Die neue Bescheidenheit deutscher Internet-Startups

Die Turnschuhe verschwinden im Schrank

23.03.2001
Die Startup-Gründer haben die T-Shirts mit den bunten Firmenlogos abgelegt und versuchen jetzt, als Vorstandssprecher im feinen Tuch ihre Unternehmen in die Gewinnzone zu bringen. Versierte Buchhalter und vor allem Freunde in der Old Economy sind gefragt. Der Größenwahn früherer Jahre ist einer neuen Bescheidenheit gewichen. Von Stefan Krempl*

Eigentlich wollten sich die drei Gründer des Berliner Startups Entaine wenigstens ein Monatsgehalt von 2500 Mark zahlen. Doch gesehen hat Heiko Schönborn, Ideengeber der Mitte Februar 2000 gegründeten Unternehmung, "das ganze Jahr über keinen Pfennig".

Statt reich und berühmt zu werden wie die Glamourjungs von Alando/E-Bay oder Yahoo, musste der Leiter des Content-Bereichs von Entaine in die Bude seiner Freundin ziehen, "die zum Glück die Miete übernommen hat". Wäre die Firma nicht sein eigenes Baby oder hätte er "wirklich Kohle machen" wollen, sagt der Gründer trotzig, "dann wäre ich längst ausgestiegen."

Wie hart das erste Jahr werden würde, hatte sich Schönborn vor dem Beginn seines Abenteuers Internet-Wirtschaft nicht im schlimmsten Albtraum ausgemalt. "Hey, was kostet die Welt", dachte er sich Anfang 2000, als er "all die tollen Startup-Storys in den Zeitungen" las und die Börsenkurse am Neuen Markt und an der Nasdaq nach oben fliegen sah.

"Promi"-Interviews zählen nichts mehrMit der simplen Idee, Interviews mit Stars aus dem Film- und Musikgeschäft übers Internet an möglichst viele Medienabnehmer zu vermarkten, gründete der ehemalige Radiomoderator zusammen mit einem "Zahlendreher" und einem von der Hamburger Agentur Kabel New Media kommenden IT-Experten im Januar vergangenen Jahres Entaine als GbR.

"Eigentlich wollten wir ganz langsam und organisch wachsen", erinnert sich Schönborn. Doch als den Jungmanagern klar wurde, dass ihre Idee leicht zu kopieren ist, ließen sie sich vom damals herrschenden Hype rund ums Venture Capital anstecken und hatten auch schon bald eine Frühfinanzierung in Höhe von 125000 Euro in der Tasche. Doch dann begann das große Bibbern. Nach der Delle an den Wachstumsbörsen und ersten spektakulären Pleiten wie der Bruchlandung von Boo.com "ging nichts mehr", klagt Schönborn.

Venture Capitalists bekamen kalte FüßeDen Geldgebern war das Content-Geschäft plötzlich viel zu riskant, sie verstanden die Idee mit den Promis nicht (mehr). Vor dem Aus rettete die Firma erst Ende Januar eine Geldspritze eines Investors aus dem Mediengeschäft, der von Entaine Content kaufen will. Mit der einstelligen Millionensumme glaube man nun, sich bis zum Jahresende über Wasser halten zu können.

So wie Entaine kämpfen momentan zahlreiche junge Unternehmen zwischen Hamburg und München ums Überleben und müssen sich einiges einfallen lassen, um in der schon ein Jahr andauernden Börseneiszeit nicht zu erfrieren. Angesichts zugeknöpfter Investoren und abgeschreckter Anleger heißt es für alle Player der New Economy sich warm anzuziehen, die Kosten zu drücken und so schnell wie möglich Gewinne zu machen.

Um die Insolvenz zu vermeiden, stellen immer mehr Gründer ihre Business-Modelle von B-to-C (Business-to-Consumer) auf den nach mehr Geld riechenden B-to-B-Markt (Business-to-Business) um. Sind die schwarzen Zahlen noch in weiter Ferne, bleibt nur die Suche nach einem Investor aus der Old Economy mit langem Atem und langer Leine.

Der plötzliche Klimaumschwung hat viele Startups wie Entaine kalt erwischt. Im März 2000 hatten sich die meisten am Neuen Markt notierten Firmen noch einmal zu Höchstkursen aufgeschwungen. Doch dann ging es rapide bergab: Der Nemax-Index ist zwischen März 2000 und Februar 2001 von fast 9000 auf deutlich unter 2000 Punkte gefallen und zeigt kaum Tendenzen zur Erholung.

Götterdämmerung am Neuen MarktMit Gigabell und Teamwork gab es zwei spektakuläre Pleiten an der Börse. Auch dem in Frankfurt gelisteten Power-Shopper Letsbuyit.com ging die Puste aus: Die vorläufige Rettung durch eine Notinfusion von rund 52 Millionen Euro im Februar entwickelte sich zu einer Provinzposse, als der Münchner Ex-Hacker Kim Schmitz den Machern der Shopping-Site sein Geld aufdrängen wollte.

Allein gut 30 Startups - darunter der Freemailer GMX, der zum Medienriesen Bertelsmann gehörende Buchversender BOL.de sowie das 3D-Softwarehaus Blaxxun - verschoben im vergangenen Jahr aufgrund der Marktlage die Kapitalbeschaffung über die Börse in eine ungewisse Zukunft. Andere Internet-Firmen wie der Tickethändler Gaudia.com oder das der Musikindustrie nahe stehende Startup Dock11. com mussten im Herbst Konkurs anmelden.

Zurück blieb bei den gescheiterten Gründern oft nur die Empörung über den Wankelmut der sich von Geldgebern zu Geldverweigerern wandelnden Investoren. So wundert sich Christoph Zeinecker, Ex-Geschäftsführer von Gaudia.com, noch heute über die Venture Capitalisten, die "als besonders Erfolg versprechend gehandelte Business-Konzepte" von heute auf morgen fallen ließen.

"Die Geschwindigkeit, mit der der Glaube an neue Ideen ins Gegenteil umschlagen konnte, war atemberaubend und für viele Unternehmen eine unangenehme Überraschung", weiß Alexander Artopé, einer der Gründer der Berliner Firma Datango, die Software für sprachgeführte Touren über Websites entwickelt hat.

Doch viele Startup-Manager hatten mit ihrem von Börsenfantasien beflügelten Größenwahn selbst zur Krise beigetragen. Noch im Frühsommer, als die Zeichen bereits auf Sturm standen, eröffneten Netzküken wie Webmiles, Vitago oder die beiden ewigen Konkurrenten Dooyoo und Ciao.com schicke Büros in europäischen Metropolen wie London, Paris oder Mailand.

Von vermeintlichen Netzwerk- und Skaleneffekten geblendet, wollten die Kleinen innerhalb von wenigen Monaten international ganz groß werden. Die überzogenen Ambitionen gingen nach hinten los: Country-Manager finden, die zur Unternehmenskultur passen und trotzdem wie ein eigener Startup-Gründer handeln, Vertrauen in den lokalen, oft 20-köpfigen Teams aufbauen - "da tauchten 1000 Fragen auf einmal auf", stöhnt Alex Wit, Manager International Operations beim Verbraucherportal Dooyoo. Viele Ressourcen flossen in die Auslandsniederlassungen, die im Heimatmarkt dann fehlten.

Vitago zog als erstes Unternehmen die Konsequenzen und trennte sich im Spätherbst von seinen europäischen Büros. Webmiles zog Ende Dezember nach und löschte die Lichter in Stockholm. Teamwork gab Anfang des Jahres den Verkauf ihrer Töchter in England, Frankreich und Polen bekannt. Bei den meisten anderen Dotcoms liegen Expansionspläne auf Eis. Die Gründer haben sich daran erinnert, dass auch Branchenriesen wie SAP Jahrzehnte für die Internationalisierung brauchten.

Doch mit der neuen Bescheidenheit bei der Ausbreitung ins Ausland ist es noch nicht getan. "Grundsätzliche Probleme haben alle Startups, die nur mit Blick auf den Kapitalmarkt finanziert wurden", sagt Bernd Hardes.

Alleinstellungsmerkmale und Gewinne zählenDer Vorstand der Berliner Investmentfirma Econa fürchtet, dass daher noch einige Dotcoms in Deutschland das frostige Klima nicht überstehen werden: "Solange die Börsen nach unten zeigen und auf ihrem übersäuerten Niveau verharren, kommt noch einiges auf uns zu." Keine Chance gibt der Venture Capitalist all jenen Unternehmen, die nicht in absehbarer Zeit Geld verdienen. An den prinzipiellen Aussichten für Startups hat sich für Hardes durch den Börsencrash allerdings wenig geändert. "Wer ein gutes Geschäftsmodell mit mehreren Alleinstellungsmerkmalen hat, wird auch im Internet-Bereich weiter finanziert", sagt der 30-Jährige.

Ein neues Investment in ein Netz-Startup in den vergangenen Wochen kann Hardes, dessen Portfolio im Vergleich zum März 2000 deutlich abgemagert ist, allerdings nicht vermelden. "Es war einfach kein Business-Plan dabei, der unseren Erwartungen entsprochen hat."

Allgemein drehen die Geldgeber, die vor einem Jahr noch die Spendierhosen anhatten, längst jede Million dreimal um. So steckten die 14 führenden, in Deutschland aktiven Finanzierungsgesellschaften - darunter 3i, die TFG und Wellington Partners - im vierten Quartal 2000 "nur" noch rund 610 Millionen Mark als Lead- oder Co-Investoren in Startups. Das bedeutet gegenüber dem Vorquartal einen Rückgang um etwa 13 Prozent. Das durchschnittliche Beteiligungsvolumen sank im selben Zeitraum ebenfalls von 8,8 auf 5,4 Millionen Mark.

Vor kurzem noch für Frühinvestitionen bekannte Risikokapitalisten wie die Hamburger Earlybird konzentrieren sich zudem jetzt fast ausschließlich auf Folgefinanzierungen. Ohne solche weiteren Runden heißt es für Jungunternehmen, die noch keine Gewinne einfahren, schnell "Game over". Denn der Gang an die Börse zur Kapitalauffrischung ist momentan für kaum ein Internet-Startup eine Option: Rund die Hälfte der befragten Finanzexperten sieht 2001 kaum Chancen für ein Initial Public Offering (IPO).

Geld gibt es erst bei FolgefinanzierungenOb sich die neue Gründerzeit hierzulande vor ihrem eigentlichen Beginn schon wieder ihrem Ende zuneigt, hängt für Dooyoo-Chef Felix Frohn-Bernau daher vor allem von den Wagniskapitalgebern ab: "Die große Frage ist, wie sich die VCs verhalten, wenn die Börse zu ist." Auch die "etablierten" Startups seien anfällig, solange sie "von fremdem Geld leben".

Für seine eigene "Entscheidungsplattform für Verbraucher" rechnet Frohn-Bernau damit, dass die im vergangenen Frühsommer aufgenommenen 20 Millionen Euro in wenigen Monaten verbraucht sind. Obwohl das Management der im Dezember 1999 online gegangenen Firma daran arbeitet, noch Ende 2001 - statt wie bisher geplant 2002 - die Gewinnzone zu erreichen, führt folglich kaum ein Weg an einer weiteren Finanzierungsrunde vorbei.

Bis zum Sommer hat Dooyoo, das mit Werbung, Marktforschung, E-Commerce und fast 160 Mitarbeitern in fünf Ländern 2000 nicht gerade berauschende fünf Millionen Mark Umsatz erwirtschaftet hat, noch Zeit mit der Geldsuche. Zugleich wird kräftig gespart, wofür seit Mai der ehemalige McKinsey-Berater René Griemens als Kassenwart auf Vorstandsebene sorgt. Zur Seite steht dem 33-Jährigen seit kurzem der Controller Marcus Piepenschneider, der von einer IBM-Tochter zu Dooyoo wechselte und nun über der Buchhaltung brütet.

Instrumente der Old Economy greifenSeitdem bestimmen Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen und Zielvereinbarungen - sonst eher aus der klassischen Wirtschaft bekannt - das Startup-Leben. Nicht immer zur Freude der übrigen Mitarbeiter: Drei Angestellte feuerte Frohn-Bernau Anfang des Jahres nach einer Vorwarnung. Sie hatten ihr Soll nicht erfüllt.

Fast identisch ist die Situation bei der Münchner Konkurrenz. Eine ausgeglichene Bilanz erwartet Cornelius Rost, Marketing-Chef von Ciao, nicht vor Ende des Jahres. Obwohl die Macher des Portals für Produkttests im vergangenen Jahr den Schwerpunkt ebenso wie ihre Kollegen bei Dooyoo auf Kosteneffizienz gelegt und beispielsweise das Marketing-Budget vorübergehend "gegen Null" gefahren haben, ist "Richtung Sommer" neues Kapital nötig. Diesmal halten die Münchner, die ihre sechs Millionen Mark Umsatz aus dem vergangenen Jahr 2001 mindestens verdoppeln wollen, nach einem Geldgeber Ausschau. "Es geht allerdings nicht um einen Verkauf oder eine Übernahme", wiegelt Rost vorsorglich Gerüchte über eine anstehende Fusion mit Ciao oder der Flucht in die Arme der Old Economy ab: "Wir suchen allein eine Überbrückungsfinanzierung."

Im eigentlichen Online-Shopping-Bereich, wo der Wind am kältesten bläst, ist die Abneigung gegen Fusionen dagegen inzwischen einem gewissen Pragmatismus gewichen. Mitte Februar zogen beispielsweise die ehemaligen Konkurrenten Primus Toys, eine Tochter der Kölner Primus Online, und Toyzone die Konsequenzen aus dem Marktumfeld und schlossen sich zusammen. Die Mutter von Toyzone, die Münchner Internetmediahouse.com, erhofft sich durch den Merger Zugang zu den Vertriebs- und Logistikstrukturen von Primus Online, die zu 51 Prozent der Metro AG gehört. Die Konsolidierung im Web-Spielzeugmarkt dürfte damit allerdings noch nicht abgeschlossen sein: Rund ein Dutzend weiterer Internet-Spielehändler kämpft mit Primus Toyzone um die Budgets der Kids und ihrer Eltern.

Um im harten Wettbewerb nicht unter die Räder zu kommen, hat auch der deutsche Branchenprimus Mytoys.de aus Berlin seine Unabhängigkeit geopfert: Der Hamburger Otto-Versand hält inzwischen 74,9 Prozent an dem Startup, das im Weihnachtsquartal zehn Millionen Mark Umsatz erzielte. Ein Jahr zuvor waren es erst 2,5 Millionen Mark gewesen.

Die "Bertelsmänner" sollen es richtenFür viele Startups bringt die Flucht in die Arme eines finanzstarken Partners aus der Old Economy momentan die besten Überlebenschancen. "Wir hätten im Sommer auch allein weiter machen können. Doch nur mit Bertelsmann im Rücken konnten wir den Schritt in die Offline-Welt bewältigen", erläutert Patrick Boos, Marketing-Vorstand beim Münchner Rabattsystem Webmiles, die Hintergründe für das Zusammengehen mit den Güterslohern.

Das Gründerteam hatte im Herbst einer Beteiligung der Bertelsmann-Dienstleistungstochter Arvato an ihrem Unternehmen in Höhe von 70 Prozent zugestimmt. Nun hoffen die Münchner, sich mit Hilfe des Medienhauses gegen die Konkurrenz von Payback durchsetzen zu können. Das Rabattprogramm der Loyalty Partner GmbH, hinter der mehrheitlich eine Lufthansa-Tochter sowie die Metro AG stehen, hatte zu Beginn des Jahres bereits 800000 Nutzer übers Internet gewonnen, während zur gleichen Zeit nur 600000 Surfer Web-Meilen sammelten.

Wachstumschance oder letzte Rettung - seit sechs Wochen dreht sich das Übernahmekarussell. So entging auch die Berliner Firma N-Tree, die vor nicht einmal einem Jahr das Expertenportal Meome gestartet hatte, nur knapp der Zahlungsunfähigkeit: Der zu Mobilcom gehörende Provider Freenet übernahm im Spätherbst die Mehrheit an dem gebeutelten Unternehmen.

Zumindest strategische Partnerschaften sehen immer mehr Gründer als den sichersten Weg zum Erfolg. Die Samwer-Brüder Alexander, Marc und Oliver etwa setzten nach ihrem Erfolg mit dem von E-Bay aufgekauften Auktionshaus Alando mit ihrem neuen Baby Jamba.de, einem Portal fürs mobile Internet, von Anfang an auf die Old Economy: Das Startkapital in Höhe von 54 Millionen Mark kommt vom Telefonkonzern Debitel sowie den Unterhaltungselektronik-Ketten Media-Saturn und dem Electronicpartner-Verbund.

Gerade im umkämpften Mobile-Commerce-Bereich, der mit dem Ende des Portals Starwap bereits seine erste spektakuläre Pleite produziert hat, läuft ohne Rückhalt bei etablierten Anbietern wenig. Das Münchner Unternehmen 12snap.com hätte beispielsweise kaum die Massen für Auktionen übers Handy gewinnen können, wenn es nicht vom Start weg den Marktführer D2 für eine Kooperation gewonnen hätte.

Inzwischen lassen sich über 450000 Mobiltelefonierer SMS-Tipps für Gewinnspiele und Versteigerungen täglich aufs Handy schicken. Einen Volltreffer landeten die Pioniere aber auch mit ihrem TV-Spot, in dem Fußballstar Lothar Matthäus und seine Freundin beim Wandern online shoppen. "Der hat uns zum bekanntesten Startup Deutschlands gemacht", jubiliert Cyriac Roeding.

Nur das Firmenskelett blieb übrigDer Marketing-Leiter von 12snap unterfüttert die Behauptung mit einer entsprechenden Emnid-Umfrage. Geldsorgen plagen das Unternehmen, das den Nudeldynastie-Sprössling Michael Birkel zu seinen Gründern zählt, auch nicht. Im Herbst konnten die Münchner 73 Millionen Mark einstreichen - eine der höchsten Investitionssummen in ein europäisches Startup im vergangenen Jahr.

Viele Gründer hatten bei der Ausarbeitung ihres Geschäftsmodells ein weniger glückliches Händchen. Die Berliner Yoolia AG etwa ist ein Fallbeispiel für ein Startup, das nur aufgrund einer Kehrtwende um 180 Grad zumindest als Firmenskelett noch existiert.

Ende 1999 war die Firma wie das Gros der damals gegründeten Dotcoms mit einem Verbraucherportal gestartet. Durch das Matchmaking von anonymisierten Userprofilen mit Angeboten von E-Händlern und Anzeigen mit schnupfbereitem Kokain wollte das mit 8,5 Millionen Mark ausgestattete Startup die Surfer süchtig und im Jahr 2000 rund 1,5 Millionen Mark Umsatz machen. Zur Blütezeit der Company im Frühjahr 2000 arbeiteten 70 Mitarbeiter für die Firma. "Doch dann haben wir gemerkt, dass der E-Commerce im Verbraucherbereich einfach noch nicht so weit war", erinnert sich Andreas Hoffmann, einer der beiden Gründer von Yoolia.

Das größte Problem für Yoolia bestand in einer zwar zukunftsträchtigen, aber jedoch schwer vermittelbaren Idee. Denn welcher Surfer versteht schon, dass eine Firma die beim Online-Einkauf anfallenden Daten mit Hilfe eines Algorithmus zu Profilen verdichtet und sie anonymisiert E-Händlern zur Verfügung stellt? Yoolia wollte sich als "Infomediary" zwischen Anbietern und Konsumenten platzieren. Doch statt die Software anderen Websites anzubieten, wie es die Hamburger Konkurrenz Cocus.de tut, wollte man die Surfer ihre Einkäufe auf der Portalseite von Yoolia starten lassen. Die kritische Masse an Käufern wollte sich aber nicht einstellen.

Das Management-Team trat daher im Sommer voll auf die Bremse: Die Anmietung von Büros in Paris und London ließ sich gerade noch stoppen. Auch die Content-Produktion für die Verbraucherseite stellte man ein. Die Redaktionsmitglieder sowie die Teams, die für die Internationalisierung sorgen sollten, mussten gehen. Als im Herbst schon ein unterschriftsreifer Vertrag mit einem schwedischen Investor platzte, schien der Konkurs unabwendbar.

Doch die Gründer konnten mehrere Gläubiger, darunter Yoolias Provider sowie eine Werbeagentur, von ihrem neuen Business-Modell überzeugen: Nun sollte eine Empfehlungsmaschine aus dem Matchmaking-Service entstehen, kompatibel mit verschiedenen Verkaufssystemen wie Intershops Enfinity oder der Jakarta-Plattform der Schweizer Firma Hybris. Ende Dezember schloss Yoolia ihr Portal und erklärte sich zum Softwarehaus. Mit der neuen Strategie hofft das Vorstandsteam und seine auf zehn Programmierer abgespeckte Mannschaft, dieses Jahr 1,5 Millionen Mark Umsatz zu erreichen.

Über Umwege hat sich auch Datango an ihr derzeitiges Geschäftsmodell herangetastet. Mehr als ein Jahr lang hatte die im Frühjahr 1999 gegründete Berliner Firma zunächst ihre Lösung für multimediale Führungen über Websites im Konsumentenbereich getestet. Im Sommer startete das Portal Webride, auf dem Privatnutzer eigene Touren präsentieren können. C-to-C (Customer-to-Customer) hieß damals das Motto: Die Surfer sollten die Inhalte schaffen und damit Nahrung für die Online-Werbung produzieren. Mitte Februar präsentierte das sechsköpfige Gründerteam dann eine für Unternehmenskunden konzipierte Version der Navigations-Software und vermarktet seine Dienste seitdem als Hilfsmittel für elektronisches Customer-Relationship-Management-(E-CRM),der virtuellen Form des Kundenservice.

"Das Webride-Portal war für uns nur ein Showcase", erläutert Datango-Chef Artopé den Wandel. Für die Umsatz- und Erlösplanung habe es nie wirklich eine Rolle gespielt. Vorgesehen sei von Anfang an gewesen, 70 bis 80 Prozent der Einnahmen über den Verkauf der Tourenlösungen an Unternehmen zu erzielen. Sonst wären die Geldgeber - Atlas Ventures und der Ebay-Mitbegründer Pierre Omidyar steckten im Juni 20 Millionen Mark in die Firma - auch nicht zu ihrem Investment bereit gewesen.

Der Betrag soll laut Artopé ausreichen, um Datango bis zum Ende des Jahres am Laufen zu halten. Zu den Kunden des Unternehmens gehört neben der Hypo-Vereinsbank, Aral und Paybox und seit Februar auch T-Online. Der Provider will mit einer ersten Web-Führung die Besucher seines Portals zum Shoppen bringen.

Wie viele Startups durch die Umsetzung beziehungsweise die Neuausrichtung ihrer Geschäftsmodelle oder dank Partnerschaften mit etablierten Unternehmen schließlich die Börseneiszeit überstehen werden, wird von Experten noch kontrovers diskutiert. In einer von UPS in Auftrag gegebenen Studie zeigten sich Ende Januar mehr als die Hälfte der befragten europäischen Manager davon überzeugt, dass ein Großteil der neu gegründeten Firmen nicht mehr lange bestehen wird. Die deutschen Führungskräfte waren dabei allerdings optimistischer als etwa ihre britischen Kollegen.

Bitkom übt sich in DurchhalteparolenBernhard Rohleder, Geschäftsführer des Bundesverbandes Informationswirtschaft und Telekommunikation (Bitkom), sieht dagegen viele "tragende Ideen" bei Startups reifen. Die These vom Ende der New Economy hält der Lobbyist für übertrieben: Seit 1992 habe es 200000 Firmengründungen in der Informationstechnologie in Deutschland gegeben, darunter 2000 Internet-Firmen. Die Zahl der Konkurse sei dagegen noch "an einer Hand abzählbar."

Tatsächlich geht es den meisten deutschen Internet-Unternehmen hierzulande besser, als die Stimmung an der Börse vermuten ließe. Einer im Januar veröffentlichte Befragung der European Business School, Oestrich-Winkel, unter 1200 Firmen zufolge schrieben 58 Prozent der Startups im Jahr 2000 schwarze Zahlen. Weitere 35 Prozent wollen in diesem Jahr in die Gewinnzone kommen.

Der Mythos der Workaholics ist tot"Der Schock vom vergangenen Frühjahr ist vorbei", bringt Cornelius Rost von Ciao die Stimmung in der Gründerszene auf den Punkt. Pragmatismus habe sich breit gemacht, der im Herbst gepflegte Pessimismus sei einem "neuen Biss" sowie einer "Jetzt-erst-recht-Haltung" gewichen.

So verbissen ernst wie am Anfang nehmen die meisten Gründer und ihre Mitarbeiter die eigene "Mission" auch nicht mehr. Das zeigt sich schon daran, dass die langen Arbeitsabende in vielen junge Firmen der Vergangenheit angehören. Nur die Medien glaubten noch an die Mythen von den durchgearbeiteten Nächten, meint Daphne Rauch, Sprecherin von Dooyoo. Kürzlich musste sie einem Fotografenteam einen Korb geben: Ein Magazin wollte Bilder haben, in denen die Nachtarbeiter nachts um elf Pizza bestellen. "Um diese Uhrzeit ist bei uns keiner mehr da", enttäuschte Rauch die Knipser.

*Stefan Krempl ist freier Journalist in Berlin

Linkswww.entaine.com

www.gmx.de

www.vitago.de

www.ciao.com

www.dooyoo.de

www.yoolia-ag.de

www.webride.de

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Was entsteht aus der Asche des Neuen Marktes?Etoys vom Markt, Yahoo auf verzweifelter Suche nach Werbekunden, Amazon.com angeblich so gut wie zahlungsunfähig, Gigabell pleite und vom Kurszettel verschwunden - nur noch Pleiten, Pech und Pannen an der Nasdaq und am Neuen Markt? Einst mit großen Versprechungen gestartet, liegt die New Economy heute im Kreuzfeuer der Anschuldigungen, die sich Venture Capitalists, Anleger und Vorstände gegenseitig zurufen. Kaum jemand glaubt noch an die Kraft der Dotcoms, sich phönixgleich aus der Asche des Neuen Marktes erheben zu können. Schon eher, dass sie allmählich in die Kreisläufe der Old Economy eingegliedert werden. Sich mit Hilfe der vertrieblichen und strukturellen Kompetenz ihrer Kooperationspartner flügge zu machen, scheint das Begehren der "jungen Wilden". Ob sie eine Bauchlandung erwartet, ist ungewiss. Auf der anderen Seite des Grabens nutzen traditionelle Firmen wie der Otto Versand ihren Bekanntheitsgrad und gewachsene Kundenbeziehungen für ein profitables Internet-Angebot. Welches Modell macht schließlich das Rennen? Wir möchten Ihre Meinung kennenlernen. Besuchen Sie das Forum auf unserer Website www.cowo.de und beantworten Sie die Frage: "Was kommt nach dem Dotcom-Sterben?"

Abb: Börsenreif erst mit Gewinn

Sowohl den Zeitpunkt des Börsengangs als auch des Erreichens der Profitabilität sehen deutsche Internet-Startups jetzt realistischer. Quelle: Bain & Company