Die SAP haelt ein Monopol - aber wie lange noch? Harry Goos Projekt-Management IV, U.I. Lapp GmbH & Co. KG, Stuttgart

22.04.1994

Die Zeit der modularen Programmentwicklung im Grossrechnerbereich gehoert offensichtlich der Vergangenheit an. Immer mehr etablierte Beratungsunternehmen rutschen deshalb weit unter ihren betriebswirtschaftlichen Break-even-point. Was fast jahrzehntelang ein eintraegliches Geschaeft war, naemlich projektgesteuerte Analyse sowie Entwicklung und Einfuehrung betriebswirtschaftlicher Software im Kontext einer CIM-Loesung, wird von den Kunden immer seltener nachgefragt.

Nach vielen Lehrjahren haben auch die Mainframe-Anwender erkannt, was in der mittleren Datentechnik und der PC-Anwendung schon lange selbstverstaendlich ist: den Trend zur Standardsoftware. Der Standard, bei der Betriebssystemsoftware bereits gang und gaebe, hat auch bei der Anwendungssoftware seinen Siegeszug angetreten. Zu gross waren die Enttaeuschungen vieler Anwender ueber ihre individuell entwickelten Produkte, und zu haeufig mussten die prognostizierten Projektkosten nach oben korrigiert werden - ganz zu schweigen von den laufenden Aufwendungen fuer Manpower sowie Pflege und Wartung der Systeme.

Mit Standardsoftware geht man zwar innerhalb der Anwendungsbereiche Kompromisse ein, doch loest es die kostspieligen Schnittstellen-Probleme zwischen den unternehmensspezifischen Anwendungsbereichen. Massgeblicher Faktor im Meinungsbildungsprozess ist zudem die Verfuegbarkeit, ergaenzt durch die Betriebs- und Datensicherheit der Standardsoftware.

Allerdings hat auch die Fertigware ihre Schwachpunkte: Oft stimmen die Eigenschaften des Programmpakets nicht mit den Anforderungen des Anwenders ueberein, was erhebliche Anpassungen notwendig macht. Die nimmt der Kunde aber immer haeufiger in Kauf. Offensichtlich steht der Aufwand einer Neuentwicklung in keinem annehmbaren und - vor allem - prognostizierbaren Kostenverhaeltnis zur Modifikation einer Standardloesung.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Die Einfuehrung von Standardanwendungen wirkt sich als Katalysator fuer eine - durchaus gewollte - Neu- und Selbstorganisation der Unternehmensstruktur aus. Die dadurch ausgeloesten Veraenderungen in der Organisation eines Unternehmens koennen zu hohen Folgeaufwendungen fuehren. Diesen stehen jedoch die erzielten Synergieeffekte - im Sinne einer modernen Unternehmensplanung - gegenueber.

Der Nutzen solcher Veraenderungen wird heute in der Regel hoeher bewertet als die verursachenden Kosten - nicht zuletzt durch die gewonnenen Rationalisierungseffekte. Die teure Prozessorganisation laesst sich aber nur in wirtschaftlich gesunden Betrieben realisieren. Kraenkelnde Unternehmen koennen sich einen Wechsel auf Standardsoftware ueberhaupt nicht leisten. Sie kommen gar nicht mehr in den Genuss der Synergien, wenn sie nicht genug finanzielles Stehvermoegen besitzen.

Hinter dieser Betrachtung verbirgt sich das betriebswirtschaftliche Grunddilemma, das eine Software- Entscheidung in Grossunternehmen mit sich bringt: Wird durch die Einfuehrung von Standardsoftware eine Neustrukturierung der Aufbau- und Ablauforganisationsformen provoziert, so ist bei der Entwicklung einer Individualloesung die Software der bestehenden Organisation angepasst.

Standard bedeutet aber auch, dass die Weiterentwicklung und der Softwaresupport zu festen Konditionen vom Softwarehersteller geleistet werden, was wiederum zu einer Kostenreduzierung fuehrt. Diese Degression kann in manchen Faellen die Mehrkosten der Prozessorganisation kompensieren, ja sogar fuer eine positive Deckung sorgen.

Rund 75 Prozent aller deutschen Grossunternehmen haben sich bereits fuer die Standardsoftware der SAP entschieden. Ist der Eroberungsfeldzug des Anbieters noch zu stoppen? Die Markteintrittsbarrieren eines potentiellen Mitbewerbers waeren immens hoch, da SAP die wohl wichtigste Wettbewerbskomponente in der Softwarebranche schon erobert hat, naemlich die Produktakzeptanz beim Kunden. SAP besitzt ein Monopol, das den Markt entscheidend praegt.

Dies gilt nicht nur fuer die Software, auch der Hardwaremarkt hat sich nach dem SAP-Standard zu richten. Rechner, auf denen die Software nicht oder nur mit Performance-Abstrichen laeuft, erobern wohl kaum Marktanteile. Die Hardwaregiganten sind also langfristig auf eine enge Kooperation mit der SAP angewiesen, wodurch sich die Markteintrittsbarriere noch einmal erheblich erhoeht.

Aber auch die SAP muss ihr Monopol oeffnen - zumindest in der Unix- Welt. Ein potentieller R/3-Kunde findet sich einem breiten Angebot gegenueber, und SAP kaempft hier gegen starke Konkurrenz. Ob es einen neuerlichen Siegeszug wie mit R/2 geben wird, ist also keineswegs sicher.