Thema der Woche

"Die Schmerzgrenze des Anbieters ausloten"

05.12.1997

CW: Am 1. Januar 1998 fällt das Sprachmonopol. Sind die alternativen Carrier für den Wettbewerb gerüstet?

Grau: Nein, noch sind die neuen Konkurrenten der Telekom - ich denke vor allem an Arcor, Otelo, Viag Interkom - auf den Wettbewerb nicht ausreichend vorbereitet. Bisher haben sie sich damit befaßt, ihre Organisationsprobleme in den Griff zu bekommen und den Netzausbau voranzutreiben. Bei genauem Hinsehen ist aber zu erkennen, daß kein einziger dieser Carrier momentan in der Lage ist, einem Großanwender ein Full-Service-Angebot zu unterbreiten. Da erlebt man die tollsten Nummern.

CW: Welche tollen Nummern?

Grau: Die Carrier sind derzeit nur in bestimmten Segmenten fähig, Dienstleistungen zu liefern. Es ist für sie zum Beispiel kein Problem, Sprachkommunikation preiswert anzubieten. Wenn man als Großkunde aber anspruchsvollere Leistungen nachfragt, zum Beispiel Festverbindungen für ein Corporate Network oder intelligente Netze, um damit nicht nur Gebühren einzusparen, sondern auch organisatorische Vorteile in einem Unternehmen zu realisieren, erlebt man sein blaues Wunder. Hinter den Angeboten steckt noch nicht sehr viel.

CW: Welche Konsequenz hat das für Großkunden?

Grau: Wir müssen uns vorerst weiter auf das Angebot der Telekom stützen, weil es das geringste Risiko birgt.

CW: Wann werden die alternativen Netzbetreiber Full Service anbieten können?

Grau: Bei sehr optimistischer Betrachtung schaffen sie es bis Mitte 1998. Aber um ehrlich zu sein, ich bin eher skeptisch. Zur Verteidigung der Alternativen muß man aber auch sagen, daß die Telekom als Netzbetreiber eine große Tradition hat. Außerdem schläft sie im Bereich der Groß- und Geschäftskunden längst nicht mehr und unternimmt durch ihren Vertriebspartner DeTeSystem enorme Anstrengungen.

CW: Dann spricht also alles für die Telekom?

Grau: Nicht ganz: Die Wettbewerber sind gegenüber der Telekom hinsichtlich Preisgestaltung und Kalkulation im Vorteil, weil sie nicht durch den Regulierer gebunden sind. Bei Verhandlungen ist die Telekom-Tochter DeTe-System stärker von den Vorgaben des Regulierers abhängig als die Konkurrenten am TK-Markt. Es gibt eben extreme Bestrebungen der Politik, der Telekom massive Marktanteile abzuschneiden. Das hat Auswirkungen auf den Markt.

CW: Sie spielen damit auf die Festlegung der Interconnection-Entgelte durch Bundespostminister Wolfgang Bötsch an?

Grau: Ja, zum Beispiel. Nach der Interconnection-Entscheidung können die alternativen Carrier auch im Nahbereich Sprachübertragung preiswerter anbieten.

CW: Wie werden sich die Tarife entwickeln?

Grau: Ich rechne damit, daß die Alternativen 1998 zunächst über den Preis ihren Erfolg suchen, die Telekom aber mitzieht. Diese Preisspirale wird sich zugunsten der Anwender drehen.

CW: Die Wettbewerber der Telekom propagieren unter dem Schlagwort "Customer Care" den umfassenden Kundenservice und wollen sich dadurch vom großen Rivalen aus Bonn abheben. Welche Rolle spielen Kriterien wie Service, Qualität und Verfügbarkeit bei der Auswahl der Carrier?

Grau: Über diese Punkte wird im Prinzip nicht mehr verhandelt. Der Anwender setzt von vornherein ein gutes Angebot, hohe Verfügbarkeit sowie Serviceleistung voraus. Allein aufgrund niedriger Gebühren wird bei diesen Kriterien kein Profi Einschränkungen akzeptieren. Deshalb müssen sich alle Anbieter auf einem äußerst hohen Niveau bewegen. Mit Schlagworten wie Customer Care ist kein Großkunde zu werben.

CW: Selbst die Verfügbarkeit gilt nur als nachrangiges Kriterium?

Grau: Mit der Verfügbarkeit der Leistungen wird meiner Meinung nach sowieso Schindluder getrieben. Wenn da 99,9 Prozent garantiert werden, heißt das immer noch, das Netz kann zweimal im Jahr für einen Vormittag ausfallen. Das ist für uns ein großes Problem, weil die Carrier fernab jeder Schadensersatzforderung die juristische Verfügbarkeit von 99,9 Prozent einhalten. Mit diesem Marketing-Argument braucht mir also keiner zu kommen. Entscheidend sind für mich Reaktionszeit und Kompetenz.

CW: Dann heißt es in den Verhandlungen also Feilschen wie auf dem Bazar?

Grau: Ja, der Vergleich mit dem Bazar trägt. Natürlich wird jeder auch die Qualität und Verfügbarkeit prüfen, aber der Wettbewerb spielt sich in erster Linie über den Preis ab. Da wird das Gerangel knallhart sein.

CW: Wie hoch werden die Preissenkungen in nächster Zeit ausfallen?

Grau: Ich rechne in den nächsten Monaten mit Reduktionen von bis zu 30 Prozent. Im Bereich des Sprachmonopols hat sich bisher ja nichts bewegt. Da kommt jetzt mit der Kostenreduzierung für die Festverbindung zum ersten Mal Bewegung rein. Im Festverbindungssektor geht es nun auch um die Datenkommunikation.