Führen im agilen Umfeld

Die Sehnsucht nach dem Meer vermitteln

30.07.2019
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Agile Zusammenarbeit fordert Führungskräfte neu. Managerinnen von NTT Data, Osram, Rossmann und TUI berichten, wie sie in agilen Projekten agieren.

Agile Methoden wie Scrum oder Kanban stehen in der Softwareentwicklung für eine veränderte Vorgehensweise: Programme werden unter direkter Beteiligung der Fachseite schrittweise entwickelt und das Feedback immer wieder berücksichtigt, so dass der Umfang der ausgelieferten Software nach jeder Iteration wächst und man sich dem Endprodukt annähert. Selbstorganisierte Teams sind Dreh- und Angelpunkt, Rolle und Aufgaben der Führungskräfte ändern sich.

Als Servant Leader Rahmenbedingungen schaffen

Antje König, CIO, Rossmann: „Die Mitarbeiter wachsen daran, wenn sie als Team eine Aufgabe und das Ziel vorgegeben bekommen, aber nicht den Weg dorthin.“
Antje König, CIO, Rossmann: „Die Mitarbeiter wachsen daran, wenn sie als Team eine Aufgabe und das Ziel vorgegeben bekommen, aber nicht den Weg dorthin.“
Foto: Falco Peters Photography

Antje König arbeitet als CIO für die Drogeriekette Rossmann und ist mit ihrer Abteilung eine Vorreiterin im Unternehmen: "Schon mehr als die Hälfte der IT-Mitarbeiter arbeiten bei uns mit agilen Methoden und tragen im Rahmen der engen Zusammenarbeit mit unseren Fachbereichen das agile Gedankengut ins Unternehmen." König stellt die Teams und deren Produkte in den Mittelpunkt und befähigt die Mitarbeiter, sich ausgehend von ihrem aktuellen Reifegrad zu selbstorganisierten Einheiten zu entwickeln.

"Wir sehen uns als Servant Leader, als Dienstleister für unsere Teams und Mitarbeiter, indem wir versuchen, die Rahmenbedingungen für produktives, selbstorganisiertes und eigeninitiatives Arbeiten zu schaffen", sagt die Managerin. "Wir greifen aber auch ein, unterstützen, geben Orientierung, wenn mehr Vorgaben und Entscheidungen benötigt werden - wenn die Teams selbst im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht weiterkommen." Gute Erfahrungen hat die IT-Chefin damit gemacht, dass der Scrum Master in einer Doppelrolle gleichzeitig als disziplinarische Führungskraft fungiert, da dieser so in die tägliche Arbeit der Produktteams involviert ist. Er sei damit in der Lage, sowohl Teams als auch einzelne Mitarbeiter entsprechend zu entwickeln.

Fail fast - Ein Prinzip des agilen Arbeitens

Auch Elke Reichart, Chief Digital Officer (CDO) der TUI Group, verbindet drei Kernaufgaben mit agiler Führung: den Kollegen Orientierung geben, Rahmenbedingungen für die Selbstorganisation und das Vertrauen in den Teams schaffen und die eigene sowie die Entwicklung des Teams vorantreiben. Die Diskussion um agiles Führen sei aber bei der TUI noch nicht abgeschlossen. Agil ist für Reichart in erster Linie eine Haltung, die in allen Unternehmensbereichen relevant sei: "Ein agiles Vorgehen lebt von Interaktion, kurzfristigem Feedback und Transparenz. Da ich häufig in der Rolle des Auftraggebers fungiere, erfordert das Vorgehen in erster Linie meine Zeit, um die ständig nötige Kooperation mit dem Team zu pflegen."

Elke Reichart, TUI: "Ein agiles Vorgehen lebt von Interaktion, kurzfristigem Feedback und Transparenz."
Elke Reichart, TUI: "Ein agiles Vorgehen lebt von Interaktion, kurzfristigem Feedback und Transparenz."
Foto: TUI Group

Auch die Erfolgssicherung ändert sich für die TUI-Managerin: "Ein Prinzip des agilen Arbeitens heißt 'Fail fast', denn das ist billiger als spät zu scheitern." Das erfordere eine andere Art der Anforderungsformulierung und eine kurzfristigere Planung: "Als Auftraggeber erhalte ich damit früher und bessere Ergebnisse. Ich bin aber auch aufgefordert, Vertrauen zu investieren und den Vertrag auch einmal Vertrag sein zu lassen."

Auch für Osram-CIO Hanna Hennig bedeutet agiles Führen, "flexibel auf die Rahmenbedingungen der Umgebung einzugehen und Freiheiten und die richtige Arbeitsumgebung für die Mitarbeiter zu schaffen, damit diese ihre Aufgaben bestmöglich erfüllen können". Agile Führung sei mit einem hohen Delegationsgrad an selbstorganisierte Teams verbunden. Das bedeute: "Ich gehe auf die Mitarbeiter ein, fordere sie mit Aufgaben, ohne sie zu über- oder unterfordern."

Vertrauen statt Mikro-Management

Während der Produktverantwortliche eine Vision entwickle, was er mit dem Produkt beim Endkunden erreichen will, entscheide das Team, welche Features zu welchem Zeitpunkt in welchem Sprint abgearbeitet werden. Es hole sich immer wieder das Feedback der Stakeholder ab. "Das Team hat Vorrang vor der Führungskraft", erklärt Hennig, und weiter: "Damit agiles Führen gelingt, sind Transparenz und hohe Kommunikationsstärke entscheidend. Als Führungskraft beantworte ich die Frage: Wohin geht die Reise? Ich vermittle die Sehnsucht nach dem Meer, das Big Picture, zeige aber nicht, wie man das Schiff baut."

Hanna Henning, Osram-CIO: "Als Führungskraft beantworte ich die Frage: Wohin geht die Reise? Ich vermittle die Sehnsucht nach dem Meer, das Big Picture, zeige aber nicht, wie man das Schiff baut."
Hanna Henning, Osram-CIO: "Als Führungskraft beantworte ich die Frage: Wohin geht die Reise? Ich vermittle die Sehnsucht nach dem Meer, das Big Picture, zeige aber nicht, wie man das Schiff baut."
Foto: Anna Om - shutterstock.com

Mit diesem Ansatz hat Antje König bei Rossmann gute Erfahrungen gemacht: "Die Mitarbeiter wachsen daran, wenn sie als Team eine Aufgabe und das Ziel vorgegeben bekommen, aber nicht den Weg dorthin." Für die Führungskraft heiße das, den Mitarbeitern zu vertrauen, dass diese ihren Weg finden werden, der nicht dem eigenen Vorgehen entsprechen müsse. Die Devise laute also Vertrauen statt Mikro-Management, Aufgaben solle man delegieren. Dann steige auch die Motivation und Produktivität der Mitarbeiter. Der Umfang der Delegation und Eigenorganisation sei aber abhängig zu machen vom Reifegrad der Teams und der entsprechenden Kollegen.

Zurückhaltung für mehr Verantwortungsübernahme

Ilka Friese, Chief Financial Officer (CFO) von NTT Data Deutschland, geht noch einen Schritt weiter: "Seit 18 Jahren lautet mein Motto: Eine gute Führungskraft rationalisiert sich selbst weg." Als Managerin müsse man sich ein Stück zurücknehmen können und Verantwortung an die Mitarbeiter delegieren, aber auch eine gewisse Fehlertoleranz haben.

Frauenpower auf der Hannover Messe Industrie (von links): Redakteurin Alexandra Mesmer diskutierte mit Osram-CIO Hanna Hennig, Ilka Friese, CFO von NTT Data, und Elke Reichart, CDO von TUI, über Führen im agilen Umfeld.
Frauenpower auf der Hannover Messe Industrie (von links): Redakteurin Alexandra Mesmer diskutierte mit Osram-CIO Hanna Hennig, Ilka Friese, CFO von NTT Data, und Elke Reichart, CDO von TUI, über Führen im agilen Umfeld.
Foto: NTT Data

Wie gut es funktionieren kann, wenn man Verantwortung abgibt, hat Friese selbst vor zwei Jahren erfahren. Damals klinkte sie sich einen Monat aus dem Job aus und fuhr mit dem Wohnmobil los. Sie verzichtete auch darauf, ihre Mails abzurufen. Nach ihrer Rückkehr ins Unternehmen nahm sie einige ihrer Aufgaben gar nicht mehr zurück, sondern beließ sie in der Verantwortung ihres Führungsteams.

Wertschätzung und Führen auf Augenhöhe sind wesentliche Elemente eines modernen Führungsstils. Für Osram-CIO Hennig heißt Führen auf Augenhöhe, "die Meinung des Gegenübers einzufordern und zu respektieren. Bei Kritik erst das Positive herausstellen, dann zusammen die Lessons learned erarbeiten und darauf aufbauen." Für TUI-CDO Reichart sollte die Führungskraft "offen sein, Fragen stellen und dem Team so die Möglichkeit schaffen, die Lösung selbst zu finden". Und für CFO Friese von NTT Data ist es entscheidend, "sich mit den Mitarbeitern auseinanderzusetzen, aber auch mal mit ihnen bei einem Cappuccino über private Dinge zu sprechen".