Roboter-System verwaltet große Datenmengen einfach und platzsparend:

Die richtige Datenkassette in elf Sekunden

07.04.1989

Zur Bewältigung großer Mengen zu speichernder Daten bieten sich mittlerweile die verschiedensten Systeme an, die für ein effektives Speichermanagement sorgen. Im folgenden Beitrag beschreibt Bernd Tröndle, wie eine deutsche Versicherungsgesellschaft die Umstellung auf ein automatisches Kassettensystem mit Roboterunterstützung bewältigt hat.

Bereits 1959 richtete die 1844 gegründete Agrippina-Versicherung einen EDV-Bereich ein. Dieser entwickelte sich analog zur elektronischen Datenverarbeitung insgesamt: technisch von der Lochkarte über die Batch- bis zur Online-Verarbeitung und anwendungsbezogen von der "klassischen" EDV über die Informations- bis zur Wissensverarbeitung. Heute verfügt das Unternehmen über ein weit verzweigtes Netz mit beispielsweise mehr als 1000 MDS- und IBM-Bildschirmen zur Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Verwaltung und Vertrieb. Moderne Großanlagen von IBM, dezentrale Nixdorf-Hardware und Bull-PCs formen das Bild einer komplexen nutzungsorientierten EDV-Landschaft.

Gelungenes Mix aus Platten und Bändern

Eines der EDV-Teilgebiete, das im Zuge dieser Entwicklung neu zu durchdenken und zu gestalten war, ist das Speicher-Management. Aus wirtschaftlichen ebenso wie aus anwendungsbezogenen Gründen hat man sich für ein Mix aus Platten und Bändern beziehungsweise Kassetten als Speichermedien entschieden. Kassetten sind nicht nur kleinere Einheiten im Bereich der Speichermedien, sondern auch Platten gegenüber kostengünstig. Die Flexibilität der Kassettenhandhabung zum Beispiel bei der Datenauslagerung ist unbestritten. Diesem Mix sind nur da Grenzen gesetzt, wo die Speichermedien sehr nah an die Großanlage heranreichen. Dies bedeutet, daß der Speicherinhalt nach Anwendungsgründen differenziert werden muß, um die geeigneten Speichermedien auszuwählen. Betriebssystemdaten oder andere systemkritische Daten werden grundsätzlich auf einer Platte gespeichert.

Historie- oder Ergänzungsdaten zu Arbeitsvorgängen sind demgegenüber ohne weiteres auf Kassetten abspeicherbar, da, wie weiter unten beschrieben wird, in einem Roboter-System die Zugriffszeit zwar langsamer ist, aber kein Hindernis für die Bearbeitung der Daten.

Die ursprünglich eingesetzten Bänder wurden im ersten Schritt der System-Umstrukturierung auf Kassetten umgestellt, die sich nicht nur einfacher handhaben, sondern auch platzsparender unterbringen lassen.

Als zweiter Schritt stand die Einführung eines Kassetten-Systems an, die später zu einer weiteren Investition führte. Logische Konsequenz der Entscheidungen war als dritter organisatorischer Schritt der Einsatz des automatischen Kassettensystems mit Roboter-Unterstützung, das das Speicher-Management, letztlich opimiert hat. Weiterhin wird darüber nachgedacht, als Ergänzung zu diesem Mix auch das Medium optische Platte mit der ihr eigenen Ablauf- und Speicherphilosophie einzusetzen.

Bei dem automatischen Kassetten-System mit Roboter-Unterstützung handelt es sich um das Storage-Tek System 4400, das eine Verbindung zwischen Offline-Speicher und Online-Verarbeitung per Roboter schafft und vom Hersteller deshalb Nearline-Konzept genannt wird. In einem siloähnlichen Speicherraum können zur Zeit 6000 Kassetten untergebracht werden. Auf Anforderung vom Host-Rechner über eine Steuereinheit wird die gewünschte Kassette vom Roboter angesteuert, identifiziert, erfaßt, zum Kassetten-Laufwerk transportiert und dort eingelesen. Der gesamte Such- und Transportvorgang dauert lediglich elf Sekunden. Daten, die mit dieser Service-Zeit auskommen, können also auf dem automatischen System gespeichert werden. Das führt zur Entlastung der kostenaufwendigen Plattenspeicher. In jeder der beiden - außerhalb des Silos befindlichen Kassetten-Einheiten sind zwei Laufwerke untergebracht, die in Online-Verbindung zum Host stehen.

Die Konfiguration besteht aus zwei STK 4480 M 20 Steuereinheiten mit 2-Kanalschalter und 2 x 16-Umschaltung. Außerdem zwei STK 4480 M 14 Magnetband-Kassetteneinheiten und einmal STK 4400 ACS Automated Cartridge System einschließlich Software, Bedienungseinrichtung und Monitor.

Das 4400 ACS besteht aus 4 Komponenten, die nachfolgend beschrieben werden: Das Kassettensubsystem arbeitet mit 18-Spur-Kassetten im Halb-Zoll-Format und ist kompatibel zur IBM 3480. Es sind zwei Modelle mit vier Laufwerken je physischer Einheit installiert. Die Steuereinheit verfügt über zwei Mikroprozessoren, vier Einheiten-Interfaces und kann bis zu 16 Kassettenlaufwerke bedienen, der 4-MB-Puffer wird dynamisch verwaltet. Die Datenübertragungsrate zwischen Kanal und Pufferspeicher beträgt 4,5 MB/Sekunde.

Das zwölfseitige, zylindrische Library Storage Modul (LSM) kann in den Außen- und Innenwänden aufrechtstehend gelagert 6000 Magnetbandkassetten aufnehmen, was einer Speicherkapazität von 1200 Gigabyte bei 200 MB pro Kassette entspricht. Im Zentrum des LSM ist ein freistellendes Robotersystem mit zwei Greifarmen untergebracht. Die durchschnittliche Lade- und Entladezeit bei einer Datenkassette beträgt elf Sekunden.

Große Datensicherheit und hohe Verfügbarkeit

Die Kassettenein- beziehungsweise -ausgabe erfolgt durch den Cartridge Access Port (CAP) mit einem Fassungsvermögen von 21 Stück, der sich in der Mitte der LSM-Eingangstür befindet. Diese Tür, durch die der Operator die Library betreten kann, um so im Notfall den Magnetbandbetrieb auch manuell fortsetzen zu können, ist abschließbar und kann nur mit zwei Schlüsseln geöffnet werden. Jedes Betreten wird automatisch mit Zeit und Datum protokolliert, genau wie jede Kassettenein- und -ausgabeoperation. Die Einheit ist mit einer Halonanlage für den Fall eines Entstehungsbrandes geschätzt. Ein Rauchmelder ist vorhanden. Der Roboter der Einheit kann über seine digitale Kamera die Seriennummern auf dem Kassettenaufkleber (Volser) sowohl in OCR als auch in Barcode lesen.

Die Library Management Unit (LMU) arbeitet als Interface zwischen den beiden CPUs und LSM, ist als 3278 Terminal generiert und über eine Steuereinheit 3274 angeschlossen. Sie übersetzt die Lade- beziehungsweise Entlademeldungen des Rechners in Steuerbefehle für die Roboterbewegung.

Die Host-Software-Komponente (HSC) stellt die Schnittstelle zur Verfügung, über die das Roboter-System kontrolliert wird. Sie beeinflußt die Allokation der Bandeinheiten, fängt die Operatorbefehle für das Laden und Entladen ab und interpretiert sie als Befehle und Anweisungen für die LMU. Sie kann gleichzeitig ein automatisches und ein manuelles Kassettensubsystem im Hydridbetrieb bedienen. In einer Kontrolldatei wird der aktuelle Status der Library und jeder Kassette festgehalten. Mit einem Inventurprogramm kann für ein LSM diese Datei völlig neu erstellt werden. Ein weiteres Hilfsprogramm dient zur Kommunikation mit einem Bandverwaltungssystem, so daß die Information über den Scratch-Status jeder Kassette verfügbar ist.

Der Einsatz der HSC erfordert keinerlei Modifikationen, weder am Betriebssystem noch am Tape-Management-System noch an der JCL. Sie läuft unter MVS/XA als Secondary Subsystem und benötigt dazu die Release-Stände JES 2,2.1.3 oder höher oder JES 3,2. 1.5 oder höher. Sie ist in den Formaten SMP/E geliefert. Das automatische Kassettensystem ist an die beiden CPUs über Blockmultiplexkanäle angeschlossen, die im Datenstrommodus betrieben werden. Alle wichtigen Systemkomponenten sind überdimensioniert oder redundant ausgelegt, um die Verfügbarkeit zu erhöhen.

Um diesen Anforderungen heute und in Zukunft gerecht zu werden, mußte auf ein Magnetband-Kassettensystem der neuen Rechner-Generation umgestellt werden, das eine hohe Verfügbarkeit, eine entsprechende Übertragungsrate gegenüber den Rechner-Kanälen hat, ein vereinfachtes Operating bietet, operatorlos arbeitet, wenig Stellfläche und Energie verbraucht und die dafür getätigte Investition zukunftssicher und von langer Nutzungsdauer ist und zum guten Schluß noch in das Backup/Sicherheitskonzept paßt.

Cartridge-Magnetband erfüllt Anwender-Forderung

Alle diese Antworten kamen von dem auf dem Bandsektor seit einigen Jahren existierenden Cartridge-Magnetband-Systemen. Sie hatten alle ein entsprechendes Leistungsangebot und erfüllten die Anwender-Forderungen an Datenschutz und Datensicherheit. Um ein vollautomatisches Magnetband-Kassetten-System zu installieren, war die Anzahl der Hersteller bei der Vorauswahl auf zwei begrenzt, die sich zudem noch in ihrer Ausstattung erheblich in Komfort und Preis unterschieden.

Die Wahl der Kassettenlaufwerke mußte daher im Hinblick auf den Ausbau zur bedienerlosen Peripherie-Bedienung zwischen IBM und STK getroffen werden, um später als weiteren organisatorischen Schritt das Speicher-Management durch den Einsatz eines vollautomatischen Magnetband-Kassetten-Systems auf den Weg zum optimalen Stand zu bringen. Da zu diesem Zeitpunkt das Speicher-Konzept fertig und die Umsetzung erfolgversprechend war, wurde auch eine Entscheidung herbeigeführt. Ein Warten auf neue Hardware-/Software-Lösungen schien nicht sinnvoll.

Vor diesem Hintergrund führte die Agrippina auch eine Wirtschaftlichkeitsanalyse durch und konnte nach einer Vorbereitungszeit von etwa drei Monaten eine Entscheidung treffen. Die wesentlichen Kriterien zur Entscheidungsfindung waren einmal die Datensicherheit, das heißt ein in sich abgeschlossenes System einschließlich Brandschutzmaßnahmen, das Preis/Leistungs-Verhältnis, was Ausstattung und Komfort anging, die kurze Service-Zeit für den gesamten Such- und Transportvorgang, geringe Stellfläche für die Unterbringung von etwa 6000 Kassetten und damit verbunden auch keine baulichen Maßnahmen für die Installation sowie für eine spätere eventuelle Erweiterung.

Die ursprünglich eingesetzten Bänder wurden im ersten Schritt der System-Umstrukturierung auf Kassetten umgestellt. Die Anpassung an die RZ-Software für die automatische Bandverwaltung und die Job-Steuerung mußten im Rahmen der üblichen Umstellungsaktivitäten vorgenommen werden. In der Batch-Verarbeitung war aufgrund der jetzt verfügbaren acht Kassettenlaufwerke eine Korrektur des Job-Profiles notwendig. Dabei stellte sich jedoch im organisatorischen Umfeld das Sichern mit Multifile als besonders vorteilhaft heraus, wobei hier weniger Rüstzeiten und damit auch kürzere Laufzeiten entstanden. Die Anzahl der Kassetten verringerte sich, und damit war die Ausnutzung pro Kassette erheblich höher. Der Einführung des vollautomatischen Magnetband-Kassettensystems stand jetzt im zweiten Schritt der System-Umstrukturierung nichts mehr im Wege.

Gegenüber der manuellen Kassettenablage bietet das Roboter-System eine Reihe von Vorteilen. Neben der Geschwindigkeit sind dies vor allem die Erhöhung der Verarbeitungs-Sicherheit und die Einsatzmöglichkeit "rund um die Uhr". Mit der Umstellung geht einher, daß sich die Tätigkeit der beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verändert: Wo früher Handhabung und Bedienung im Vordergrund standen, sind es heute die Anwendung und Pflege der notwendigen Software. Durch den Einsatz des automatischen Kassetten-Systems werden zur Zeit in der Tagesproduktion des Rechenzentrums etwa 350 bis 400 Kassetten durch den Roboter auf den Kassetten-Einheiten ohne manuellen Eingriff des Operators gerüstet.

Wenn man eine durchschnittliche Rüstzeit für den Operator von ein bis zwei Minuten pro Kassette zugrunde legt, ohne Vorbereitungszeit, Aufsuchen und Transportieren der Kassetten an die Kassetten-Stationen, dann ergibt sich rechnerisch gegenüber dem Roboter eine Zeitersparnis von täglich 3 bis 3,5 Stunden.

Durch den schrittweisen Abbau der organisatorischen Arbeiten ist damit zu rechnen, daß unser System zwei Operatoren ersetzt, zumal der operatorlose Lauf in den Nachtzeiten erheblich ausgedehnt werden kann. Für diesen Bereich sind dann keine zusätzlichen Operatoren notwendig. Allerdings sollte an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, daß freiwerdende Operatoren in vielen Fällen nicht Reduzierung des RZ-Personal bedeuten, sondern sinnvollen Einsatz. In der Regel wird der RZ-Betrieb durch immer umfangreichere Software für Steuerung und Kontrolle notgedrungen Personal benötigen, welches aus dem vorhandenen Personal aufgebaut werden kann.

Kassetten derzeit billiger als Magnetplatten

Von den 6000 möglichen Kassettenplätzen im Roboter-System bei der Agrippina sind zur Zeit 4500 belegt, so daß noch Spielraum für die weitere Nutzung zur Verfügung steht. Das System läßt sich nach einem Modularprinzip erweitern. Bei den Kassetten handelt es sich ausschließlich um 3M ? -Zoll Cartridges, das Medium der Wahl für IBM 3480-Anwender. Mit einer Speicherdichte von 37 871 bpi hat die Cartridge eine Kapazität von rund 200 MB.

Nach ungefähr einem halben Jahr Erfahrung mit dem Roboter-System kann gesagt werden, daß sich die Anschaffung des Systems bereits bewährt hat. Daten, die mit diesem kostengünstigen Zugriff schnell genug der Großanlage zur Verfügung stehen, gibt es aufgrund der Daten-Analysen genug - seien es nun spezielle Historie-Daten oder Auslagerungsdaten. In der organisatorischen Konsequenz eines Roboter-Systems liegt auch die Möglichkeit der kostengünstigen Nutzung von Kassetten gegenüber der Magnetplatte. Abzuwarten bleibt allerdings, inwieweit der verstärkte Einsatz optischer Platten in der Zukunft die zur Zeit günstige Situation verändern wird.

*Dr. Bernd Tröndle ist EDV-Chef der Agrippina-Versicherungruppe Köln.