Marktanteile und Technologiekonzepte

Die RISC-Entwickler ringen um die technische Vorherrschaft

08.06.1990

BOSTON (CW) - Geht es um die Marktanteile, dann ist Suns Sparc-Prozessor Spitze. Bei der technischen Führerschaft streiten sich die Kontrahenten noch: Sun, Mips und seit Mitte Februar 1990 auch IBM mit ihrem "Power-RISC-Chip" wollen den technologischen Vorreiter markieren.

Besondere Beachtung findet bei Analysten der erneute Vorstoß von IBM in die RISC-Welt. Immerhin konnte Big Blue nach den RT-Systemen mit den neuen RISC/6000-Workstations einen zweiten Versuch starten, in diese Prozessor-Technologie einzusteigen: Die vom Power-Chip - hinter dem Akronym verbirgt sich Performance Optimization with enhanced RISC - angetriebene Workstation leistet immerhin in der Grundausführung des Modells 320 schon 27 MIPS und 7,4 Mflops.

Die aus der Vereinigung von 19 Workstation-Herstellern gebildete SPEC-Kooperative, welche herstellerunabhängige Leistungstests für Workstations durchführt, bewertete das IBM-Grundmodell mit 22 SPEC-Marks.

Das potenteste System von Big Blue, die 540-Workstation, soll sogar 41 MIPS leisten.

Damit bekleidet IBM in bezug auf die reine Rechenleistung eine Spitzenposition: Suns Sparcstation 470, die mit einer 33-MHz-CPU agiert, kommt auf 22 MIPS, 3,8 Mflops und 17,6 SPEC-Marks und wird von Digitals DECstation 500 Modell 200, die auf dem R3000-RISC-Chip von Mips basiert, noch übertroffen: 24 MIPS, 3,7 Mflops respektive 18,5 SPEC-Marks schlagen bei ihr zu Buche.

Andrew Allison, Herausgeber des Newsletters "RISC Management" in Los Altos Hills, Kalifornien, führt ein Argument ins Feld, warum sich IBM "aus dem Stand" auf einen Spitzenplatz der RISC-Bewegung katapultieren konnte: Als erste hätte Big Blue in seinen Workstations ein superskalares Architekturdesign verwirklicht. Solchermaßen ausgelegte Systeme können pro Arbeitszyklus mehrere Instruktionen gleichzeitig abarbeiten. Möglich ist das bei dem "Power-Prozessor" durch die Aufteilung in drei Einheiten: ein Integer-, ein Fließkomma- und ein Branch-Prozessor arbeiten parallel nebeneinander.

Nach den Worten von Eric Kronstadt, Manager der RISC-Systeme bei IBM, tragen unter anderem auch ein 128-Bit-Speicherbus und eine neue Fließkomma-Einheit mit doppelter Genauigkeit zu der hohen Leistung der 6000-Systeme bei.

Auch Lizenznehmer der Sparc-Technologie und Mips sagten aus, daß deren nächste Generation von Chips die Superskalar-Technik nutzen. John Mashey, Vice-President der Abteilung Systemtechnologie bei Mips, bestätigte, daß ihre neuen Prozessoren nach dieser und der Super-Pipelining-Methode gearbeitet sein würden.

Das Rennen um die OEMs hat Mips bei DEC für sich entscheiden können, weil es nach Dileep Bhandarkar, dem technischen Direktor für RISC-Systeme bei Digital, die besseren Aufstiegs- und Zukunftschancen böte. Er hob in diesem Zusammenhang besonders die Mips-spezifischen Implementationen der superskalaren und Super-Pipelining-Methode als Beispiele dafür hervor, wie aufkommende Technologien sich in die bestehende RX000-Architekturen einbinden lassen. Seiner Meinung nach wird deshalb die nächste Generation von Mips-CMOS-Bausteinen auch eine bessere Fließkomma-Leistung aufweisen, als sie IBM-Workstations verwirklichen. Die Integer-Berechnungen sollen nach Bhandarkars Ansicht Big Blues RISC-Systeme gar um den Faktor 2 übertreffen.

Auch Sony wird in seinen für Juni avisierten Workstations den Mips-Chip integriert haben. Für James Mannos, Vice-President der Entwicklungsabteilung bei dem japanischen Mischkonzern, sind hierfür zwei Gründe ausschlaggebend: Zum einen sei der Mips-RISC-Baustein einfach der beste Chip am Markt, andererseits biete das kalifornische Unternehmen aus Sunnyvale die ausgereiftesten Compiler. Mannos zieht historische Entwicklungslinien, indem er bei der Mips-Architektur auf das Erbe des "Stanford-Designs" verweist. Dessen Hardware-Ansatz stützt sich vor allem auf optimierte Compiler, während man bei Sun die Hardware-orientierte Berkeley-Linie verfolgt.

Technologiefrage ist nur die Eintrittskarte

"RlSC-Management"-Herausgeber Allison diskutiert Vorund Nachteile der beiden Architekturansätze, indem er die Frage nach der CPU-Leistung aufgreift: "Man muß sich natürlich fragen, wieso ein mit 25 Megahertz getakteter Mips-Prozessor die gleiche Leistung bringt wie eine mit 33 Megahertz Taktrate arbeitende Sparc-CPU." Zwar würden durch die auf dem Berkeley-Ansatz beruhende Window-Technik des Sparc-Bausteins - bei der im Falle des Sun-Chips 136 Register in den Prozessor geladen und dort in überlappenden Fenstern separiert werden - die Speicherzugriffe reduziert. Wechselte man aber den Aufgabenkontext, müßten 136 Register gespeichert und neu geladen werden. Dies könnte die erheblichen Leistungseinbußen beim Sparc-Prozessor begründen.

An der Diskussion, welcher Prozessor sich letztendlich am Markt durchsetzen werde, beteiligte sich ein Entwickler von RISC-Prozessoren mit einem historischen Verweis: Die Technologiefrage sei lediglich die Eintrittskarte für das eigentliche Spiel. In diesem ginge es um strategische Allianzen und die Marketing-gestützte Positionierung am Markt. Das beste Beispiel hierfür sei Intel: Nicht der beste Prozessor habe sich vor einigen Jahren mit dem X88 beziehungsweise X86 durchgesetzt. Das sei Motorolas 68000-Chip gewesen. Intels Dominanz rühre daher, daß es genügend viele Computerhersteller gab, die ihre Maschinen auf dem Intel-Chip aufsetzten. Von entscheidender Bedeutung sei aber gewesen, daß es bald eine große Menge von Shrink-wrapped Software gab, die auf diesen PCs lief.

RISC kommt mit der Software

Die Zahlen beweisen es: RISC ist keine Fata Morgana. Legt man den von der IDC herausgegebenen Report "Technical Computing Program" zugrunde, so basierten 1989 ziemlich genau ein Drittel der 259 930 ausgelieferten Workstations und Server-Systeme auf RlSC-Prozessoren.

Dieser Anteil wird in Zukunft sicher steigen. Allein durch IBMs verstärktes Engagement mit den 6000-Systemen wird das Interesse an RISC weiter wachsen.

Zwar liegt Suns Anteil mit seinen Sparc-CPUs noch bei satten 55,4 Prozent am RISC-Markt (Mips 21,1 Prozent), während es IBMs bläßliche RT-Linie nur auf 4,5 Prozent brachte, doch schon für 1992 erwarten Analysten, daß sich diese Zahlen erheblich verändern werden.

Ob dies zu Lasten eines der drei Hauptkonkurrenten geht oder ob sich die RlSC-Technologie auch außerhalb ihrer traditionellen Marktsegmente ansiedeln kann, muß man abwarten. Die IBM ließ keinen Zweifel daran, daß ihre Workstations auch den kommerziellen Bereich abdecken sollen.

Sun-Gründer von Bechtolsheim sieht es genauso - und verkauft seine Sparcstations mit einigem Erfolg unter anderem an italienische Banken.

Von überragender Bedeutung wird bei aller technischen Überlegenheit der RlSC-Prozessoren gegenüber ClSC-CPUs sein, ob in nächster Zukunft entsprechende Applikationen zur Verfügung stehen werden.

Die frage, ob RISC eine Zukunft als Architekturbasis über den technisch-wissenschaftlichen Bereich hinaus hat, wird nicht auf der Hardware-, sondern der Software-Seite entschieden. jm