Die Zukunft der Telearbeit (Teil 1)

Die Tele-Heimarbeit ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Thema

15.11.1991

Beim Thema Telearbeit scheiden sich die Geister. Einige prognostizierten ein Szenario, wo ein Großteil der Beschäftigten zu Hause arbeitet. Eine Studie des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung ergab, daß bei den dezentralen Arbeitsformen Tele-Heimarbeit an zweitletzter Stelle steht. Rolf Kreibich zeigt Chancen und Probleme der Telearbeit auf.

Die öffentliche Diskussion über die Telearbeit, insbesondere über einige Spezialformen wie Tele-Heimarbeit oder Arbeit in Nachbarschafts- und Satellitenbüros, hat sich in den letzten Jahren mehr durch sensationsheischendes Wiederholen bekannter Statements als durch neue empirische Daten ausgezeichnet. Tatsächlich steht hier die Menge der Publikationen in einem eklatanten Mißverhältnis zu ihrem empirischen Gehalt, so daß das kursierende Bonmot, die Zahl der Veröffentlichungen überstiege die Anzahl der Tele-Heimarbeitsplätze, die Forschungsrealität treffend charakterisiert.

Es gibt sicher gute Gründe, weshalb diesem Thema soviel Aufmerksamkeit geschenkt wird. So haben schon vorfahren verschiedene Futurologen wie Alvin Toffler, John Naisbitt oder Nike Macrae Szenarios entwickelt, die alle eine schnelle Verbreitung von Tele-Heimarbeitsplätzen zur Grundlage hatten. Diese Einschätzung wiederum basierte auf Prognosen amerikanischer Denkfabriken wie dem Massachusetts Institute of Technology, dem Institute for the Future oder Date Results Dallas.

Selbstverständlich mußten Studien, die für das Jahr 2000 prognostizieren, daß 40 Prozent aller US-Bürger in Tele-Heimarbeit tätig sein werden, große Beachtung finden. Denn selbst wenn der Prognosewert nur zur Hälfte eintreffen würde, wenn also "nur" 20 Prozent aller Bürger eines Industrielandes in Tele-Heimarbeit tätig wären, stünden wir bereits vor einer grundlegenden Veränderung der Arbeits-, Beschäftigungs- und Unternehmensstruktur. Die Folgen beträfen viele Bereiche: technische Informations- und Kommunikationsmuster, arbeitsorganisatorische Modelle, Betriebsstrukturen, arbeitsrechtliche Regelungen, Qualifikations-, Funktions- und Tätigkeitsmerkmale, soziale Beziehungen in den Unternehmen und im privaten Bereich, Lohnstrukturen, Mitbestimmungsmodelle, Arbeitsschutzregelungen und die Strukturen der Interessenvertretung.

Es besteht ein Trend zur Dezentralisierung

Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf Ergebnissen einer Studie des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin, im Auftrag des Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft (RKW) zum Thema "Dezentralisierung von Angestelltentätigkeiten mit Hilfe von Informations- und Telekommunikationstechnologien (Telearbeit)". Daß wichtigste Ergebnis: Während sich die Quantitative Entwicklung der Tele-Heimarbeit äußerst bescheiden aus. macht, war eine höchst differenzierte Entwicklung von neuen Dezentralisierungs-, aber auch Rezentralisierungstendenzen in der Arbeitsorganisation und der Unternehmensstruktur festzustellen, bei der die Telearbeit eine bedeutende Rolle spielt und voraussichtlich in zunehmendem Maße spielen wird.

Während also die spekulativen Zahlen zur Ausbreitung der Tele-Heimarbeit und die spektakulären Thesen über die Folgen der erhofften beziehungsweise gefürchteten Kombination von "Küche, Kindern und Computern" in ihrem Wirklichkeitsgehalt und ihrer Attraktivität schwinden, vollzieht sich in den Unternehmen die Neuorganisation von Tätigkeitsbereichen. Von den technischen, arbeitsorganisatorischen, rechtlichen und sozialen Formen und Folgen der Telearbeit werden hierzu entscheidende Einflüsse ausgehen.

Echte Tele-Heimarbeiter gibt es hier nur wenige

Diese Ergebnisse der Unternehmensumfrage in etwa 2500 Unternehmen führten zusammen mit einer fallweisen Untersuchung von Organsiationskonzepten und technischen Systemlösungen zu einer Klassifizierung von Dezentralisierungsmodellen. Nach der Häufigkeit der Nennungen durch die Unternehmen ergibt sich die folgende Rangfolge bereits vollzogener dezentraler Telearbeits-Formen:

1. Dezentralisierung innerhalb der bestehenden Betriebsstätte,

2. Verlagerung von Aufgaben auf bestehende Filialen und Tochtergesellschaften,

3. Auftragsvergabe an Fremdfirmen,

4. Aufgabenerweiterung und/ oder funktionale Stärkung des Außendienstes,

5. Neuschaffung von Zweigstellen,

6. Übertragung von Aufgaben an Tele-Heimarbeiter,

7. Übertragung von Aufgaben an den Kunden.

Betrachtet man die vollzogenen und die geplanten Dezentralisierungsformen nach ihrer Häufigkeit, so ist bemerkenswert, daß die Tele-Heimarbeit in beiden Fällen an vorletzter Stelle liegt.

Während die Dezentralisierung innerhalb der bestehenden Betriebsstätte bisher dominierte (Rang eins), fällt diese Form der Dezentralisierung bei den künftigen Planungen deutlich auf Rang drei zurück. Demgegenüber wird die Aufgabenerweiterung und/oder funktionale Stärkung des Außendienstes in Zukunft sehr wichtig, die Veränderung von Rang vier auf Rang eins weist das deutlich aus.

Erhebliche Potentiale für Telearbeitsmodelle

Diese Entwicklung entspricht dem weithin zu beobachtenden 'Trend, größere Markt- und Kundennähe und generell eine höhere Außenflexibilität der Unternehmen zu erreichen. Eine weitere typische Verschiebung zeichnet sich hinsichtlich der Übertragung von Aufgaben an Kunden ab. Die Veränderung vom bisher letzten Rang auf Rang vier ist für die Zukunft zu beachten.

In den wichtigen Wirtschaftsbranchen des Produktions- und Dienstleistungssektors ergaben sich erhebliche Potentiale für Telearbeits-Modelle. Für die Branchen des produzierenden Gewerbes gaben von den antwortenden Unternehmen 9,4 Prozent bereits vollzogene (v) und 8,1 Prozent geplante (g) Telearbeits-Formen an, für die Geld- und Versicherungswirtschaft (Banken, Sparkassen und Versicherungen) 15,8 Prozent (v) und 9,0 Prozent (g), für die öffentlichen Dienstleistungen (öffentlicher Dienst, Ortskrankenkassen und Rundfunkanstalten) 13,6 Prozent (v) und 11,8 Prozent(g).

Die Studie befaßt sich auch mit den Problemfeldern von Telearbeit wie beispielsweise:

- den benutzten Telediensten und Endgeräten,

- den für Dezentralisierung besonders relevanten Tätigkeitsfeldern,

- den wirtschaftlichen, technisch-organisatorischen und sozialen Problemen und Hemmnissen sowie

- den innerbetrieblichen Handlungsmodellen bei der Einführung neuer technischer und arbeitsorganisatorischer Systemlösungen.

Neben den betriebswirtschaftlichen und unternehmensstrategischen Zielen sind Aspekte, die sich auf die Arbeitsorganisation und die Motivation der Beteiligten beziehen, Gründe für die Einführung von Telearbeit:

- Wunsch nach Flexibilisierung der Arbeit,

- Statusverbesserungen durch den Umgang mit technischen Systemen,

- Erfordernisse direkter Beratungen,

- Art der Kontrolle und die Sicherheitsprobleme,

- soziale Kontakte und Qualifikationsmöglichkeiten.

Bezieht man solche Kriterien ein, dann kommt man zu den folgenden Tätigkeitsfeldern, die nicht mehr nur als Potential für Telearbeit gelten können, sondern für die zumindest mittelfristig Realisierungen zu erwarten sind:

- Programmieren und andere DV-Tätigkeiten,

- mobile Tätigkeiten, Kundenbetreuung (Handelsvertreter, Versicherungsvertreter, Journalisten),

- Zeichnen und Konstruieren,

- Dolmetschen und Übersetzen,

- Arbeit von Richtern, Anwälten und Hochschullehrern,

- Beratungstätigkeiten (auch der Stabsleute in den Unternehmen),

- Marketing,

- Wartung,

- Design,

- Textverarbeitung, Satzerstellung,

- Management-Tätigkeiten,

- PR-Tätigkeiten,

- Systementwicklung,

- Kontroll- und Überwachungstätigkeiten von Anlagen,

- Autorentätigkeiten sowie

- spezifische Sachbearbeitertätigkeiten.