Konvergenz der Sprach- und Datenkommunikation

Die Sprache muß in IP-Netzen noch zu viele Hürden nehmen

12.11.1998
*Von Eckhard Rahlenbeck Beobachter sehen in der Telefonie über IP-basierte Netze die Zukunft der Sprachkommunikation. Der Vorteil: Sprache und Daten werden auf einer einzigen Vermittlungsebene übertragen. Doch Probleme bei der Sprachqualität lassen die erste Euphorie verebben.

Die Integration von Sprache und Daten über einen Netzverbund ist bei firmeninternen Anwendungen keine Seltenheit mehr. Die Arbeit leisten dabei Multiplexer, um Sprach- und Datensignale gemeinsam in Corporate Networks zu bündeln. Dieses Verfahren macht sich bezahlt, wenn in den Unternehmen hauptsächlich intern telefoniert wird.

Rüdiger Both, Geschäftsbereichsleiter Telekommunikation der Diebold Unternehmensberatung, nennt eine Faustregel: "Es gilt das 80-zu-20-Prinzip. Wenn 80 Prozent des Telefonverkehrs innerhalb der Büro- und Betriebsstätten einer Firma bleiben, dann rechnet sich die Installation eines Multiplexers." Doch diese Technologie hat in jüngster Zeit Konkurrenz bekommen. Der Grund: Das Internet verleitet dazu, nicht nur Datenpakete, sondern auch digitalisierte Sprache auf Basis des Internet Protocol (IP) über das World Wide Web zu schicken.

Sprachdaten sollen die Vorfahrt bekommen

So verlockend dieses Voice-over-IP-Konzept auch klingt, der Realisierung stehen nicht unerhebliche Hindernisse im Weg. Zunächst einmal muß die Stimme vom analogen in ein digitales Signal gewandelt und zudem je nach Standard etwa jede 8000stel Sekunde in kleinste, übertragbare Partikel zerlegt werden. Da das Internet permanent mit knappen und noch dazu wechselnden Bandbreiten zu kämpfen hat, gehen alle Bemühungen dahin, den Fluß der Sprachdaten auf ein Mindestmaß zu reduzieren. "Deshalb gibt es Kompressionsalgorithmen, welche die Sprache bis auf Größenordnungen von 6 bis 8 Kbit/s drücken. Dadurch besteht überhaupt erst eine Chance, sie ins Internet zu mischen", erklärt Detlef Straten, Manager im Bereich Netze der IBM Deutschland.

Während die Datenpakete je nach freien Kapazitäten auf unterschiedlichen Netzwegen zum Empfänger gelangen, wirken sich Stauungen beim Transport der Sprachpakete unangenehm auf die Kommunikation aus. Bevor die Bruchstücke analog gewandelt und hörbar gemacht werden, muß ein Puffer die Päckchen am Zielpunkt erst sammeln und in der richtigen Reihenfolge sortieren. Obwohl Verfahren zur Fehlerbereinigung Laufzeitenunterschiede und einen Päckchenverlust von bis zu zehn Prozent ausgleichen, eignet sich ein privilegiertes Intranet oder Extranet immer noch besser dafür, Voice over IP zu verarbeiten, als das offene Web.

Um das Internet-Telefonieren von störenden Pausen freizuhalten, werden in den Standardisierungsgremien Verfahren diskutiert, die den Päckchen mit Sprachdaten gewissermaßen Vorfahrt einräumen. Gute Chancen hat dabei das Resource Reservation Protocol, als Norm für die Reservierung von Bandbreiten übernommen zu werden. Zusätzlich haben Hersteller wie Cisco und Ascend eigene Protokolle entwickelt. Cisco zum Beispiel wendet sein Tag-Switching an. Dabei erhält jedes Sprachdatenpaket ein Kennzeichen, das ihm freie Bahn im Web verschaffen soll. Solche Verfahren wie das von Cisco greifen in die Vermittlungsprinzipien des Internets ein. Wird damit doch Abschied genommen vom Routing, einer Grundphilosophie des überzeugten Internet-Aktivisten. Dabei suchen alle Daten gleichberechtigt und zufallsgesteuert ihren Weg zum Ziel.

Statt Routing liegt damit wieder das von der klassischen Telefonie bekannte Vermittlungsprinzip definierter Verbindungsstrecken - das Switching - im Trend. Die Architektur des Internet steht auf dem Spiel. Dazu Diebold-Mann Both: "Wir werden in fünf Jahren wieder komplett beim Switching gelandet sein." Seine Erklärung: Solange die Reservierungsmechanismen für Voice over IP noch nicht verfügbar sind, hängt es allein von der Netzqualität ab, wie gut sich Sprache und Daten im Internet vertragen. Die Lösung liegt im weiteren Ausbau der Bandbreite und einem Netzdesign, das einen Päckchentransport mit möglichst wenig Hops beziehungsweise Routern erlaubt. Das muß zwangsläufig zu einem höheren Vermaschungsgrad führen.

"Wir müssen zusehen, daß möglichst viel über leistungsstarke Leitungen abgewickelt wird", erläutert Jörg Lammers, Sprecher der Deutschen Telekom, die Strategie des Netzbetreibers. Deshalb versucht die Telekom, den Verkehr so weit wie möglich im eigenen Netz und in definierten Leitungswegen zu halten.

Um die Netzkosten bis zum Gateway zu mindern, setzt der Anbieter Psinet in Dresden erstmals drahtloses Anwählen ein. Neben den Praxistests für Privatkunden sondieren die Lösungsanbieter aber insbesondere auch Internet-Telefonie für firmeninterne Intranets, Extranets für Unternehmen plus der Kommunikationsmöglichkeit mit Lieferanten und schließlich Weiterentwicklungen für Call-Center, wobei per Surf-and-Call während einer Interaktion auf einer Homepage ein Sprachkanal geöffnet werden kann. Zu diesem Zweck wird das Verfahren H.323 von den Herstellern zunehmend akzeptiert.

Schlechte Web-Verbindung - miese Sprachqualität

Die Attraktivität von Voice over IP liegt hauptsächlich in den günstigen Kosten gerade bei transatlantischen oder interkontinentalen Calls. Einbußen bei der Sprachqualität müssen in Kauf genommen werden. Je schlechter die Internet-Verbindung, je größer der Puffer, je bescheidener die Sprachqualität.

Von einer perfekten Lösung kann also noch keine Rede sein. Problematisch ist ferner, daß die Internet-Service-Provider (ISP) ihre Kosten kalkulieren müssen, da sie sich mit der Sprache eine ungeheure Last auf das Netz laden. TK-Experte Both hat Bedenken: "Ob sich das für den ISP rechnet, wage ich zu bezweifeln."

*Eckhard Rahlenbeck ist freier Journalist in Neckartenzlingen.