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Online-Sucht

Die Schattenseite der globalen Vernetzung

03.07.2009
Online-Süchte - Spiel, Einkauf und Sex - nehmen Experten zufolge zu. Fachleute fordern, die Therapiemöglichkeiten auszubauen und die Krankheit ernst zu nehmen.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), hat eine Ausweitung der Therapiemöglichkeiten für Online-Süchtige gefordert. Es gebe bereits entsprechende Angebote, doch "es gilt jetzt, die noch auszuweiten", sagte Bätzing der in Halle erscheinenden Mitteldeutschen Zeitung (Freitagausgabe). "Der Bedarf wächst. Denn das Problem wird immer größer", so die Drogenbeauftragte.

Laut Bätzing sind etwa drei Prozent aller Internetnutzer abhängig und verbringen in ihrer Freizeit mehr als zehn Stunden täglich im Internet. In der Folge würden unter anderem Sozialkontakte in der realen Welt "auf Null reduziert", die Konfliktfähigkeit bei den Betroffenen sinke, ebenso das Kommunikationsvermögen. Online-Sucht sei durchaus etwa mit Glücksspielsucht zu vergleichen, so Bätzing. Online-Sucht ist bislang international nicht als Krankheit anerkannt. Die Bundesdrogenbeauftragte empfängt heute in Berlin Experten aus Deutschland, Korea, China und den USA zur Jahrestagung "Internet und Computerspiele - Wann beginnt die Sucht?". Dabei soll es auch um die Frage gehen, wo die Grenze zwischen harmlosen Vergnügen und Zwang zu ziehen ist.

Die weit verbreiteten Online-Rollenspiele können nach Ansicht des Mainzer Psychologen Kai Müller süchtig machen. Die Spieler entwerfen dabei Charaktere, sogenannte Avatare, und verabreden sich im Internet mit anderen, um in einer Fantasiewelt gegen virtuelle Feinde zu kämpfen. Das bekannteste Rollenspiel ist "World of Warcraft", mehr als zehn Millionen Menschen spielen es weltweit. "Die Mitstreiter sind den süchtigen Spielern egal, für sie steht das Spiel im Vordergrund", sagte Müller im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Durchschnittlich spielten sie sechs Stunden am Tag.

Die reine Stundenanzahl sei nicht das einzige Anzeichen für Online-Sucht, berichtet Müller. Auch die Vernachlässigung anderer Lebensbereiche wie Freunde und Schule sowie Entzugserscheinungen seien Indikatoren. "Für die Süchtigen konzentriert sich das Leben nur noch auf den PC und alles andere wird unattraktiv", erzählt Müller. Der Experte arbeitet bei der deutschlandweit einmaligen Ambulanz für Spielsucht an der Universität Mainz, wo bereits etwa 180 Computersüchtige aus dem Rhein-Main-Gebiet therapiert wurden.

Die süchtigen Online- und Rollenspieler - meist Männer - lebten oftmals sozial zurückgezogen, spielten teils tagelang am Stück und mieden andere Menschen. "Sie wollen Kontakte, die man kontrollieren kann", erklärt der Psychologe. Seinem Rollenspiel-Partner müsse man nicht direkt in die Augen schauen, "da ist die Mattscheibe dazwischen". Außerdem könne man die Kritik anderer Menschen per Knopfdruck ignorieren. Gleichzeitig erlebten die isolierten Spieler in der virtuellen Welt Erfolgsmomente, die sie sonst nicht hätten.

Andere Formen der Computerspielsucht sind nach Müllers Angaben die Online-Kaufsucht oder die Online-Sexsucht. Neuerdings gebe es jedoch auch einen Trend zur Recherchesucht. Die Betroffenen geben einen Begriff in eine Suchmaske ein und verlieren sich dann im Internet. "Sie wollen Informationen zum Buchdruck im 19. Jahrhundert und landen beim Paarungsverhalten neukaledonischer Delfine", sagt Müller. Dabei vergessen sie, wie auch die Rollenspiel-Süchtigen, die Zeit. Auch soziale Netzwerke wie Facebook, Wer-kennt-wen oder StudiVZ könnten süchtig machen. Hier allerdings überwiege der Anteil der Frauen, sagt Müller. (dpa/ajf)