"Die Telekom muss schleunigst AG werden"

04.02.1994

Die Telekom hat fuer Berlin und Brandenburg ehrgeizige Plaene. In das Projekt Aufbau-Ost, das bis 1997 abgeschlossen sein soll, wollen die Bonner insgesamt 60 Milliarden Mark investieren - acht Milliarden Mark davon fuer das Projekt "Metropole Berlin- Brandenburg". Das Postunternehmen setzt dabei voll auf Berlin als Regierungssitz und Brandenburg als Speckguertel drumherum. Darueber und ob die schon teilweise eingerichteten Multimedia-Arbeitsplaetze in Bonn und Berlin mit Bildtelefon und Videokonferenzen der nach wie vor bestehenden Diskussion um den Regierungsumzug nicht einen ganz anderen Aspekt geben, befragte CW-Redakteurin Andrea Rausch das Vorstandsmitglied Technik, Netze der Telekom, Gerd Tenzer.

CW: Die Telekom konzentriert sich auf Berlin als Regierungssitz. Und nicht nur das - die Stadt waechst Ihrer Meinung nach auch durch Industrieansiedlungen. Nun ist es aber so, dass Schaetzungen nur einen geringen Zuwachs erwarten lassen. So soll Berlin im Jahr 2000 nur etwas ueber 3,6 Millionen Einwohner haben - heute sind es knapp 3,4 Millionen. Gehen Sie hier nicht von falschen Vorstellungen aus? Liegt da nicht eine Uebererwartung an Berlin vor?

Tenzer: Man muss hier zwischen dem Stadtgebiet und dem Ballungszentrum Berlin unterschieden. Der Grossraum hat bereits heute 4,3 Millionen Einwohner und wird durch die neue Bedeutung der Stadt weiter wachsen. Rund um das Stadtgebiet wird ein Speckguertel von Industrieansiedlungen entstehen. Insofern sind unsere Annahmen, die von einem Zuwachs im Ballungsraum um rund eine Million Einwohner in den naechsten zehn bis 15 Jahren ausgehen, durchaus realistisch.

CW: Wie wird die im Mittelfristplan der Telekom bis 1998 insgesamt vorgesehene Investitionssumme von rund 40 Milliarden Mark fuer Berlin und die neuen Bundeslaender finanziert?

Tenzer: Von den 40 Milliarden Mark entfallen knapp zehn Milliarden Mark auf das Metropole-Gebiet. Die Finanzierungsfrage fuehrt jedoch zu einem Kernproblem der Telekom: Die enormen Investitionen koennen nur per Kreditaufnahme getaetigt werden; das hat inzwischen dazu gefuehrt, dass unsere Verschuldung die 100-Milliarden-Mark-Grenze weit ueberschritten hat. Wir benoetigen also dringend neues Eigenkapital, deshalb muss die Telekom schleunigst AG werden.

CW: Vom Staats- zum Privatunternehmen - ein steiniger Weg.

Tenzer: In der Tat. Die Zeit draengt, aufgrund des derzeitigen Status quo als Noch-Behoerde und Quasi-Unternehmen sind wir extrem eingeschraenkt. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu koennen, brauchen wir einen freien Zugang zum Kapitalmarkt, zur Eigen- kapitalbildung und groessere Handlungsfreiheit auf den Auslandsmaerkten sowie Unabhaengigkeit von den Fesseln des oeffentlichen Dienst- und Haushaltsrechts. Ich hoffe deshalb sehr, dass die zweite Stufe der Postreform wie vorgesehen Anfang 1994 in die Tat umgesetzt wird.

CW: Information Highway - was bedeutet das fuer die Telekom?

Tenzer: Seit zehn Jahren bauen wir Glasfaserstrecken mit immer hoeheren Bandbreiten. Schon heute verfuegen die wichtigsten Trassen ueber eine Kapazitaet von 2,5 GB pro Sekunde, in der Entwicklung sind Systeme mit der vierfachen Bitrate. Unser mittelfristiges Ziel ist der Aufbau eines gleichermassen universellen wie intelligenten Breitband-ISDN mit Glasfaserkabeln auf der Basis der ATM-Vermittlungstechnik. Diese Informationsautobahn wird in der Lage sein, die Integration der unterschiedlichen Netze und Telekommunikationsdienste vom Telefon ueber Daten-, Buero- und Multimediakommunikation bis zum Bildfernsehen in TV-Qualitaet zu ermoeglichen.

CW: Wenn die Telekom es ermoeglicht, dass Sprache, Daten und Bilder mit enormer Geschwindigkeit uebermittelt werden, dann bietet es sich doch geradezu an, mit einer Hauptstadt Berlin und einem Bonner Parlamentssitz zu leben.

Tenzer: Das ist eine Frage, die ausschliesslich die Politiker beantworten koennen. Technisch waere das jedoch kein Problem. Wie Sie wissen, haben wir dem Innenministerium ein Angebot unterbreitet - unser "Bundesbehoerdennetz 2000" -, das auch in der Phase des Umzugs eine reibungslose Kommunikation zwischen Bonn und Berlin gewaehrleisten wuerde. Spezielle Multimedia-Arbeitsplaetze erlauben beispielsweise Videokonferenzen von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz oder das gemeinsame Bearbeiten von Dokumenten. Diese Art der Kommunikation ist sehr effektiv.

CW: Die Telekom - immer noch ein Gigant und mit rund 190000 Mitarbeitern in den alten und 40000 Mitarbeiten in den neuen Bundeslaendern muss sich doch immer intensiver mit den Mitbewerbern auseinandersetzen. Welche Arbeits- und Organisationsstrukturen muss die Telekom selbst einsetzen, um aus der Monopolsituation in eine Wettbewerbssituation zu wechseln?

Tenzer: Der Kunde ist fuer die Telekom das Mass aller Dinge. Das wird auch in der neuen Organisationsstruktur deutlich, die wir uns gegeben haben. Wir muessen flexibler und rascher auf Kundenwuensche reagieren koennen, als das bisher der Fall war. Ueberfluessige Hierarchien werden gekappt, Entscheidungs- und Weisungsprozesse optimiert. Nur so koennen wir unsere Kosten senken und Effektivitaet sowie Produktivitaet steigern, was absolut notwendige Voraussetzungen fuer marktgerechte Preise auch im internationalen Vergleich sind.