen Paradigmenwechsel für die gesamte IT-Infrastruktur.

Abkehr von alten Netzen

Eine Migration zu VoIP bedeutet deshalb mehr als nur die Einführung einer neuen Telefonanlage. Diese Entwicklung ist auch ein Bekenntnis zur reinen IP-Umgebung - also einer Infrastruktur auf Basis des aus dem World Wide Web bekannten Internet Protocol (IP). Diese Verschmelzung stellt für alle Beteiligten eine große Herausforderung dar, wenn sie im Zuge eines VoIP-Projektes mehr erreichen wollen, als nur günstiger zu telefonieren. So muss sich die IT-Abteilung von alten Netzen wie Pure ATM, Datex-P oder anderen trennen, denn diese werden den Anforderungen an eine moderne integrierte Infrastruktur nicht mehr gerecht. Ferner sieht sich die IT-Abteilung mit neuen Herausforderungen in Sachen Zuverlässigkeit und Ausfallsicherheit konfrontiert: Werden die Datenpakete einer E-Mail einmal mit Verzögerung zugestellt, so bemerkt der Anwender davon nichts. Bei der IP-Telefonie sind Störungen im Netz dagegen sofort hörbar.

Synergien nutzen

Diese Herausforderungen eröffnen gleichzeitig neue Chancen: IP ermöglicht als Treiber der Konvergenz neue Formen der Prozess- und Systemintegration. Die erzielbaren Synergieeffekte helfen, mehr Kosten einzusparen, als dies mit niedrigeren Telefongebühren möglich wäre. Ein einfaches, fast schon trivial anmutendes Beispiel dafür ist das unternehmenseigene Adress- beziehungsweise Telefonverzeichnis: In der IP-basierenden VoIP-Welt ist es sehr einfach, dieses automatisch immer auf dem aktuellen Stand zu halten. Der Anwender nutzt es direkt per Telefon. Besitzt ein Telefon kein Display, lässt sich der Zugriff per Spracherkennung realisieren. Diese erlaubt in einer konvergenten VoIP-Landschaft weitere Anwendungsszenarien: Ein Außendienstmitarbeiter ruft künftig per Telefon die Warenbestände direkt aus einem SAP-basierenden Warenwirtschaftsystem ab und bestellt per Telefon und Spracheingabe. Selbst der Lagerist benötigt in dieser konvergenten Welt keinen kostspieligen Spezialcomputer mehr zur Bearbeitung der Aufträge, sondern bewerkstelligt dies einfach über sein IP-Telefon. Damit wird nicht nur die Prozesskette drastisch verkürzt, sondern es werden auch Fehlerquellen ausgeschlossen.

Das klingt kompliziert und teuer? Dem ist nicht so, denn in vielen Fällen erfüllen die heutigen IT-Netze - wenn einige Besonderheiten der VoIP-Kommunikation beachtet werden - bereits diese Voraussetzungen. Neben der Technik spielt der Faktor Mensch bei einer erfolgreichen VoIP-Migration eine wichtige Rolle. Um das gesamte Synergiepotenzial auszuschöpfen, sollten alle Betroffenen in das Projekt einbezogen werden. Dazu zählen nicht nur die IT- und TK-Abteilung, sondern auch die Nutzer selbst, die später die Konvergenz in der Praxis leben. Gerade das Fachwissen der Anwender hilft, unerkannte Synergiepotenziale zu realisieren. So wurde etwa in der Anfangszeit der IP-Telefonie die so wichtige Sekretärinnen-Funktion bei den Telefonen der Management-Etage vergessen, weil die betroffenen Personen nicht in den Innovationsprozess involviert waren.

Bei der Realisierung eines individuellen Synergiepotenzials sollten Unternehmen auf die Experten von Systemhäusern zurückgreifen, die sowohl in der IT- als auch der TK-Welt zu Hause sind und bereits in der Konzeptionsphase beratend zur Seite stehen.

VoIP ist nicht gleich VoIP

Dass VoIP mehr als ein kurzfristiger Hype in der schnelllebigen IT-Welt ist, zeigt sich spätestens bei der Suche nach dem passenden Partner für ein Migrationsprojekt. Das Angebot an VoIP-Dienstleistern wird immer unübersichtlicher. Laufend betreten neue Marktteilnehmer das Feld, beispielsweise US-Unternehmen, die bislang in Europa nicht aktiv waren. Allerdings erfüllt nicht jede Offerte, die sich mit dem Titel "Business-Lösung" schmückt, die hohen Anforderungen eines Unternehmens. So existieren am Markt Angebote, die eigentlich eher dem Bereich Internet-Telefonie zuzuordnen sind, weil sie das öffentliche Internet als Backbone nutzen. Dass bei solchen Angeboten kaum Service-Level-Agreements (SLAs) oder Quality of Services (QoS) garantiert werden können, versteht sich fast von selbst. Ob diese Angebote langfristig wirklich günstig sind, zeigt sich spätestens beim ersten längeren Ausfall des TK-Services oder wenn sich Kunden über die mangelnde Sprachqualität beklagen.

Selbst wenn der Anbieter ein eigenes Backbone für das Telefonieren per VoIP betreibt, garantiert das noch nicht automatisch eine hohe Qualität. Oft agieren diese Dienstleister nur als virtuelle Netzbetreiber auf der Infrastruktur anderer Carrier und haben deshalb nur bedingt Einfluss auf die Qualität dieser Verbindungen. Ein anderes Kriterium, das bei der Wahl des passenden Partners zu beachten ist, sind die Serviceklassen der MPLS-Netze (MPLS = Multi Protocol Label Switching). Diese kommen häufig bei der standortübergreifenden Sprach-Daten-Vernetzung zum Einsatz. Sie erlauben es, der IP-Telefonie als kritischer Echtzeitanwendung die höchste Priorität einzuräumen, während das Warenwirtschaftssystem die zweithöchste Prioritätsstufe erhält. Ist das Netz stark belastet, hat die Sprachtelefonie gegenüber allen anderen Anwendungen Vorfahrt. In der Praxis offerieren die Anbieter unterschiedlich viele Serviceklassen. Während der eine Netzbetreiber aus Kostengründen nur mit drei Klassen operiert, erlauben andere die Definition von bis zu sechs Klassen. Letzteres hat den Vorteil, feinere Abstufungen zu definieren und so den reibungslosen Betrieb der wichtigsten Anwendungen sicherstellen zu können. Auf der sicheren Seite ist, wer sich für einen Anbieter entscheidet, der auch bei VoIP ein "carriergrade Netz" offeriert. Hier erfüllen Ausfallsicherheit, Quality of Service und Reaktionszeiten im Fehlerfall auch höchste Ansprüche. Auf ein solches Netz sollte der Anwender nicht nur bei der Standortvernetzung, sondern auch beim Auslagern einer TK-Anlage Wert legen, wenn eine Hosted- oder eine mandantenfähige Lösung angedacht ist, die im Rechenzentrum des Servicepartners steht.

Migrationswege

Doch nicht nur bei der Infrastruktur interpretieren die Anbieter VoIP unterschiedlich. Gleiches gilt auch für die VoIP-TK-Anlagen selbst. Ein VoIP-fähiges oder VoIP-ready Angebot bedeutet nicht automatisch, dass es sich um eine echte IP-Lösung handelt. Häufig sind dies klassische TK-Anlagen, an die nachträglich eine IP-Unterstützung angekoppelt wurde. Ebenso ist bei Hybridanlagen - die eine langsame Migration von der alten TK-Welt in die neue VoIP-Umgebung erlauben - darauf zu achten, ob das System im Kern wirklich auf IP-Technik basiert. Ein weitere grundsätzliche Entscheidung ist die Frage, ob bei VoIP besser dedizierte Call-Server auf eigener Hardware zum Einsatz kommen, oder eine Softwarelösung. Bei dieser erledigen andere Server die VoIP-Aufgaben, oder ein Teil der Telekommunikationsaufgaben wird direkt an den Arbeitsplatz-PC delegiert. Ein Beispiel dafür ist etwa "Octopus Netphone" als Applikations- oder als Integrationslösung. Je nach Einsatzszenario hat jede dieser Lösungen ihre Vor- und Nachteile.

VoIP-Outsourcing

Eine Alternative zum Betrieb einer eigenen VoIP-Lösung ist das Outsourcing oder Outtasking. Die einfachste Form sind dabei "Managed-Lösungen". Hier stehen die Call-Server beim Anwender, und der Partner übernimmt über die Datennetze per Fernzugriff die komplette Wartung, Konfiguration sowie den Betrieb. Es gibt auch die Möglichkeit, dass ein Unternehmen seine Telekommunikation komplett dem Partner überlässt und inhouse nur über IP-Telefone verfügt. Der Partner betreibt dann in seinem Rechenzentrum die VoIP-TK-Anlage und offeriert entsprechende TK-Services als Dienstleistung. Bei diesem Outsourcing-Szenario sind zwei Spielarten zu unterscheiden: Hosted- und netzzentrische Lösungen. Bei der "Hosted-Variante" existiert für den Anwender im Rechenzentrum ein dedizierter Call-Server auf eigener definierter Hardware. Bei netzzentrischen Angeboten wird dagegen die VoIP-TK-Anlage eines Anwenders virtuell auf einem größeren Call-Server-Verbund betrieben.

Deshalb ist bei entsprechenden Offerten darauf zu achten, dass Leistungsmerkmale, wie wir sie aus der ISDN-Welt gewohnt sind, auch von dem jeweiligen netzbasierten Dienstangebot unterstützt werden. Dazu zählen etwa "Find me, follow me" (Anrufweiterleitung auf das Handy oder den privaten Festnetzanschluss), Makeln, Rückruf, Anrufweiterleitung, Konferenzschaltungen oder Rufnummern- und Namensanzeigen. Ebenso sollte auch das Leistungsspektrum und das Anlagenangebot geprüft werden: Offeriert der Partner in spe eine komplette Rufnummernportierung mit Nummernplänen? Welche Verfügbarkeit garantiert er? Wie ist es um die Ausfallsicherheit bestellt? Skaliert das Angebot, wenn das eigene Unternehmen wächst und mehr Telefonanschlüsse (Ports) benötigt werden oder zusätzliche Funktionen gewünscht sind?

Interoperabel mit SIP

Unabhängig von der gewählten Lösung sollte man unter Aspekten der Investitionssicherheit und um das Synergiepotenzial auszuschöpfen, noch auf einen anderen Punkt achten: Unterstützt die ins Auge gefasste Variante das Session Initiation Protocol (SIP)? SIP hat sich in der VoIP-Welt als De-facto-Standard etabliert, über den die verschiedenen Komponenten wie IP-Telefone oder Call-Server miteinander kommunizieren und Telefonate aufbauen.

Berücksichtigen Unternehmen bei einem VoIP-Projekt diese Besonderheiten, dann profitieren sie in der Praxis von mehr als nur geringeren Telefongebühren. Das wahre Potenzial von VoIP liegt in der Verknüpfung der Sprach- und Datenwelt auf der Applikationsebene.