Wissensvermittlung braucht Praxisbezug

Die Softwareschulung kann am konkreten Projekt erfolgen

06.11.1992

Schulung boomt. Softwarehersteller bieten Kurse für die Benutzung ihrer Produkte an, und Ausbildungsinstitute vermitteln grundlegendes methodisches Wissen. Dennoch klagen die Teilnehmer solcher Seminare häufig über deren mangelnden praktischen Wert. Jürgen Weiß* stellt ein Konzept von Weiterbildung vor, das die konkreten Arbeitsaufgaben der Lernenden unmittelbar einbezieht.

Woher kommt die Unzufriedenheit? Sind die Kurse nicht gut genug - oder die Teilnehmer? Erfahrungsgemäß gehen die Erwartungen an die Ausbildung und die Leistungen, die diese erbringen kann, auseinander. Die angebotenen Schulungen entsprechen daher oft nur scheinbar dem Bedarf. Folgende typischen Irrtümer der Fortzubildenden tragen zu den Schwierigkeiten bei:

1. Man kann lernen, ohne anzuwenden. Die traditionelle Form der Wissensvermittlung in Kursen, Schulungen und Seminaren basiert auf der Hoffnung, daß jeder sich Wissen individuell, sozusagen auf Vorrat, aneignen kann und dieses später bei Bedarf einfach abruft, daß also Erwerb und Umsetzung von Wissen zeitlich entkoppelbar sind. Das Gedächtnis spielt dabei nicht mit: Die Menschen vergessen leichter, was sich nicht praktisch als nützlich erwiesen hat. Wissen muß daher immer in dem Kontext vermittelt werden, in dem es gebraucht wird.

2. Wissen ersetzt Erfahrung. Die Kenntnis einer Methode und die formale Beherrschung von Techniken garantieren noch nicht ihren angemessenen Einsatz. Erst durch vielfache Anwendung von Wissen und die Bewertung der erzielten Resultate sammelt sich wirksame Erfahrung an. Sie ist das Ergebnis von trial, error and success. Weiterzugeben ist sie nur begrenzt und gewiß nicht in einem Kurs von wenigen Tagen. Die Teilnehmer beherrschen nach einer so kurzen Veranstaltung die Lehrinhalte in der Regel nicht.

3. Werkzeuge sind Methoden. Die Unterweisung in der Handhabung eines Werkzeugs garantiert nicht seinen richtigen Gebrauch. Es unterstützt lediglich ein methodisches Vorgehen, das zusätzlich erst einmal zu lernen ist.

4. Ein Seminar kann einen Themenbereich erschöpfend vermitteln. In der Realität ist dieser Anspruch selten zu erfüllen da die Menge des Stoffes fast immer zu groß ist. Meist kann der Lehrende nur eine Auswahl oder eine Übersicht bieten, denn auch die menschliche Aufnahmefähigkeit ist begrenzt. Wenn das Gehirn zuviel Stoff aufnehmen soll, dann wählt es einige besonders auffällige Punkte aus und vergißt alles andere. De Dozent hat dabei nur begrenzte Möglichkeiten, diese Auswahl zu steuern, wenn er sich nicht von vornherein auf ein weniger umfangreiches Angebot beschränkt.

5. Der Seminarinhalt schließt sich direkt an den gewohnten Arbeitszusammenhang an. Die Teilnehmer fordern hohes Lehrniveau, Wissens- und Erfahrungsredundanzen sollen nicht auftreten. Eine solche Erwartung kann man nicht befriedigen, es sei denn, die Gruppe der Lernenden ist sehr homogen. Sonst gilt: Entweder ist der Kurs für einige Schüler zu speziell, oder er ist für andere zu allgemein.

6. Der Kurs kann die Komplexität der tatsächlichen Arbeitsanforderungen simulieren. Das läßt sich kaum ermöglichen. Die Alltagsaufgaben der Teilnehmer sind immer sehr viel komplexer als alle Beispiele und Übungen im Seminar. Die Umsetzung einfacher, idealtypischer Detailfertigkeiten in die realen Umgebungen läßt sich im Rahmen von Fortbildungen meist schon aus Zeitgründen nicht erproben.

Welche Konsequenzen soll man aus dieser Analyse ziehen? Man könnte versuchen, die Teilnehmer an Seminaren beziehungsweise diejenigen, die ihre Mitarbeiter dorthin schicken, über Möglichkeiten und Grenzen von Ausbildung zu informieren. Das ist in der Tat sinnvoll, aber es löst die eigentlichen Probleme nicht.

Die genannten Fehleinschätzungen von Kursteilnehmern drücken einen legitimen Bedarf aus. An diesen das Ausbildungsangebot anzupassen, muß das oberste Ziel sein.

Ausbildung sollte demnach profitabler werden. Sie muß genau dann zur Verfügung stehen, wenn die zu lernenden Fertigkeiten benötigt werden und genau die Kenntnisse vermitteln, die die Lernenden tatsächlich brauchen. Auf diesem Wege muß sie zur Verwertung von Erfahrungen mit übertragbaren Arbeitsmethoden hinleiten.

Die Berner & Mattner GmbH hat für ihr Ausbildungsangebot ein Konzept entwickelt, das bei geringeren Kosten einen erheblich höheren Erfolg garantiert. Welches sind seine wesentlichen Kennzeichen, und wie wirken sie sich im Detail aus?

1. Lernen im Team. Zielgruppe für eine Weiterbildung ist ein Projektteam oder eine Gruppe von Mitarbeitern mit vergleichbaren Aufgaben. Damit ist nicht nur Homogenität bezüglich des Problembereichs gewährleistet, sondern auch ein persönlicher Zusammenhalt. Durch die gemeinsame Ausbildung wird auch eine abgestimmte Vorgehensweise, ein gleicher Stil, ein Identifikationspotential für das konkrete Projekt und auch für spätere Aufgaben aufgebaut.

2. Lernen im Projekt. Unser Unternehmen bettet die Ausbildung in den produktiven Prozeß ein. Eine Fortbildungseinheit wird dann angesetzt, wenn sie in den Arbeitszusammenhang gehört. Zum Projektstart wird ein Methodenüberblick sowohl zu den einzelnen Entwicklungsschritten als auch zur Projektabwicklung gegeben.

Sodann wird die gewählte Analysemethodik gelehrt, und zwar am Beispiel der konkreten Aufgabenstellung und mit dem einzusetzenden Tool. Gleiches gilt für die Designphase, die Tests, das Qualitäts-Management etc. Das Übungsbeispiel ist das echte Projekt, die Ergebnisse der Übungen sind Arbeitsergebnisse des konkreten Auftrags.

3. Lernen vom Praktiker. Unsere Ausbilder sind erfahrene Entwickler, die die Methodik beherrschen. Dieses ist die Voraussetzung dafür, daß der Trainer in der Lage ist, das Projekt als Einarbeitungsbeispiel zu benützen: Es ist ja seine normale Tätigkeit, sich in ein neues Vorhaben hineinzudenken. Der Trainer muß keine künstlichen Übungen vorstellen; umgekehrt müssen die Fortzubildenden sich nicht in ein sachfremdes Exempel hineindenken, zu dem ihnen der reale Bezug fehlt. Die Teilnehmer bringen das sachliche Know-how, der Trainer das methodische. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern ist ausbalancierter als bei herkömmlichen Unterrichtsarten, die Teilnehmer sind nicht so passiv, der Trainer wirkt nicht wie ein Guru.

4. Lernen mit Betreuung: Coaching. Der Trainer steht während des gesamten Projekts als Ansprechpartner zur Verfügung. Nach einer relativ kurzen Phase der Methodendarstellung arbeiten die Mitglieder des Teams selbständig, entwickeln aber ihre Fähigkeiten durch Einzeldiskussionen, Reviewings, spezielle qualitätssichernde Darstellungen etc. weiter.

5. Lernen im firmenspezifischen Umfeld. Unser Unternehmen richtet die Ausbildung an den projektbezüglichen Vorgehensnormen des Auftraggebers aus. Der Trainer betreut somit das gesamte Projekt mit. Deshalb besteht die Notwendigkeit einer engen Kooperation von Coach und Projektverantwortlichem. Zwischen beiden kann sich ein besonderes Vertrauensverhältnis aufbauen. Der Trainer ist auf seine Art ein zusätzlicher Mitarbeiter.