Die Unternehmen müssen in die Weiterbildung investieren

31.03.1989

Prof. Dr. Erich Staudt, Lehrstuhl Arbeitsökonomie an der Ruhr-Universität Bochum und Institut für angewandte Innovationsforschung ((IAI).

Viele Betriebe haben inzwischen die Erfahrung gemacht, daß sie nicht die Technik anbieten, die der Markt will und daß sie auch nicht die Technik zum Einsatz bringen, die optimal erscheint, sondern nur die Technik, die mit der verfügbaren Personalqualifikation beherrschbar ist. Der Traum von der voll automatisierten menschenleeren Fabrik, zusammengehalten von den Computern der fünften Generation, ist wieder einmal geplatzt. Auf der Strecke bleiben zahlreiche Fehlinvestitionen. In der Fertigung wurden unter der Parole "CIM" oder "flexible Fertigungssysteme " qualitative Überkapazitäten geschaffen, die sich bei unserer erweiterten Innovationsbewertung nicht rechnen. In Dienstleistung und Verwaltung wurden unreife Bürotechniken vernetzt. Nun stehen Investitionsruinen herum, weil das verfügbare Personal nicht in der Lage war, die unreife Technik in den Griff zu bekommen. Da die informationstechnisch totale Verknüpfung von Fertigung, Dienstleistung und Verwaltung nicht machbar ist, kehrt man in Wissenschaft und Praxis zurück zu modularen Fertigungssystemen oder teilautonomen Dienstleistungs- und Verwaltungszentren.

Die "neuen Techniken" sind immer noch "notwendige Fehlentwicklungen":

- "Fehlentwicklungen" deshalb, weil alle zwei Jahre eine neue Technikgeneration nachgereicht wird;

- "notwendig", weil nur auf diesem Wege über Versuchs- und Irrtumsprozesse solche Entwicklungs- und Innovationsprozesse wirklich ablaufen.

Nur wenige Betriebe kennen fortgeschrittene Methoden der Innovationsbewertung, um den für sie richtigen Einstiegszeitpunkt auszuwählen. Doch in immer mehr Betrieben macht man die Erfahrung, daß jene traumatischen Prognosen, daß der Mensch in Fertigung, Dienstleistung und Verwaltung durch Technik ersetzbar sei, falsch sind. Sie weichen zunehmend der Einsicht, daß man schon zur Sicherung der Systemverfügbarkeit dieser modernen Ausrüstung in viel höherem Maße als in der Vergangenheit auf qualifiziertes Personal angewiesen ist, und daß insbesondere dann, wenn man an der laufenden Weiterentwicklung aktiv teilnimmt, eine präventive Personalentwicklung die einzige Möglichkeit zur Vermeidung extremer Mißerfolge ist.

Der Einsatz neuer Techniken stellt in Fertigungs- und Büroberufen zum einen formale Qualifikationsabschlüsse auf Spezialgebieten über die Zeit in Frage, zum anderen kommt erschwerend hinzu, daß beim Einsatz solcher Innovation in entsprechenden Anwendungsfeldern überkommene fachliche Ausrichtungen um berufsfeldübergreifendes Know-how ergänzt werden müssen. So braucht der Maschinenbauer Steuerungs- und Regelungstechnik und der Bürokaufmann informationstechnische Fähigkeiten. Die künftigen Anwendungsfelder entsprechen nicht mehr dem Verschnitt konventioneller Fachgrenzen, in denen die Ausbildung bisher abgelaufen ist.

Für die Zukunft sind daher zwei Trends zu erkennen, die überkommene fachliche Sektoren relativieren:

- zum einen der Zwang zu einer Horizonterweiterung in Anwendungsfeldern nach "links" und "rechts" ins Nebenfachliche und nicht nach "oben" ins Überfachliche oder sogenannte Schlüsselqualifikationen;

- zum anderen werden, wenn dieser dynamische Eintritt in neue Technikfelder und die Anwendung abläuft, spezielle Inhalte über die Zeit zum Austausch gezwungen.

Wenn also ein Betrieb seine zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sichern will, dann ist es nicht mehr ausreichend, wenn 10 oder 20 Prozent der Belegschaft Ingenieurniveau erreichen oder 50 Prozent Facharbeiter im Betrieb eingesetzt werden. Die zukünftige Entwicklung und die jeweilige Wettbewerbsfähigkeit hängen sehr stark davon ab, daß eine "Up-to-date-Qualifikation" zur Bewältigung der Entwicklungsphasen verfügbar ist.

Eine aktive betriebliche Bewältigung von Innovation setzt damit voraus, daß nach dem formalen Erstabschluß in Eigeninitiative, aber auch in betrieblicher Initiative entsprechende Weiterbildungsaktivitäten entfaltet werden, die die Weiterbildung im eigenen Fach betreffen und nicht mehr nur im Überfachlichen. Darüber hinaus werden Entwicklungen im betrieblichen Anwendungsfeld notwendig und relevant, die Nebenfächer einbeziehen Der viel beschworene Computerführerschein ist unter diesen Umständen zu wenig. Die Teilnahme an der weiteren Entwicklung bedeutet vielmehr eine vollständige Neuentwicklung der Weiterbildung, die anders und besser als in der Vergangenheit strukturiert werden muß.

Die Unschärfe der technischen Entwicklung und die Notwendigkeit, mit der Personalentwicklung in Vorlauf zur technischen Entwicklung zu kommen, machen es erforderlich, Qualifikationspotentiale im Betrieb aufzubauen. Die Abstimmung von technischstrukturellen Entwicklungen und der betrieblichen Personalentwicklung ist nämlich kein technokratisch planerischer Akt. Sie erfordert vielmehr eine Neuorientierung der Führungsphilosophie und entsprechende Vorkehrungen zur Beherrschung von kurzzyklischen Abstimmungsprozessen.

Eine derartige Abstimmung von Unternehmens- und Personalentwicklung muß man als kontinuierlichen Prozeß und nicht als einmalige informatorisch prognostische Hochleistung begreifen. Und diese Abstimmung muß darüber hinaus innerbetrieblich stattfinden. Dies macht es unmöglich, entsprechend dem heute so beliebten Alibimuster, Qualifikationsengpässe an außerbetriebliche Erst- und Weiterbildungsadressaten zu verlagern und in einer von der öffentlichen Hand finanzierten Qualifizierungsoffensive zu erledigen. Viele Betriebe sehen zunehmend ein, daß derartige aktuelle Qualifikationsengpässe nicht durch die Initiative öffentlicher Bildungseinrichtungen zu schließen sind, da

- die Zeitkonstante zur Umsteuerung solcher öffentlicher Systeme für betriebliche Zwecke viel zu groß ist; - angesichts der erhöhten Ungewißheit inhaltlicher Art es dringend erforderlich ist, daß die Betriebe selbst das unternehmerische Risiko eingehen und in die Mitarbeiterschaft investieren.

In vielen Betrieben besteht daher inzwischen die Bereitschaft, nicht mehr nur in neue Techniken, sondern auch in die Mitarbeiter zu investieren.

In dieser Situation wird dann aber besonders schmerzhaft bewußt, daß hier instrumentelle und methodische Defizite bestehen, Unternehmens- und Personalentwicklung vernünftig aufeinander abzustimmen. Selbst die wenigen guten Personalentwickler und Weiterbilder in den Betrieben haben erhebliche Probleme, weil sie selbst exzellente Weiterbildungskonzepte nur gegen erhebliche Widerstände aus dem sogenannten "Tagesgeschäft" durchsetzen können.

Ein Teil dieser Probleme resultiert aus der nicht besonders hochgradigen Stellung der Weiterbildungs- und Personalressorts im Betrieb und aus dem mangelnden Engagement vieler Linienvorgesetzter im Bereich der innerbetrieblichen Weiterbildung. Viele Linienvorgesetzte und Mitarbeiter sind aufgrund von hochverdichteten Restarbeitszeiten und sehr kurzfristiger Orientierung für die notwendigen langfristigen Investitionen in dem Weiterbildungssektor kaum ansprechbar.

Außerdem haben sie die Erfahrung gemacht, daß die Ansteuerung von Anpassungsaktivitäten über ausgelagerte Stabspositionen und arbeitsplatzferne Weiterbildungsaktivitäten nicht nur äußerst umständlich, zeitaufreibend und kostenintensiv ist, sondern auch angesichts der Planungsungenauigkeiten zu erheblichen Unschärfen führt.

Angesichts dieser Vorbehalte stellt sich die Frage, inwieweit Personalentwicklung und damit verbundene Weiterbildung wirklich arbeitsplatzfern angesteuert und durchgeführt werden soll oder ob nicht eher ein Verzicht auf die Umwegplanung und Durchführung über Personalressorts und externe Weiterbildung geboten erscheint und ein höherer Einsatz des Linienpersonals selbst zur Verminderung von entsprechenden Durchführungswiderständen und Fehlsteuerungen führen. Derartige Lösungsmöglichkeiten kann man zum Beispiel in japanischen Betrieben vorfinden, wo wesentliche Teile der mit neuen Techniken erforderlichen Weiterbildung nicht arbeitsplatzfern angesteuert und durchgeführt werden. Die Erfahrung des Instituts für angewandte Innovationsforschung in Japan zeigen recht gute Erfolge beim Einsatz von Linienführungskräften im Bereich der betrieblichen Weiterbildung.

Wir befinden uns also am Anfang einer Entwicklung, die nicht nur neue und andere Professionalitäten von Personal und Weiterbildungsfachleuten erfordert, sondern auch eine höhere Sensibilisierung und Vorbereitung der Linienvorgesetzten zur Ansteuerung und Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen. Dies wird in der nächsten Zeit in all den Betrieben durchbrechen, wo man nicht nur die Einsicht gewinnt, daß Investitionen in neue Techniken ohne Parallelinvestitionen in das Humankapital ökonomischer Unsinn sind, sondern auch die eigenen Weiterbildungsaktivitäten effektiver und effizienter in die Unternehmensentwicklung integrieren will.