Dem Ausbau des Telefon- und Datex-P-Netzes kommt höchste Priorität zu

Die Telekom der DDR sieht in der Bundespost das große Vorbild

11.05.1990

MÜNCHEN - Die Telekom-Infrastruktur der DDR steht auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Dieses Fazit läßt sich nach einer Tagung des Münchner Kreises ziehen. Deshalb raten die Experten: Mit dem Aufbau von kompatiblen Netzen und Diensten muß im Nachbarland unverzüglich begonnen werden.

Viel vorgenommen hatte sich der Münchner Kreis mit seiner Fachkonferenz zum Thema "Telekommunikation in der DDR und der Bundesrepublik". In nur einem Tag wurde in einem Parforceritt die gesamte TK-Landschaft der beiden deutschen Staaten bewältigt. Wie ernst die Rolle der Telekommunikation im Einigungsprozeß genommen wird, zeigt sich darin, daß der Bundesminister für Post und Telekommunikation, Christian Schwarz-Schilling, der Veranstaltung als Stargast die Ehre gab.

Telekommunikation bringt DDR-Wirtschaft in Schwung

"Eine Konsolidierung der Wirtschaft in der DDR ist ohne umfassende Verbesserung der Infrastruktur auf dem Gebiet der Post und Telekommunikation nicht denkbar", unterstrich der Minister in seiner Eröffnungsrede. Schwarz-Schilling rückte damit die Bedeutung funktionierender Telekom-Netze für den Aufbau einer Marktwirtschaft im anderen Deutschland gleich ins rechte Licht. Er ließ aber auch keinen Zweifel daran aufkommen, daß sich die Deutsche Bundespost und die Deutsche Post im Zuge einer Postunion so rasch wie möglich vereinigen müssen.

Aus den Worten des Ministers war deutlich herauszuhören, daß der Deutschen Post dabei keine andere Wahl bleibt, als ordnungspolitisch unter den Mantel der Deutschen Bundespost zu schlüpfen. Dazu der oberste Dienstherr der West-Post: "Wir können jetzt die Postreform der BRD nicht noch in der DDR diskutieren." Schwarz-Schilling gab deshalb die Devise aus, die technischen Parameter auf die DDR zu übertragen, damit sie schnellstmöglich für die EG vorbereitet werde.

Deutsche Post nimmt die Struktur der Telekom an

Volle Rückendeckung in Sachen struktureller Anpassung scheint der Minister bei der Deutschen Post zu haben. In seinem Referat über volkswirtschaftliche Aspekte skizzierte Wilfried Günther, Leiter des Zentrums Bildung bei der ostdeutschen Telekom, ein organisatorisches Bild seines Arbeitgebers, das dem der Bundespost vor der Postreform entspricht. Da diese monopolistische Konstellation einer Postunion nicht förderlich sei, empfahl er die unternehmenspolitische Dreiteilung der Deutschen Post nach dem Muster der Bundesrepublik. Günther: "Das Poststrukturgesetz der BRD muß über ein Anpassungsgesetz auf die DDR übertragen werden."

Daß sich die Deutsche Post mit aller Macht an den Rockzipfel der Deutschen Bundespost klammert, scheint bei ihrer derzeitigen Telecom-Infrastruktur nur zu verständlich. Auf die Kurzformel "Es ist zum Weinen" brachte Dieter Köhler, Bereichsleiter Datenkommunikation im Institut für Post und Fernmeldewesen der Deutschen Post in Berlin, den Status quo der Telekommunikation. Tatsächlich fehlt es im Nachbarland an den elementarsten Dingen. So müssen Bürger der DDR länger auf den Anschluß eines Telefons warten als auf einen Pkw. 1,2 Millionen Telefonanträge schlummern zur Zeit unerledigt in den Schreibtischen der Deutschen Post. Bis heute sind erst 1,8 Millionen Hauptanschlüsse in der DDR geschaltet.

Dietrich Buchheim, Leiter des Instituts für Post und Fernmeldewesen der Deutschen Post, und auch alle anderen Experten geben daher dem raschen Ausbau des Telefonnetzes der DDR die absolute Priorität. Der gegenwärtige Anteil von 16 Anschlüssen pro 100 Einwohner sei, so Buchheim, unerträglich. Um das Niveau der Bundesrepublik bis 1995 zu erreichen, müßten jährlich eine Million Anschlüsse bereitgestellt werden. Da dies kaum zu realisieren sei, rechnet der Institutsleiter frühestens zur Jahrtausendwende mit einem Telefonnetz bundesrepublikanischen Zuschnitts.

Eine Steigerung des derzeit möglichen Gesprächsvolumens um rund 30 Prozent versprach indes Minister Schwarz-Schilling bis zum Ende des ersten Halbjahres. Gegenwärtig werde die Zahl der Telefonleitungen von der DDR in die Bundesrepublik von 395 auf 595 erhöht und in umgekehrter Richtung von 630 auf 830 aufgestockt.

DDR fängt bei Datennetzen am Nullpunkt an

Ferner bringe eine Erweiterung um 15 Kanäle im bereits vorhanden Glasfaserkabel von Uelzen nach Berlin eine Kapazität von 30 000 Telefonkanälen. Zusätzliche 30 000 Anschlüsse schafft die Bundespost Telekom außerdem durch die Installation von Lichtwellenleitern in Berlin.

Aber nicht nur im Bereich der Telefonie wird im anderen Deutschland zur großen Aufholjagd geblasen. Mehr oder weniger beim absoluten Nullpunkt fängt das Land in puncto Datenkommunikation an. Dazu der Ostberliner DV-Spezialist Köhler: "Ein Datenverkehr zwischen beiden deutschen Staaten findet zur Zeit praktisch nicht statt." Zwar könnte laut Köhler der Aufbau eines Datex-P-Netzes in der DDR sofort beginnen, doch sei dieses Vorhaben momentan durch die Cocom-Bestimmungen noch auf Eis gelegt. Vier bei der Siemens AG georderte EWSP-Systeme zur Datenvermittlung, die als Netzknoten für die Städte Berlin, Dresden, Chemnitz und Leipzig geplant sind, dürfen vorerst nicht geliefert werden. Sie stehen noch auf der Embargoliste.

Mit einer baldigen Aufhebung der Handelsbeschränkungen rechnet Schwarz-Schilling. Er verhandle ernsthaft mit den USA, damit rasch eine weitgehende Liberalisierung im Rahmen des Cocom erzielt werde, inbesondere eine Gleichstellung der DDR mit der Bundesrepublik.

Trotz der gegenwärtig angezogenen finanziellen Daumenschrauben sollen dieses Jahr noch 500 Millionen Mark in ein automatisches Datennetz der Deutschen Post investiert werden. Bis zu einem flächendeckenden Ausbau des Datex-P-Netzes - vermutlich im Jahr 2000 - sind nach Schätzung der Deutschen Post weitere 2,3 Milliarden Mark locker zu machen.

Als Geldgeber springt wahrscheinlich die große Schwester aus dem Westen, die Deutsche Bundespost Telekom, in die Bresche. Laut Gerd Tenzer, Vorstandsmitglied der Telekom, wolle das Unternehmen in den nächsten drei bis sieben Jahren rund 30 Milliarden Mark in die Telecom-Infrastruktur der DDR stecken. Man warte im Augenblick noch auf das grüne Licht des Aufsichtsrates der Telekom. Dessen Plazet scheint jedoch nur reine Formsache zu sein, zumal Schwarz-Schilling in seiner Rede sagte: "Die Vorfinanzierung der Telekom ist nötig, aber es gibt wohl auch kaum eine Investition, die sicherer ist als die in die Telekommunikation."

Gebühren der Post haben 40 Jahre überdauert

Zur Ehrenrettung der Deutschen Post muß jedoch erwähnt werden, daß das Unternehmen an der Staatsverschuldung, Angaben des Postministeriums zufolge, nicht beteiligt war. Vielmehr, so Werner Voigtländer, Leiter Hauptabteilung Betriebswirtschaft im Ministerium für Post und Telekommunikation, mußte die Deutsche Post ihre Gewinne zwangsweise an den Staat abführen. Die Investitionen hätten daher nicht einmal für die Instandhaltung des Telefonnetzes gereicht, geschweige denn für Innovationen.

Für Voigtländer steht die neue Marschroute aber schon fest: Unter die Gebührenpolitik der Deutschen Post muß spätestens mit der Währungsunion ein Schlußstrich gezogen werden, weil das gegenwärtige Gebührensystem in seiner Struktur seit 40 Jahren unverändert geblieben ist." Der Betriebswirtschaftler spricht sich deshalb für eine Anlehnung an die Gebührenstruktur der Telekom aus. Ferner rät er dazu, in einer ersten Phase Teilnehmer mit einem hohen Verkehrsaufkommen an Daten anzuschließen, damit Gelder in die Kassen der Ost-Post fließen.

Um die Marktwirtschaft in der DDR anzukurbeln, haben sich Arbeitsgruppen beider Ministerien darauf geeinigt, zunächst den Ausbau des Telefon- und Datex-P-Netzes zu forcieren. Parallel dazu sollen in den wichtigsten Städten und entlang der Autobahnen Mobilfunkstationen errichtet sowie freie Kapazitäten der Deutschen Bundespost Telekom, zum Beispiel im Bereich Btx, von der Deutschen Post genutzt werden.

Einig waren sich alle Referenten der Tagung darüber, daß der nahezu komplett neue Aufbau einer Telecom-Infrastruktur eine große Chance für die DDR bedeute.

So wies Roland Hüber, Mitglied Generaldirektion der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, auf den Vorteil der DDR hin, radikal auf neueste Techniken setzen zu können, weil die Telekommunikation dort auf der grünen Wiese gestartet werde. Hüber weiter: "Länder wie die Bundesrepublik, die heute eine gute Infrastruktur haben, sind durch ihre Investitionen blockiert."

Gute Prognosen für die Zukunft wagt daher auch Telekom-Vorstandsmitglied Tenzer für die Telekommunikation im anderen Deutschland: "Die DDR hat das Plus, ihr Netz innerhalb eines Innovationszyklus aufbauen zu können, ohne verschiedene technische Generationen unter einen Hut bringen zu müssen.

Die DDR wird daher in wenigen Jahren über ein technisch hochwertigeres Netz verfügen als die Bundesrepublik." Als ein Beispiel nannte Tenzer die Glasfaser, deren Verlegung bei der Verbesserung des Telefonnetzes möglicherweise auch schon im Ortsbereich sinnvoll sei.