Die schräge Logik der Qualifikationstheoretiker

10.10.1986

Professor Dr. Erich Staudt Lehrstuhl für Arbeitsökonomie

Ruhr-Universität Bochum

Neben technischen Ergänzungen und Weiterentwicklungen hängt der Einsatz einer neuen Technik von der personellen Bewältigung der Technikgeneration durch Hersteller, Nutzer und Konsumenten ab. Die heute erkennbaren Probleme machen die Ursachen personeller Widerstände deutlich: Mit zunehmender Nutzung der Personal Computer wächst beziehungsweise wechselt die Anforderung an die Qualifikation des Personals auf allen Unternehmensebenen. Und dies eben nicht nur in dem heute so oft diskutierten digitalen Sinn, sondern in Richtung der Beherrschung einer der Integration der EDV angemessenen technischen und organisatorischen Infrastruktur. Soweit dies nicht geschieht, erzeugt das dann auftretende Defizit wiederum erhebliche Widerstände gegen eine weitere Diffusion der Technik.

Leider wird die aktuelle Diskussion um Qualifikationsdefizite allzu häufig auf solch kurz- bis mittelfristigen rein digitaltechnisch orientierten Bedarf reduziert. So wurde im Rahmen unserer Begleitforschung im Projekt "Einsatz der Mikrocomputertechnik in der Facharbeiterausbildung" beobachtet, daß die meisten mikroelektronisch-spezifischen Ausbildungsprogramme heute dazu neigen, die konventionellen Erfahrungen aus der Großdatenverarbeitung in quasi miniaturisierter und angepaßter Form auf den Bereich des Mikroelektronikeinsatzes zu übertragen. Auf diese Weise diffundieren Digitaltechnik und Informatik von der Ingenieursausbildung über Weiterbildung, gymnasialen Bereich und Berufsschule bis in die Lehrpläne von Hauptschulen.

Die Beibehaltung einmal vorhandener Lehrpläne und der Versuch, sie in immer wieder neue Anwendungsgebiete fortzuschreiben, ist zwar menschlich durchaus verständlich, aber eine ökonomisch unsinnige Lösung. Denn wenn der Personal Computer mit einem derartigen qualifikatorischen Aufwand integriert werden muß, dann wäre jetzt schon abzusehen, wo die Wachstumsgrenzen liegen würden. Die vorliegenden Wachstumsprognosen wären auf jeden Fall falsch, die daraus abgeleiteten aufwendigen Qualifikationsbemühungen

dann wiederum unnötig.

Die schräge Logik solcher naiven Übertragungsversuche wird deutlich, wenn man eine Analogie zur Diffusion des Automobils herstellt. So sind Prognosen von Anfang dieses Jahrhunderts vorstellbar, die besagen, daß der maximale PKW-Bestand sich nach der Zahl der Ingenieure richte. Denn entsprechend dem Stand der damaligen technischen Entwicklung war eine Ingenieursausbildung erforderlich, um ein Auto zu fahren. Die Entwicklung jedoch übertraf alle Erwartungen. So wie es durch die Trennung zwischen Kraftfahrzeugschlosser und Kraftfahrzeugfahrer zur eigentlichen Marktexplosion kam, so ähnlich wird die Diffusion der Mikroelektronik und anderer Technologien nicht an der Anzahl der Digitaltechniker und Informatiker scheitern. Nicht alle, die die jeweilige Technik nutzen, müssen zu hochspezialisierten Technikern werden, sondern die Technik muß sich dem Konsumenten anpassen, wie das Auto an die Fähigkeiten der Verbraucher angepaßt wurde. Der zukünftige Absatz wird bestimmt von der Anzahl der Leute, die ein Auto steuern und gebrauchen können, und nicht von den zur Verfügung stehenden Entwicklungs- und Wartungsingenieuren.

Zweifelsohne wird eine hochspezialisierte Infrastruktur für Entwicklung, Produktion, Pflege und Wartung erforderlich sein. Es ist aber nicht zu verkennen, daß ein guter Teil der Softwareproduktion hinter der Peripherie verschwinden muß. Die Systeme selbst werden intelligenter, der Programmieraufwand pro Funktion wird zurückgehen, und Software kann in Zukunft kaum mehr als personalaufwendiges Einzelprodukt, sondern eher als Massenprodukt verstanden werden - mit ein paar Extras und Anpassungsdetails, aber sicher nicht als Maßanzug, denn wer kann sich eine derart aufwendige Integration schon leisten?

Zur problem- und betriebsbezogenen Nutzung, Anpassung, Kombination und Wartung solcher Personal Computer reicht aber traditionelles Datenverarbeitungswissen nicht aus. Dies erfordert vor allem Problemfeld- und betriebsspezifische Qualifikation.

Bleibt man bei der Analogie mit dem Automobil, so heißt dies, daß ein Kraftfahrzeugreparateur nicht unbedingt die Kunst des Autofahrens beherrschen muß und daß umgekehrt der Fahrer seinen Führerschein kaum durch einen Blick unter die Motorhaube, sondern durch die Beherrschung von Fahrtechnik und Verkehrsregeln erwirbt, und die sinnvolle Nutzung der Technik viel mehr von Verkehrsregelung, Orts- und Straßenkenntnis abhängt, als zum Beispiel vom Know-how über die Einstellung des Zündzeitpunktes. Genausowenig wie die Anwendung des Personal Computers durch Digitaltechnik und Informatik geformt werden, sondern durch anwendungsspezifisches Know-how freilich bereichert um eine Art Führerschein für Computer, und von einer intelligenten Infrastruktur, die dem einzelnen Unternehmen und Selbständigen eine sinnvolle Nutzung erlaubt.

Da diese Infrastruktur aber nicht einseitig durch die Technik, sondern vor allem durch das Anwendungsfeld geprägt ist, versagen die Hersteller von Personal Computern zunehmend, trotz umfangreicher Anstrengungen in einzelnen Anwendungsgebieten: Die verbleibende Qualifikationslücke wird zur Anwendungslücke.

Auszug aus dem Festvortrag zur Eröffnung der Fachausstellung "Datev '86" in Nürnberg am 19.September 1986.