Trotz fehlender Standards eine zukunftssichernde Investition

Die strukturierte Verkabelung macht Kommunikation flexibel

22.10.1993

Strukturierte Verkabelung ist eines der meistverwendeten Schlagworte fuer die Erschliessung von Buerogebaeuden geworden. Aber was ist damit eigentlich gemeint, wo liegt der Nutzen fuer den Anwender und den Buerohausbetreiber?

Eine Kabelinstallation muss heute mit viel mehr Benutzern fertigwerden als zu Mainframe-Terminal-Zeiten. Da Anwender inzwischen ihre Computerausruestungen bei vielen statt nur bei einem Lieferanten kaufen, hat die Verkabelung zu einer ganzen Reihe von Kommunikationsstandards kompatibel zu sein.

Daneben sollte die Verkabelung so flexibel sein, dass ein Umzug eines Arbeitsplatzes innerhalb des Gebaeudes nicht zu kostspieligen und zeitaufwendigen Kabelarbeiten fuehrt. Die Installation muss auch Upgrades an der eingesetzten Ausruestung zulassen und somit, soweit moeglich, auch zukuenftige Entwicklungen vorwegnehmen.

Kabel koennen als Antenne wirken

Schliesslich gilt es, bei der Auswahl eines Verkabelungssystems auch gesetzliche Bestimmungen zu beachten, insbesondere im Bereich elektromagnetischer Kompatibilitaet (EMC). Die Europaeische Kommission und andere Gremien kuemmern sich zunehmend um die elektrischen Interferenzen, die Computer und Peripheriegeraete erzeugen, und sind mit der Schaffung strikter Standards beschaeftigt, denen neue Installationen entsprechen muessen.

Inkorrekt spezifizierte oder installierte Kabel koennen auch als Sendeantenne wirken, die Interferenzen verursacht. Im Zusammenhang mit Standards ist dies keine triviale Ueberlegung, da zum Beispiel in Grossbritannien Inspektoren des Handelsministeriums die Befugnis erhalten werden, nicht standardgerechte Installationen ausser Betrieb zu setzen.

Die kontroverse Diskussion um die Einhaltung der Vorschrift EN 55022 zur elektromagnetischen Vertraeglichkeit spiegelt auch die Verunsicherung im Lager der Hersteller wider. Es gibt immer noch verschiedene Interpretationen der Regelung. Die Zentralstelle fuer die Zulassung fernmeldetechnischer Geraete (ZZF) und das Fernmeldetechnische Zentralamt (FTZ) vergeben naemlich keine Nummern fuer die Kabel selbst, sondern nur fuer die aktiven Systeme in Verbindung mit einem Kabel.

Ein gutes ungeschirmtes Verkabelungssystem ist unempfindlicher gegen Stoerungen von aussen als ein schlecht verarbeitetes geschirmtes System. Das haben Tests in den Bell Laboratories ergeben. Den praktischen Beweis hat AT&T im Juni 1993 in der Schweiz erbracht. Beteiligt war das unabhaengige Testlabor EMC Fribourg. Die Normen EN 55022 Class B und die vorlaeufige IEC 801.3 und 801.4 (EN 55024) wurden nicht nur eingehalten, sondern uebertroffen.

Die Spezifizierung eines Verkabelungssystems ist keine leichte Aufgabe. Es gibt zwei Vorgehensweisen: ad-hoc oder strukturiert.

Traditionell erfolgt die Planung aller Systeme auf Ad-hoc-Basis, also entsprechend den gerade vorliegenden Anforderungen und ohne jeden Versuch, gemeinsame Kabel fuer Sprache oder Daten oder auch nur fuer zwei unterschiedliche Computersysteme zu nutzen. Bei geringen Anforderungen mag das akzeptabel sein, Expansion oder Rekonfiguration ohne Neuverkabelung ist damit aber nicht zu leisten. Eine bessere Loesung ist die strukturierte Verkabelung. Strukturierte Installationen setzen sich aus einer Reihe einzelner Elemente zusammen. Die wichigsten sind die Steigleitungen, die horizontalen Verteiler und die aktiven Subsysteme (siehe Grafik).

Das Steigleitungs-Subsystem ist ein Koaxialkabel mit hoher Kapazitaet, ein Glasfaserkabel oder ein konventionelles Kupferkabel, das die einzelnen Geschosse eines Gebaeudes vertikal untereinander verbindet. In jedem Geschoss durchlaeuft dieses vertikale Erschliessungskabel ein aktives System, in dem jeder Kreis zu einem individuellen Port beziehungsweise einem Verteilerfeld verbunden ist. Aus diesem Verteilerfeld heraus verbindet die horizontale Verkabelung die Anschlusspunkte an jeden moeglichen Installationsort im Geschoss. Jeder horizontale Kreis endet ebenfalls in einem Port im aktiven System, so dass sich jeder horizontale Kreis mit jeder Steigleitung durch ein Verbindungsstueck zwischen den beiden Ports auf dem Verteilerfeld verbinden laesst. Mit geeigneten Verbindern sind die horizontalen Kreise auch als Ring, Star, Bus oder in jeder anderen gewuenschten Topologie konfigurierbar, die die verwendete Hardware verlangt.

Eine solche strukturierte Verkabelung bietet ein grosses Mass an Flexibilitaet.

Falls der eine oder andere Endbenutzer im Gebaeude mit seinem Computer umzieht, sind nur die Verkabelungsstuecke auf dem Verteilerfeld umzustecken, neue Verkabelung ist nicht erforderlich. Ebenso leicht sind neue Topologien durch zusaetzliche Verbindungen im aktiven System zu schaffen, sollten neue Systeme dies erfordern.

Diese Loesung basiert auf zwei grundsaetzlichen Voraussetzungen. Erstens muss die Verkabelung genug Kapazitaet haben, um mit Umzuegen oder zusaetzlicher Ausruestung fertig zu werden. Um dies sicherzustellen, muessen die Steigleitungen mit einer erheblichen Reservekapazitaet verlegt werden, und horizontal wird man nach dem Prinzip des "Flutens" verkabeln.

Dies bedeutet ganz einfach, dass man ein Gebaeude vorab mit Kabelkapazitaet quasi ueberflutet; an jedem bestehenden und jedem moeglichen Arbeitsplatz sind zwei Kabelausgaenge mit den entsprechenden Verbindungen zum aktiven System vorgesehen. Dies klingt auf den ersten Blick teuer, aber zwei Faktoren helfen mit, die Kosten zu reduzieren.

Der erste liegt in den Aufwendungen fuer die Erstverkabelung. Da Kabelkanaele, Steigleitungen und Gehaeuse offen sind, bleiben die Zusatzkosten fuer die Installation von zusaetzlichen Verbindungen relativ gering. Zweitens wirkt sich kostenreduzierend aus, dass strukturierte Installationen relativ preiswerte Kabel einsetzen koennen, so dass die Materialkosten pro Kreis gering sind.

Betrachtet man die Betriebskosten des Systems ueber seine Lebensdauer hinweg, wird das Verfahren sehr attraktiv. Auch bei nur geringen Aenderungen wird die strukturierte Verkabelung sich in weniger als zwei Jahren bezahlt machen, wenn man den Aufwand in Rechnung stellt, den jede Neuverkabelung sonst erfordern wuerde.

Die zweite prinzipielle Bedingung der strukturierten Verkabelung lautet, dass alle zu verbindenden Ausruestungen kompatibel zu dem gewaehlten Kabeltyp sind. Dies ist scheinbar in keiner Weise garantiert. So nuetzt Ethernet Koaxial-Kabel, viele IBM-Produkte verwenden abgeschirmte, die meisten PC-Netze dagegen ungeschirmte Zweidrahtleitungen. Die Anbieter haben dieses Problem jedoch durch die Entwicklung von Adapter-Einheiten geloest, die die Ausruestungen der Anwender ohne Leistungsverlust an die Kabelinstallationen anpassen. Ein Vorteil der Verwendung eines einzigen Kabeltyps ist, dass Anwender jederzeit neue Geraete einsetzen koennen, ohne sich um die Kabelkompatibilitaet kuemmern zu muessen. Fuer die Zukunftssicherheit einer Gebaeudeverkabelung ist dies ein wichtiger Gesichtspunkt und ausschlaggebend fuer eine gute Verzinsung des eingesetzten Kapitals.

Strukturierte Verkabelung hat noch mehr zu bieten. Da die Installation als System beschafft wird, wobei ein einziger Anbieter alle Komponenten ausliefert, muessen die Endanwender sich nicht noch um Kompatibilitaet und Entwurfsgesichtspunkte kuemmern.

Nur so ist zur Zeit ein ungestoertes Funktionieren der Verkabelung gegeben. Hierzu gehoert auch die Verlegung durch qualifizierte Installateure, die die Montagevorschriften der Kabel- und Systemlieferanten (Biegeradien, Zugkraefte, Abstaende zu Energieleitungen etc.) kennen und auch beachten. Sensibel sind immer noch die Steckverbindungen an der Wanddose beziehungsweise am Verteiler. Hier werden sich bei der 100-Mbit/s-Anwendung auf Kupferbasis Probleme der Reflexion und der Daempfungsinhomogenitaet einstellen.

Da Computerausruestungen meist im Zeitraum von vier Jahren abgeschrieben werden, bietet eine Fuenfjahresgarantie, wie sie zum Beispiel AT&T gibt, fuer die Kabelinstallation ein hohes Mass an Zukunftssicherheit.

Ein Bedenken, das viele teilen, die heute neue Kabelsysteme installieren muessen, betrifft den Einfluss der immer weiter verbreiteten Glasfasertechnologie. Wahr- scheinlich ist der wichtigste Standard in diesem Fall das Fiber Distributed Data Interface (FDDI). Installationen, die auf diesem Standard basieren, koennen grosse Datenvolumen sehr schnell uebertragen.

Heute moegen erst wenige der eingesetzten Computersysteme diese Uebertragungskapazitaet benoetigen oder nutzen koennen. Doch die Erfahrungen der letzten Jahre haben ein fast exponentielles Wachstum der Datenvolumen in fast jeder Anwendung gezeigt, und es gibt keinen Grund, fuer die Zukunft etwas anderes anzunehmen. Allein dieser Faktor reicht aus, eine FDDI-Installation zu erwaegen.

Es ist selbstverstaendlich moeglich, ein strukturiertes Verkabelungssystem zu installieren, das in jedem Subsystem Glas- faserkabel statt Kupferkabel benutzt, so dass die Glasfaser bis zum Schreibtisch des Endbenutzers reicht. Diese Loesung ist die flexibelste, aber auch teuerste.

Es gibt jedoch gluecklicherweise eine Alternative zum vollen FDDI: das Twisted Pair Data Distributed Interface (TP DDI), das fuer die horizontale Verkabelung Zweidrahtleitungen hoher Leistung aus Kupfer benutzt. Die Resultate entsprechen denen einer echten FDDI- Installation, doch sind die Installationskosten niedriger.

Die groesste Beschraenkung der TP-DDI-Technik liegt in der begrenzten Reichweite. Auch gibt es derzeit noch keinen universell akzeptierten Standard fuer TP-DDI-Implementation und -Nutzung. Fuer die meisten Anwender ist letzteres weniger wichtig. Denn wie auch immer zukuenftige Standards aussehen werden, ist es doch unwahrscheinlich, dass ihre Anforderungen die Faehigkeiten heutiger Hochleistungskabel uebertreffen werden.

Strukturierte Verkabelung macht ein Unternehmen flexibler, wachstums- und damit leistungsfaehiger. Eine unternehmensweite Kabelpolitik ist fuer jede Organisation ein Beitrag zur Zukunftssicherung.

* Diplomingenieur Hans-Joachim Richter ist Produktsupport-Manager bei Anixter Deutschland, Murr bei Stuttgart.