Machine Learning bei Tyson Foods

Die Software, die die Fleischfabrik schützt

11.05.2020
Von  und
Clint Boulton ist Senior Writer bei der US-Schwesterpublikation cio.com.


Florian Maier beschäftigt sich mit diversen Themen rund um Technologie und Management.
Machine Learning soll Tyson Foods dabei helfen, seine Fleischfabriken dem Coronavirus zum Trotz offenzuhalten. Die Gesundheit der Mitarbeiter wird per Computervision überwacht.

Viele Unternehmen weltweit loten die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz (KI) und deren Unterdisziplin Machine Learning (ML) aus. Einige Firmen sind in der Ära der COVID-19-Epidemie sogar auf diese Technologien angewiesen, um ihren Betrieb überhaupt aufrechterhalten zu können. Dazu gehört zum Beispiel Tyson Foods, der größte Fleischverarbeiter der USA.

Machine Learning soll dem US-Fleischriesen Tyson Foods dabei helfen, seine Fabriken während der Pandemie offenzuhalten und die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen.
Machine Learning soll dem US-Fleischriesen Tyson Foods dabei helfen, seine Fabriken während der Pandemie offenzuhalten und die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen.
Foto: mark reinstein - shutterstock.com

Das Unternehmen nutzt Machine Learning, um mögliche Auswirkungen des Coronavirus auf seinen Betrieb im Blick zu behalten und setzt Computervision Software ein, um die Körpertemperatur der Angestellten bei Schichtbeginn zu erfassen. Die Maßnahmen sind laut CTO Scott Spradley erfolgskritisch - der Fleischgigant musste im April 2020 mehrere Fabriken wegen der Pandemie schließen. Per Beschluss von US-Präsident Donald Trump gelten die Fleischfabriken von Tyson Foods seit dem 28. April allerdings im Rahmen des Defense Production Act als kritische Infrastruktur - und müssen daher unter allen Umständen in Betrieb bleiben.

Prädiktive Kurvenkontrolle

Die IT-Abteilung von Tyson Foods tut, was sie kann, um dazu beizutragen, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen: Sie gleicht dazu zum Beispiel COVID-19-Testdaten der einzelnen US-Staaten, in denen Fabriken verortet sind mit denen der Landkreise ab, in denen die Mitarbeiter wohnen. In Kombination mit Machine-Learning-Algorithmen sollen so Arbeitsausfälle vorhergesehen werden, wie Spradley erklärt. Um eine Verbreitung des Virus unter den konzernweit rund 110.000 Mitarbeitern zu simulieren, nutzt Tyson Foods die sogenannte "Richards-Kurve" - die auch vom US-amerikanischen Center for Disease Control and Prevention (CDC) eingesetzt wird.

Von der Einbeziehung öffentlich zugänglicher Daten wie der Bevölkerungsdichte von Landkreisen und weiterer sozioökonomischer Informationen verspricht sich Tyson Foods, die Infektionsketten innerhalb der Belegschaft im Fall der Fälle möglichst genau einschätzen und vorhersagen zu können. Darüber hinaus wird mit Hilfe der Daten auch der exakte Bedarf an Schutzequipment wie Masken und Handschuhen für jedes einzelne Werk ermittelt. "Die Anforderung an das Team war, unsere Mitarbeiter mit Hilfe verbesserter Datenanalysen bestmöglich zu schützen", sagt Spradley.

Dabei seien Amazon Web Services und die Google Cloud Platform sehr hilfreich, wie der CTO erklärt, da sie den Motor für den Betrieb und die Verfeinerung der statistischen Modelle bildeten: "Wir konnten so deutlich schneller agieren und verbringen längst nicht mehr Stunden damit, Server und andere Bestandteile der IT-Infrastruktur aufzusetzen. In der Pandemie zahlt sich unsere Hybrid-Cloud-Umgebung und die Arbeit, die wir in den letzten Jahren in die Standardisierung von Unternehmens- und Lieferkettendaten investiert haben, aus."

Wie wichtig der prädiktive Ansatz für Unternehmen in der heutigen Zeit ist, weiß auch Jerry Kurtz, Executive Vice President bei Capgemini: "Es war nie wichtiger, Vorhersagen treffen zu können - der Blick in den Rückspiegel ist passé. Machine-Learning-Modelle werden zahlreiche Unternehmen vor allem auch in der Zeit nach der Pandemie wesentlich in ihrer Entscheidungsfindung unterstützen."

Fiebermessen per Computervision

Zum Predictive-Modeling-Portfolio von Tyson Foods gehört auch der Einsatz von Computervision - eigentlich eingeführt, um (neben anderen Supply-Chain-Metriken) zum Beispiel zu messen, wie viele Hühner sich im Rahmen der Verarbeitung durch die Fabrikhallen bewegen. Inzwischen spielt die Computervision Software allerdings eine tragende Rolle bei den Bemühungen, den Coronavirus einzudämmen.

Seit dem sprunghaften Anstieg der Infektionen in den USA im April 2020 installierte das Unternehmen mehr als 150 Thermalscanner in verschiedenen seiner Fabriken. Diese Geräte werden von den Arbeitern bei Schichtbeginn "durchschritten" (ähnlich wie das etwa bei Metalldetektoren am Flughafen der Fall ist) und sind in der Lage, erhöhte Körpertemperaturwerte zu erkennen. Auf einem Bildschirm werden die Werte in Echtzeit visualisiert. Wird ein festgelegter Maximalwert überschritten, schlägt das System Alarm und setzt einen Folgeprozess in Gang: Der betroffene Mitarbeiter muss zum manuellen Fiebercheck und wird bei positivem Ergebnis direkt nach Hause geschickt. In den Lagern des US-Versandriesen Amazon kommen ganz ähnliche Maßnahmen zum Tragen.

Nach den Worten des CTO erwägt Tyson Foods für die Zukunft neben dem Einsatz von Thermalscannern auch den Einsatz weiterer Computervision-Lösungen - auch solcher, die Technologien zur Gesichtserkennung nutzen.

Problembehafteter Produktivitäts-Spike

Bei Ausbruch der Corona-Pandemie rechnete Tyson Foods zunächst mit einem deutlichen Geschäftseinbruch - schließlich mussten rund 30.000 Mitarbeiter aus den Bereichen Sales, IT oder HR auf Homeoffice umsatteln. Zumindest für die IT-Abteilung bestätigte sich das Gegenteil: Digitale Dashboards die Daten aus Office 365, Zoom, Skype und anderen Produktivitäts- und Kollaborations-Tools erfassen, zeigen einen so sprunghaften Workload-Anstieg für die IT-Spezialisten, dass CTO Spradley Fälle von Burnout befürchtet: "Wir machen uns Sorgen, dass die Mitarbeiter keine Pausen mehr einlegen", so der Manager, der deshalb eine verpflichtende Ruhezeit eingeführt hat.

Scott Spradley, CTO bei Tyson Foods: "Natürlich wäre es das Beste, wenn die Pandemie morgen enden würde. Aber wir nutzen die Situation gerne dazu, neue Technologien einzuführen."
Scott Spradley, CTO bei Tyson Foods: "Natürlich wäre es das Beste, wenn die Pandemie morgen enden würde. Aber wir nutzen die Situation gerne dazu, neue Technologien einzuführen."
Foto: Tyson Foods

Egal ob Machine Learning, Computervision oder die Provisionierung virtueller Server - Spradley genießt die Gelegenheit, die IT in der Krise aufzurüsten und die Digitalisierung des Unternehmens weiter voranzutreiben: "Natürlich wäre es das Beste, wenn die Pandemie morgen enden würde. Aber wir nutzen die Situation gerne dazu, neue Technologien einzuführen. Hätten wir nicht schon in der Zeit vor dem Coronavirus auf die Cloud gesetzt, unsere Datenbestände in Ordnung gebracht und unsere Belegschaft gestärkt, wären wir jetzt lediglich in der Lage, zu reagieren statt vorausblickend zu agieren."