Die Unabhaengigkeit von X/Open ist in Gefahr HP und IBM steuern ueber COSE die Schaffung offener Standards Von CW-Redakteur Hermann Gfaller

02.07.1993

MUENCHEN - Die Zeiten industrieweiter Organisationen =a la OSF und Unix International sind offenbar vorbei. Der ergebnislosen Diskussionen ueberdruessig, haben sich IBM und HP mit dem Common Open Systems Environment (COSE) eine Plattform zur Fixierung von Standards geschaffen, die dann vom X/Open-Konsortium das Guetesiegel "offen" erhalten sollen.

"IBM und HP sind weltweit die umsatzstaerksten Rechneranbieter. Das erleichert es, Standards durchzusetzten - zumal, wenn man im Team auftritt", beschreibt Bernard Guidon, European Marketing- Direktor Computer Systems bei HP, unverbluemt das Vorgehen der beiden COSE-Initiatoren. Die Unternehmen haben die Gruppe ins Leben gerufen, um im kleinen Kreis mit den Novell- Tochterunternehmen Univel und USL sowie mit SCO, Sun und neuerdings auch mit DEC die Standardisierung offener Systemumgebungen voranzutreiben.

Die dort verabredeten Techniken fuer die Bereiche Benutzeroberflaechen, Middleware und Multimedia werden als Standardisierungsvorschlaege an das X/Open-Konsortium zur Spezifikation weitergereicht. Diese Gruppe, der auch die COSE- Mitglieder angehoeren, hat sich bereit erklaert, die Vorschlaege im Eilverfahren zu behandeln.

"Das Gremium sieht seine Chance, im Kielwasser von IBM, HP und Co. an Bedeutung zu gewinnen, nachdem es nach dem ergebnislosen Dauerstreit um die richtige Benutzeroberflaeche jahrelang nahezu paralysiert war", urteilt Stephen Sampson, Director Worldwide Operations der Ixi Ltd., eines Tochterunternmehmens des COSE- Mitglieds SCO, ueber das entgegenkommende Verhalten der Organisation.

In dieser Chance liegt nach Ansicht von Sampson jedoch auch die Gefahr, dass X/Open zum Erfuellungsgehilfen der COSE-Mitglieder verkommt. Schon jetzt gebe es unzufriedene Stimmen, die sich aufgrund des Fast-track-Verfahrens der X/Open um ihr Mitentscheidungsrecht betrogen saehen. Der Ixi-Manager hofft deshalb, dass die Organisation ihre Mittel intelligent nutzt, damit kein Unternehmen ein Uebergewicht erhaelt.

Kurt Gismalm dagegen, X/Open-Manager fuer Deutschland und Skandinavien, nimmt die gegenwaertige Rolle seiner Organisation ausschliesslich positiv wahr: "Es sind schon deshalb keine Probleme zu erwarten, weil die COSE-Mitglieder auch der X/Open angehoeren. Auf diese Weise ist bereits im Vorfeld der Konsens innerhalb der Industrie fuer einen moeglichen Standard gewaehrleistet."

Der X/Open-Manager sieht auch keinen Grund, warum das Eilverfahren dem Ruf seiner Organisation schaden sollte. "Warum", fragt Gismalm, "sollte es uns als Abhaengigkeit ausgelegt werden, wenn wir COSE-Vorschlaege spezifizieren, die von unseren eigenen Mitgliedern kommen."

Ixi-Manager Sampson kann in diesem beschleunigten Standardisierungs-Prozess keine Funktion fuer die lange Zeit so einflussreichen Open-Systems-Organisationen erkennen. Auch IBM und HP weinen der OSF und Unix International keine Traene nach. Im Gegenteil: Nach Auskunft von HP-Marketier Guidon wurde COSE gegruendet, um die langwierigen Entscheidungsprozesse in den Konsortien zu umgehen.

Innerhalb der COSE-Gruppe selbst machen weder IBM noch HP einen Hehl daraus, dass sie die Funktion der Vorreiter fuer sich beanspruchen. Sowohl HP-Chef Lewis Platt als auch Donna van Fleet, Software Developement Director der IBM, lassen sich gern als Fuehrungsgespann nicht nur von COSE, sondern auch der Open-Systems- Gemeinde insgesamt bezeichnen.

Der Einfluss von IBM und HP stuetzt sich aber nicht nur auf die Marktposition der beiden Firmen. Laut Ixi-Topmanager Sampson beruht er auch darauf, dass die beiden Hersteller den Grossteil der anfallenden Arbeit leisten. "Unter diesen Umstaenden ist es nur natuerlich", so Sampson, "dass hier ein gewisses Ungleichgewicht entsteht." Fuer das Leitgespann spreche jedoch, dass es sich bisher durchaus diskussionbereit gezeigt habe. Inwieweit sich die anderen Mitglieder gegen das Duo HP und IBM durchsetzten koennen, liegt daher nach Ansicht des Ixi-Managers vor allem an deren Bereitschaft, sich fuer eigene Ideen stark zu machen.

Doch in Sachen Engagement sind IBM und HP derzeit nur schwer zu schlagen. So preschte das Gespann gerade erst mit der Ankuendigung vor, man werde die Objektmodelle der beiden Unternehmen verschmelzen. Obwohl auch Sun und DEC ueber aehnliche Techniken verfuegen, blieben die COSE-Mitglieder bei der Ankuendigung auf der Object World erst einmal aussen vor. Sun hat inzwischen jedoch nachgezogen.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass - wie sowohl IBM als auch HP bestaetigen - COSE nicht mit einer Zunge spricht. Die Standards werden vielmehr durch einzelne Fraktionen in bilateralen Vereinbarungen vorangetrieben, denen sich die anderen Mitglieder anschliessen koennen. Dabei steht es den Unternehmen frei, fuer die eingebrachten Techniken Lizenzabgaben zu verlangen.ea