Kritik an den offiziellen Wirtschaftsdaten der US-Administration:

Die Rezession in den USA könnte bereits im Gange sein

09.11.1990

Der Schlüssel für die richtige Einschätzung des Dollars ist die Beurteilung der zu erwartenden Konjunkturentwicklung in den USA. Die veröffentlichten offiziellen Zahlen zum Bruttosozialprodukt. Wachstum (inflationsbereinigt) weisen auf eine fortschreitende Wachstumsverlangsamung hin. Die Frühindikatoren lassen ein Abgleiten in den negativen Wachstumsbereich schon im ersten Halbjahr 1991 befürchten.

Doch es gibt auch andere Meinungen: Albert E. Sindlinger, unabhängiger US-Konjunkturprognostiker seit 1948, behauptet in seiner vielbeachteten Studie "Can they fool all of the people all of the time", die vom Department of Commerce veröffentlichten Zahlen für 1990 seien nach Bekanntwerden der tatsächlichen Entwicklung (vor allem im Baubereich) nicht ausreichend nach unten revidiert worden. In Wahrheit habe sich das US-Bruttosozialprodukt seit dem vierten Quartal 1989 negativ entwickelt.

Eine Umfrage während der am 24. September 1990 in Washington abgehaltenen Konferenz der "National Association of Business Economics" ergab, daß 77 Prozent der Befragten unzufrieden mit den veröffentlichten offiziellen Daten sind. Eine Reihe von Analysten ist dazu übergegangen, nicht mehr in erster Linie die zur Verfügung gestellten Daten der jüngsten Wirtschaftsentwicklung zu beachten, sondern das Augenmerk vielmehr auf Art und Umfang der Revision für die früher veröffentlichten Daten zu richten, um so den "Fehlertrend" bei den aktuellen Zahlen in den Griff zu bekommen.

Das Pikante an der Oppositionshaltung Sindlingers zum Department of Commerce ist die Tatsache, daß die Gründung der Firma von Sindlinger 1948 mit Hilfe von Ex-Präsident Hoover ver zustande kam, der in den 30er Jahren festgestellt hatte, daß eine Depression hätte vermieden werden können, wenn die Verantwortlichen nur rechtzeitig mit korrektem Zahlenmaterial ausgerüstet worden wären.

Folgt man Sindlingers Aussage, daß die Rezession schon vor einem Jahr begonnen hat, und betrachtet man die durchschnittliche Dauer rezessiver Phasen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg (neun bis 16 Monate), müßte die rezessive Phase schon bald zu Ende gehen.

Es gibt durchaus Argumente die dafür sprechen:

- die kurzfristigen Zinsen tendieren rückläufig,

- die Zinsstruktur ist nicht invers (das heißt, die Zinsen auf kurzfristige Verbindlichkeiten notieren nicht höher als die Zinsen auf langfristige Verbindlichkeiten),

- die Läger sind nicht voll,

- die Exporte bleiben wegen des niedrigen Dollars hoch,

- die Bereinigung in den Bereichen Bau- und Automobilwesen ist schon weit vorangeschritten.

Für eine weitere Verlängerung und/oder Verschärfung des Wachstumseinbruchs sprechen folgende Argumente:

- stark rückläufiges Geldmengenwachstum nicht nur in den USA, Verlangsamung des Wirtschaftswachstums weltweit,

- hoher Verschuldungsgrad bei gleichzeitig stark rückläufiger Neuverschuldung (begrenzte Handlungsfähigkeit),

- deflationär wirkende Schuldner- und Bankenzusammenbrüche (allein in den USA 1990 bisher mehr als 200 Institute).

Das Verschuldenswachstum in den USA während der 80er Jahre hat den starken Aufschwung ab 1982 weltweit überhaupt erst möglich gemacht. Dieser Joker, Ankurbelung durch Verschuldung, wurde längst ausgespielt. Der Handlungsspielraum ist heute sehr viel enger als vor zehn Jahren. Die durch die Verschuldung hervorgerufene Gefahr heißt jetzt Rezession durch Sparsamkeit und Entschuldung.

Erschwerend kommt die angespannte Situation des US-Bankensystems hinzu. Die Deregulierung seit Ende der 70er Jahre führte zu Margendruck durch erhöhte Konkurrenz und zu Bonitätsverlust - durch den Zwang, im härteren Konkurrenzkampf höhere Risiken einzugehen. Die Erosion der Bonität großer US-Money-Center. Banken wird in den nächsten Jahren für wachsende Unsicherheit sorgen. An der Nahtstelle der Geldverteilung sind die Spielräume ebenfalls sehr eng geworden.

Aus der Konsolidierung wird das US-Bankensystem ebenso wie die US-Wirtschaft per saldo gestärkt hervorgehen. Noch sind die Übertreibungen der 80er Jahre jedoch nicht ausreichend bereinigt, um davon ausgehen zu können, daß wieder der Boden erreicht wurde. Das gilt für die US-Konjunktur, die Aktienkurse - nicht nur in der Wallstreet - und damit auch für den US-Dollar.

Arnd Wolpers ist Geschäftsführer der Vermögensgesellschaft GmbH in München.