Die verschlüsselten Botschaften der Arbeitszeugnisse

08.10.2007
Von Bert Stach
Anschreiben, Lebenslauf und Arbeitszeugnis sind die wichtigsten Informationsquellen über Bewerber. Ob diese zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, machen Personalverantwortliche auch am Arbeitszeugnis fest. Das kann verschlüsselte Botschaften enthalten, die nur auf den ersten Blick positiv sind.

Anton Meier (Name von der Redaktion geändert) arbeitet als Systemadministrator bei einem Lebensmittelhersteller und hat angesichts des vorliegenden Zwischenzeugnisses eigentlich ein gutes Gefühl. Hier fand sich folgende Bewertung: "Herr Meier hat sich aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung und seines umfassenden Fachwissens sehr schnell in sein neues Aufgabengebiet eingearbeitet. Er zeichnet sich durch Zielstrebigkeit, Gewissenhaftigkeit und Verlässlichkeit aus. Auf Grund seiner raschen Auffassungsgabe findet Herr Meier sich in neuen Situationen gut zurecht, erkennt Probleme, analysiert diese und ergreift sofort die Initiative für die Entwicklung von Lösungsansätzen.

Besonders hervorzuheben ist sein Engagement beim Support für die Außendienstmitarbeiter.

Die ihm übertragenen Aufgaben erledigt er außerordentlich umsichtig, selbständig und mit vollem persönlichem Einsatz stets zu unserer vollen Zufriedenheit. Seine Arbeitsergebnisse sind, auch bei schwierigen Aufgaben und bei Termindruck, von hoher Qualität. Wir haben Herrn Meier als einen überaus engagierten und extrem belastbaren Mitarbeiter kennen gelernt...."

Die Wahrheit hinter der Formulierung

Auf den ersten Blick scheint Meier gut bewertet worden zu sein ("überaus engagiert", "außerordentlich umsichtig", "stets zu unserer vollen Zufriedenheit", "in jeder Hinsicht voll und ganz"). Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass wesentliche Soft- und Hardwarekenntnisse, die von einem Systemadministrator erwartet werden, nicht beurteilt wurden.

Insgesamt bleibt die Bewertung sehr allgemein und bezieht sich nicht auf konkrete Anforderungen, die seine Aufgaben mit sich bringen. So trifft der Satz: "Er zeichnet sich durch Zielstrebigkeit, Gewissenhaftigkeit und Verlässlichkeit aus." auch auf viele andere Berufe zu. Ihm fehlt es an Aussagekraft, jedenfalls dann, wenn nicht ein klarer Bezug zur Tätigkeit hergestellt wird. Eher zu empfehlen wäre folgende Formulierung: "Herr Meier erfüllt seine Aufgaben gewissenhaft. Wir können uns darauf verlassen, dass er auftretende Probleme in der DV sofort angeht und zielstrebig behebt. Dabei kommen ihm seine umfassenden Kenntnisse und Erfahrungen stets zugute....."

Von guten und schlechten Noten

Die Leistungsbeurteilung im Arbeitszeugnis ist eine Bewertung, die sich an Schulnoten orientiert, von sehr gut bis ungenügend. Für Arbeitszeugnisse wurden in jahrzehntelanger Rechtsprechung eigene, standardisierte Formulierungen zur Bewertung entwickelt. Sie lauten:

1. sehr gut = Zufriedenheit + 3 Steigerungen; immer hervorragend); Beispiel: "Hat stets zu unserer vollsten Zufriedenheit …"

2. gut (= Zufriedenheit + 2 Steigerungen; überdurchschnittlich); Beispiel: "Hat stets zu unserer vollen Zufriedenheit …"

3. befriedigend (= Zufriedenheit + 1 Steigerung; durchschnittlich); Beispiel: "Hat stets zu unserer Zufriedenheit …"

4. ausreichend (= Zufriedenheit; gerade noch ohne Beanstandungen); Beispiel: "Hat zu unserer Zufriedenheit"

5. mangelhaft (= Bemühen/eingeschränkte Zufriedenheit; deutlich schlechter als der Durchschnitt); Beispiel: "Hat die Arbeiten insgesamt zu unserer Zufriedenheit erledigt …"

6. ungenügend (= Unzufriedenheit; absolut unbefriedigend); Beispiel: "Hat sich bemüht, die Arbeiten zu unserer Zufriedenheit zu erledigen …"

Soft Skills müssen bewertet werden

Außerdem fehlt es im vorgestellten Zeugnis an der Bewertung von weiteren Fertigkeiten wie Fremdsprachenkompetenz, Branchen- und Marktkenntnisse, betriebswirtschaftliches Know-how, die ebenfalls vorausgesetzt werden. Diese Kenntnisse sind nicht nur zu benennen, sondern auch zu bewerten. Und es fehlen Aussagen zu Soft Skills, also Meiers Maß an Flexibilität, Kontaktfähigkeit und Lernbereitschaft. Ein Systemadministrator sollte dies ebenfalls nachweisen können. (am)

Was ist mein Zeugnis wert?

Wer sein Arbeitszeugnis richtig lesen lernen will, kann sich an die Initiative "Ich bin mehr wert" wenden. Sie wurde von IT-Mitarbeitern gegründet und setzt sich für die Interessen der Beschäftigten in der IT ein. Dazu gehört auch eine differenzierte branchenspezifische Zeugnisberatung.