Erfahrungsbericht des AWV zur Betriebsdatenerfassung (Auszug):

"Die Realisierung von BDE-Systemen hängt vom Einführungskonzept ab"

17.08.1979

Betriebsdatenerfassung (BDE) heißt konkret "EDV am Arbeitsplatz", sei es in der Administration oder der Produktion. Die entsprechenden Peripheriegeräte der EDV gelten dem einen als das Nonplusultra komfortabler und effizienter Arbeit, dem anderen aber als verlängerter Arm eines inhumanen Systems. Dermaßen in den Himmel gehoben respektive verteufelt, bedarf es dringend einer Analyse dessen, was Betriebsdatenerfassung wirklich ist, was sie leistet, wie sie zu realisieren ist und dahin wiederum, wie die organisatorischen und psychologischen Hemmnisse bei der Einführung eines BDE-Systems überwunden werden können. Die COMPUTERWOCHE druckt hier ein Kapitel des Erfahrungsberichts der

BDE-Projektgruppe des AWV ab, das sich speziell mit möglichen Einführungskonzepten befaßt. Die Leitung dieser Gemeinschaftsarbeit des AWV-Fachausschusses Organisation und Datenverarbeitung (Arbeitkreis Datenerfassung-Projektgruppe Betriebsdatenerfassung)

hatte Prof. Karlheinz Roschmann. Die anschließende Studie "Betriebsdatenerfassung in Industriebetrieben" kann als Einführung und Leitfaden gelten. Die "Empfehlungen für die Praxis" beruhen auf den breitgefächerten Erfahrungen der gesamten Projektgruppe. Der Erfahrungsbericht insgesamt ist kürzlich beim Verlag Moderne Industrie in München in Buchform erschienen (Preis 58 Mark).

Information des Betriebsrats

Im Rahmen der Abwicklung von BDE-Projekten empfiehlt es sich, den Betriebsrat in einem möglichst frühen Projektstadium über die beabsichtigte BDE-Installation zu informieren.

Es ist im Einzelfall abzuwägen, ob der Betriebsrat über die bestehende Informationspflicht hinaus in die Projektverantwortung einbezogen werden sollte, um etwaige Problembereiche frühzeitig erkennen und mitverantwortlich ausräumen zu können. Durch eine solche konstruktive Mitarbeit kann eine positive Einstellung des Betriebsrats und das Vertrauen der Mitarbeiter in das System gewonnen werden.

Betriebsvereinbarung

Mit dem Betriebsrat sollte in solchen Fällen eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden, in denen rechtliche Unsicherheiten vorliegen. Sie ist zum Beispiel dann notwendig, wenn Entlohnungsfragen berührt werden. Besteht beim Betriebsrat ein zusätzlicher Informationsbedarf, können Gespräche mit dem Betriebsrat einer Firma, die bereits ein entsprechendes BDE-System verwendet, von Nutzen sein.

Erfahrungsgemäß werden die Betriebsvereinbarungen zum größten Teil erst in der Schlußphase des Projekts oder nach Inbetriebnahme des BDE-Systems abgeschlossen, weil dann das System von beiden Seiten in bezug auf die zu erfassenden Daten und die dabei verwendeten Geräte und Datenträger entsprechend beurteilt werden kann.

Falls geplant ist, zu einem späteren Zeitpunkt in bestimmten Bereichen zum Beispiel eine Prämienentlohnung oder die gleitende Arbeitszeit einzuführen sollte dies schon in der Betriebsvereinbarung möglichst detailliert berücksichtigt werden.

Die Betriebsvereinbarung sollte nur funktionsbezogen, das heißt unabhängig von Hardware-Bausteinen des Systems, formuliert werden. Sie kann in diesem Fall auch bei gerätetechnischen Veränderungen ihre Gültigkeit behalten.

Im Anhang ist als Muster eine entsprechende Rahmenbetriebsvereinbarung mit einem ergänzenden Protokoll aufgenommen.

Motivation der Benutzer

Arbeitsplätze lassen sich nur dann sichern oder neu schaffen, wenn ein Unternehmen am Markt bestehen bleibt. Durch die verschärfte Wettbewerbssituation werden die Unternehmen immer mehr gezwungen, kurzfristig auf externe und interne Ausnahmesituationen reagieren zu können. Dies erfordert eine möglichst zeitnahe Kenntnis des Fertigungsstands einzelner Aufträge, die durch ein geeignetes BDE-System erreicht werden kann. Auch die

- Verkürzung der Durchlaufzeiten

- Senkung der Kapitalbindung und eine

- erhöhte Flexibilität in der Fertigung,

mit Hilfe von BDE-Systemen kann die Konkurrenzsituation eines Unternehmens entscheidend verbessern.

Es gilt zu vermeiden, daß ein BDE-System aufgrund falscher, unberechtigter

Vermutungen oder aus Unkenntnis der eigentlichen Ziele abgelehnt wird. Im einzelnen ist sicherzustellen und den Arbeitnehmern gegenüber entsprechend zu vertreten, daß BDE-Systeme zur

- Überwachung des Fortschritts von Fertigungsaufträgen und zur

- Überwachung von Maschinen

eingesetzt werden. Früher gehörte Bedenken im Zusammenhang mit BDE-Systemen sind durch das Betriebsverfassungsgesetz und die Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen abzuschließen, weitgehend ausgeräumt.

Innerbetrieblich trägt ein BDE-System erheblich zur rationelleren Abwicklung von solchen Aufgaben bei, die auf aktuelle Daten aus der Fertigung angewiesen sind. Dies trifft vor allem für folgende Gebiete zu:

- Fertigungssteuerung,

- Fertigungsplanung,

- Bestell- und Lagerwesen,

- Finanz- und Rechnungswesen,

- Personalwesen,

- Werkserhaltung.

Die im Betrieb erfaßten Ist-Daten stehen in der EDV innerhalb kurzer Zeit für

die entsprechenden Abteilungen bereit und ermöglichen dort Entscheidungen,

die auf der tatsächlichen Situation in der Fertigung basieren.

Als weiteren Vorteil bringt ein BDE-System die Reduzierung des Belegwesens mit sich, das gerade in einer herkömmlichen Fertigungssteuerung, meist mit großem Aufwand betrieben, dem aktuellen Betriebsgeschehen nachläuft.

Die Arbeitnehmer selbst stehen durch die Aufwertung ihres Arbeitsplatzes durch ein Terminal und der damit verbundenen Erhöhung der Eigenverantwortung einem BDE-System meist aufgeschlossen gegenüber.

Persönliche Einführung

Die rechtzeitige und umfassende Schulung aller Mitarbeiter, die mit dem BDE-System in Kontakt kommen, ist von entscheidender Bedeutung für ein reibungsloses Funktionieren des Systems.

Im folgenden sind beispielhaft einige Vorgehensweisen und Maßnahmen aus der Praxis aufgeführt, die als Orientierungshilfe dienen sollen.

In einem Fall wurden Einführungsvorträge durch den Hersteller gehalten, bei denen die technische Leitung, der Betriebsrat, die Vorarbeiter und Meister sowie Mitarbeiter der Instandhaltungsabteilung anwesend waren. Eine sehr frühe Information aller beteiligten Stellen hat sich in diesem Zusammenhang als zweckmäßig erwiesen. Neben der Erstellung von Bedienungsanleitungen in mehreren Sprachen wurden anhand von Bedienungsablaufschemata die organisatorischen und technischen Prinzipien des BDE-Systems erläutert. Eine Unterweisung der Betriebshandwerker (Schlosser und Elektriker) wurde ebenfalls durchgeführt, da in diesem Fall die Instandhaltungszeiten miterfaßt werden sollten. Es war im Hinblick auf eine vorbeugende Instandhaltung von großem Interesse, wann von einer Maschine der Zustand "Reparatur" gemeldet wurde, wann die Reparatur tatsächlich begonnen und wann sie effektiv beendet wurde. Schließlich war interessant zu erfahren, wann nach beendigter Reparatur die Produktion wieder aufgenommen wurde. An die Unterweisung schlossen sich ausgiebige Tests mit den BDE-Geräten und eine versuchsweise Einführung der Prämienentlohnung an.

Auch folgende Vorgehensweise hat sich bewährt : Vor der Einführung des BDE-Systems wurde schrittweise die erforderliche Umstellung der Ablauforganisation durchgeführt. Damit ein reibungsloser Ablauf für die Einführung des Systems gewährleistet war, wurden die betroffenen Stellen getrennt nach Werker und Meister beziehungsweise Vorarbeiter geschult. Um in der Einführungsphase finanzielle Einbußen zu verhindern, wurde für die Zeit der Einführung und Schulung bei leistungsbezogener Entlohnung die Bezahlung eines erreichten Durchschnittslohns vereinbart.

Grundsätzlich ist eine Schulung in mehreren Phasen angebracht. Es kann wie folgt vorgegangen werden:

1. Organisatorische Vorbereitung

2. Schulung der zukünftigen Bediener außerhalb der Arbeitsplätze

3. Schulung vor Ort

4. Betreuung und Nachschulung vor Ort.

Hinsichtlich des Schulungsinhalts müssen verschiedene betriebliche Ebenen beachtet werden :

- Betriebsleiter: Vorstellung und Erläuterung des Gesamtsystems

- Betriebsleiter, Meister: Einführung der veränderten Betriebsabläufe

- Meister, Vorarbeiter Einführung in Benutzung der Geräte und Belege

- Vorarbeiter, Arbeiter: Handhabung der Geräte und Belege.

Die Schulung sollte

- in kleinen Gruppen,

- mit vielen praktischen Übungen,

- über kurze Zeiträume (1-1,5 Std.),

abgehalten werden. Photographien von Terminals, integriert in einem schematischen Systemaufbau, können dazu dienen, das System transparent zu machen.

Darüber hinaus hat es sich bewährt, in den einzelnen Bereichen Verantwortliche zu benennen, die bei Rückfragen und Problemen zur Verfügung stehen. Weiter ist es meist von Vorteil die Systemdokumentation der Herstellerfirma durch vereinfachte arbeitsplatzspezifische Bedienungsanleitungen zu ergänzen.

Das Interesse an dem System kann durch die Vorstellung im betriebsinternen Informationsblatt oder durch möglicherweise vorhandene Veröffentlichungen gefördert werden.

Während der Einführungsphase beziehungsweise der Nachschulung am Arbeitsplatz sollte eine genaue Fehlerstatistik geführt werden, die die Eingabefehler auf ihre systembedingten und benutzerbedingten Ursachen aufteilt. Im ersten Fall ist eine Anpassung des Systems erforderlich, im zweiten Fall muß eine weitere Schulung stattfinden.

Sachbearbeiter-Dokumentation

Für eine schnelle und sichere Einführung in die Bedienung von BDE-Stationen ist eine sorgfältig ausgearbeitete Sachbearbeiter-Dokumentation Voraussetzung. Eine solche "Bedienungsanleitung" muß einheitlich und übersichtlich aufbereitet sein und stets auf einem aktuellen Stand gehalten werden.

An jedem BDE-Terminal sollte eine Mappe verfügbar sein, in der sich alle hier benötigten Informationen befinden. Dies sind in der Regel:

- eine organisatorische Arbeitsablaufbeschreibung,

- eine technische Arbeitsablaufbeschreibung,

- eine Terminalbeschreibung.

Für die BDE-Zentrale ist eine vollständige Sammlung aller Ablauf- und Terminalbeschreibungen angebracht.

Eine organisatorische Ablaufbeschreibung sollte folgendes enthalten:

- Zeitpunkt und Art der Meldung, zum Beispiel bei:

- Auftragsbeginn und/oder Auftragsende,

- Auftragsunterbrechnung,

- Schichtende,

- Arbeitsende,

- erforderliche Eingabemedien (zum Beispiel Tastatur, Lochkarte(n), Ausweis, Lesestift).

Die technische Ablaufbeschreibung enthält zum Beispiel:

- die Namen der möglichen Funktionen,

- die Aufgaben der einzelnen Funktionen,

- den Code zur Funktionsanwahl (meist durch Funktionstasten),

- die Beschreibung des Dialogablaufs,

- die Erklärung und Behandlung von Fehlermeldungen

- allgemeine Hinweise

- Zuständigkeiten (Bediener, Programmierer),

- Anlagen (Bilder, Tabellen, Ablaufdiagramme).

Die Terminalbeschreibung sollte sich auf solche Funktionen beschränken, die der Bediener benötigt. Folgende Punkte sind zu berücksichtigen:

- Beschreibung der Gerätekonfiguration,

- Abbildung des Gerätes,

- Vorgehensweise bei der Inbetriebnahme,

- Beschreibung der Anzeigen

-Tastaturbeschreibung.

Grundsätzlich ist eine gut durchdachte graphische Darstellung der Arbeitsabläufe und Terminalfunktionen, zum Beispiel mit Hilfe von leicht verständlichen Symbolen, anzustreben. Dadurch wird vor allem auch ungeübten Arbeitskräften der Umgang mit den Geräten erleichtert.

Um den Umfang von Bedienungshandbüchern und Fehlertabellen gering zu halten, empfiehlt es sich, auf eine Bedienerführung mit Anzeige der vorzunehmenden Tätigkeiten und der Fehlergründe Wert zu legen.

Beurteilung

Die erfolgreiche Realisierung von BDE-Systemen hängt entscheidend von der organisatorischen Einführung ab. Es kann davon ausgegangen werden, daß ein BDE-Projekt dann zur Zufriedenheit aller Beteiligten eingeführt werden kann, wenn die in diesem Kapitel angesprochenen Gesichtspunkte entsprechende Beachtung finden. Bei den Mitarbeitern ist die Einsicht für den Einsatz eines BDE-Systems - die für einen reibungslosen Betrieb unbedingt erforderlich ist - durch

- Erklärung der Gründe für das System,

- arbeitsgerechte Gestaltung des Systems (unter Mitwirkung der Beteiligten),

- sorgfältige Vorbereitung auf das System,

zu gewinnen. Die Mitarbeiter müssen die Gewißheit haben, daß das System für sie Vorteile bringt, dann ist es "ihr" System.

Zusammenfassend wird (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) die Berücksichtigung folgender Punkte empfohlen:

- intensive Schulung des Erfassungspersonals,

- geeignete Arbeitsplatzgestaltung (Beleuchtung, Lautstärke),

- günstige Gestaltung des Arbeitsablaufs (Formulare, Erfassungsablauf),

- übersichtliche Bedienerführung (Reihenfolge und Vollständigkeit der Eingaben),

- übersichtlicher Meldungsaufbau (geringe Länge, Trennung in Datenfelder),

- visuelle Kontrollierbarkeit der eingetasteten Daten (optische Anzeige),

- Reduzierung des Eingabeaufwands durch Verwendung von Datenträgern (Lochkarte, Ausweis),

- Verwendung arbeitsphysiologisch günstiger Eingabegeräte,

- sofortige Prüfmaßnahmen bei der Eingabe (Formatprüfungen, logische Kontrollen),

- Erstellung übersichtlicher Fehlerprotokolle,

- einfache Kontrolle der Korrekturen

- Verfolgung der Eingabefehlerentwicklung (System- oder Bedienungsfehler),

- Absicherung der Dateneingabe (zum Beispiel Durchführung von Prüfziffernrechnungen).

Weiter ist bei der Einführung eines BDE-Systems zu beachten, daß in den meisten Fällen die bestehende Ablauforganisation den neuen datentechnischen Möglichkeiten

angepaßt werden muß.

Aufbauorganisatorische Maßnahmen, zum BeispieI Neugliederung oder Integration bisher getrennter Bereiche, sind in der Praxis, insbesondere bei sehr umfangreichen, hierarchischen Systemen, ebenfalls denkbar.