Kommentar zum Kartellrecht

Die Strafen für Microsoft und Co. sind überzogen

16.09.2008
Von Florian  Hoffmann
Amerikanische Gesetzgebung und deutsche Gründlichkeit haben die Arbeit der Kartellwächter in Brüssel beeinflusst. Dadurch schießen sie mit ihren Urteilen weit über das Ziel hinaus.

Man mag Microsoft, Bill Gates oder Steve Ballmer mögen oder auch nicht: Die EU-Wettbewerbskommission hat mit ihrem Vorgehen gegen Microsoft völlig überzogen reagiert. Ähnliches gilt für andere Verfahren, etwa gegen Unternehmen aus Deutschland, darunter die Düsseldorfer Thyssen-Krupp-Elevator AG, die SGL-Carbon AG aus Wiesbaden oder die Prym AG aus Stolberg bei Aachen. In allen Fällen mussten wegen wettbewerbsrechtlicher Verstöße Bußgelder bezahlt werden, die an die Substanz der jeweiligen Firmen gingen. Das legt den Verdacht nahe, dass im Wettbewerbsrecht der EU eine Art Amerikanisierung stattgefunden hat, die niemand vorhergesehen hat und die ursprünglich auch niemand wollte.

Florian Hoffmann, Rechtsanwalt: Die großen Boßgelder, die brüssel Kassiert, sind oft nicht gerechtfertigt.
Florian Hoffmann, Rechtsanwalt: Die großen Boßgelder, die brüssel Kassiert, sind oft nicht gerechtfertigt.

Die Strafen sanktionieren Verstöße gegen das Verbot von Preisabsprachen und das Verbot des Missbrauchs von Marktmacht. Ihren Ursprung haben die einschlägigen Kartellgesetze im Sherman Antitrust Act von 1890, mit dem der Senator John Sherman den Raubrittern des Frühkapitalismus, den Rockefellers und Vanderbilts, Einhalt gebieten wollte. Das Ganze geschah in einem Land, das außer einer Verfassung aus tausend Worten wenig Regelwerk zu bieten hatte. Man könnte deshalb den Sherman Act als eine Art zeitlich begrenztes Maßnahmegesetz betrachten.

Amerikanisches Recht passt nicht zu Europa

So ist es aber nicht gekommen. Der Sherman Act überlebte das 20. Jahrhundert, und zu Zeiten Ludwig Erhards fanden die beiden Verbote sowohl Eingang in ein neues Wettbewerbsgesetz (GWB) als auch fast gleichzeitig und in ähnlichen Worten in den EU-Vertrag. Seit den 50er Jahren wirkt hier ein Regelwerk, das bei genauerer Betrachtung mit unserem Wirtschaftssystem und unserer Wirtschaftskultur nicht kompatibel ist. In Deutschland (auch im übrigen Europa) gab und gibt es ausgereifte, über Jahrhunderte entwickelte Regeln von Zünften, Innungen, Gilden, Kammern und Verbänden, die ein Extremverhalten wie das der amerikanischen Frühkapitalisten gar nicht erlaubten beziehungsweise erlauben, auch wenn mit der Einführung der Gewerbefreiheit im 19. Jahrhundert mancher den Bogen überspannte. Aber die vorhandenen Institutionen (plus Gewerbeaufsicht und Gewerkschaften) machen einen Sherman Act nicht nur überflüssig, sie widersprechen ihm sogar.

Kammern und Verbände regeln seit langem den Wettbewerb

Die freiwillige und zwangsweise Mitgliedschaft in den genannten Vereinigungen hatte schon immer und von Anfang an die Aufgabe, Wettbewerbsbedingungen zu setzen und zu regulieren. Diese Einrichtungen koordinierten stets auch Konditionen und Preise. Mal hatten sie den Zweck, die Mitglieder zu schützen, mal sollten sie die Konditionen zum Wohl der Allgemeinheit vorgeben. Diese Faktoren haben zwar im Zuge der Liberalisierung stark an Einfluss verloren, aber fest steht: Unser Wirtschaftssystem war und ist schon lange in vielerlei Hinsicht gegen Ausbeutung und Missbrauch gewappnet.