Microsofts Engagement im Content-Business ist am Ende

Die seltsame Wandlung des Microsoft Network

20.02.1998

Schon der Startschuß für MSN im August 1995 stand unter keinem guten Stern. Das US-Justizministerium leitete bereits vorab Ermittlungen ein, weil Microsoft beabsichtigte, den Zugang zu MSN mit der Auslieferung des neuen Betriebssystems Windows 95 zu bundeln. Empört reagierten Verbraucherschützer außerdem auf den Versuch des weltgrößten Softwarehauses, umfangreiche Nutzerdaten per Knopfdruck Dritten zugänglich zu machen. Anwender der ersten Stunde klagten zudem über mangelhafte Performance.

Die Infrastrukturprobleme bekam MSN durch Kooperationen mit nationalen TK-Unternehmen und Service-Providern zwar in den Griff, andere Schwierigkeiten aber blieben. So gab es immer wieder Fehler bei der Anmeldungs- und Abrechungsprozedur. Mehrere Anwender aus Kanada überzogen MSN mit einer 75-Millionen-Dollar-Klage, weil sie statt regelmäßiger Abrechnungen erst nach Monaten eine gesalzene Rechung präsentiert bekamen.

Auch die MSN-Inhalte fanden nur mäßigen Zuspruch in der Internet-Gemeinde. Gerade auf diesem Gebiet wollte sich MSN aber gegenüber Konkurrenten wie AOL oder Compuserve als erste Wahl empfehlen. Dennoch mußten nach einem Relaunch im November 1996 etwa 40 Prozent des überwiegend von Microsoft konzipierten Info- und Entertainment-Angebots binnen weniger Wochen mangels Kundeninteresse wieder abgeschaltet werden. Gerüchte vom baldigen Ende oder Verkauf des Microsoft Network machten die Runde.

Auch in Deutschland mochten die Surfer angesichts der zahlreichen Initiativen im Internet nicht so recht auf Microsofts Online-Dienst einsteigen. Mit viel Schwung startete Ex-SAT-1-Manager Kurt Föckler nach seinem Amtsantritt als Chef von MSN Deutschland im Oktober 1996 den strategischen Ausbau des Dienstes. Zur CeBIT '97 kündigte er mit einem neuartigen Showkonzept unter Einsatz zahlreicher Multimedia-Tools den Start in eine neue Online-Dimension an. Die Anwender indes dankten es ihm nicht. Obwohl MSN hierzulande einen Marktanteil von gut 20 Prozent erlangte (siehe Grafik), war damit offensichtlich kein Geld zu verdienen.

Seit Anfang des Jahres sitzt nun Michael Konitzer auf Föcklers Stuhl und versucht, der Schaukelpolitik der Konzernzentrale gerecht zu werden. Als ehemaliger Geschäftsführer von Europe Online hat Konitzer Erfahrung mit der kurzen Halbwertszeit eigenständiger Content-Provider neben T-Online und AOL/Compuserve. In Redmond hatte man sich lange gesträubt, den Realitäten ins Auge zu sehen und viel Geld in die Content-Produktion gesteckt. Erfolge hatten die Strategen lediglich mit dem in den USA anerkannten regionalen Stadtinformationsdienst "Sidewalk". Hartnäckig hielt man jedoch am Konzept des Inhalte-Anbieters fest. Ende 1997 sorgten gar Gerüchte für Verunsicherung, Microsofts Online-Dienst schließe seine europäischen Zugänge und konzentriere sich ganz auf die Gestaltung von Web-Inhalten.

Dem Dementi folgte eine Kehrtwende um 180 Grad: Auf Anweisung der MSN-Zentrale wurden sämtliche Inhalte des Dienstes gestoppt - Sidewalk kommt erst gar nicht auf den deutschen Markt. "Microsoft hat seine Stärken im Bereich der Softwaretechnologie und der Entwicklung von Internet-Plattformen und -Services", kommentiert leicht zerknirscht Deutschland-Chef Konitzer die Entscheidung, eigene Inhalte aufzugeben. Wohin die Reise geht, wollte er allerdings nicht verraten.

Fest steht, daß Microsoft hierzulande sowohl mit der Telekom als auch mit dem Provider Uunet Deutschland verhandelt, um die Verantwortung für die Kundenzugänge, die das Unternehmen zuvor geleast hatte, wieder abzugeben. Was aber bleibt von einem Online-Dienst übrig, der weder eigene Inhalte anbietet noch seinen Kunden eine eigene Infrastruktur für den Web-Zugriff zur Verfügung stellt? Nach der Einschätzung von Daniel Burgwinkel, Berater im Multimedia-Kompetenzzentrum von Diebold, wird MSN möglicherweise zum Zweitprodukt unter dem neuen Dach eines Access-Providers. Oder aber es bleibt als eigene Marke bestehen, dann allerdings nur noch als Einstiegsseite für das Internet. Die technische Infrastruktur würde Providern anvertraut und Inhalte bei großen Verlagshäusern und Agenturen eingekauft.

MSN folgt damit dem Trend von Unternehmen wie Netscape oder dem Katalogbetreiber Yahoo, die eigene Web-Site mit Zusatzdiensten wie Suchmaschinen, Chats oder E-Mail-Services zu garnieren, um Anwendern sämtliche Features der Online-Welt leicht verdaulich auf einem Teller servieren zu können. Die Idee dahinter ist einfach. Hat es ein Hersteller einmal geschafft, eine Web-Page als Startseite für einen Großteil der Online-Gemeinde zu etablieren, fließen die Werbeeinnahmen beinahe automatisch. Geringem finanziellem Aufwand stehen hohe Umsatzpotentiale gegenüber. Schließlich leitet man die Interessenten nur weiter, wenn es in die Tiefe, sprich um Inhalte geht, holt sie aber immer wieder zurück, wenn sie Orientierung suchen.

Für Beobachter zeichnete sich die Wandlung des Microsoft Network vom proprietären Content-Provider zum Mehrwertdienstleister im World Wide Web bereits mit der Integration der Yahoo-Verzeichnisdienste Ende 1997 sowie dem Kauf des kostenlosen E-Mail-Services "Hotmail" für umgerechnet 630 Millionen Mark im Januar dieses Jahres ab. Kooperationen mit Inhalte-Anbietern sollen die Sache abrunden.

Ob der Umschwung rechtzeitig erfolgt, ist fraglich. MSN begibt sich auf Kollisionskurs mit etablierten und ungemein beliebten Einstiegs-Sites wie denen von Netscape oder Yahoo. Auch diese bieten über Partnerschaften längst Inhalte wie Wetter, Börsen-News oder aktuelle Nachrichten an. Microsoft Network ist der Ausflug ins Content-Business mithin gründlich mißlungen. "AOL und T-Online hatten die kritische Masse an Inhalten bereits erreicht, und bei MSN ist der Markteintritt im Prinzip zu spät erfolgt", bilanziert Diebold-Experte Burgwinkel die gescheiterte MSN-Strategie.