Anmerkungen zur Ergonomie-Diskussion auf physischer und psychischer Ebene:

Die Probleme verschwinden hinterm Bildschirm

11.04.1980

Karin Groth

Die Ergonomie-Diskussion In Betrieben wie zwischen den Sozialpartnern verdeckt einiges - auch aus der Sicht der IG Metall. Sie lenke ab von der Veränderung der Arbeitsinhalte, die mit Einführung von Bildschirmarbeitsplätzen Hand in Hand geht, und sie überlagere die Auseinandersetzung mit dem Computer, an den die Bildschirmterminals angeschlossen sind. Dennoch sind Bildqualität, Büro-Mikroklima und Bürostuhl nicht ohne Bedeutung. Während der Arbeitszeit, die knapp unter der Schlafzeit liegt, ist der Arbeitende auf sie angewiesen. Die meisten Körperteile regenerieren schlecht - und lassen sich nicht umtauschen.

"Bei der Ausgestaltung der Bildschirmarbeitsplätze geht es weniger um

die Ergonomie. Wesentlich sind hier die politischen Komponenten." So faßt Klaus

Wiesenborn, Betriebsrat bei Müller und Weigert GmbH, Nürnberg, einer Tochtergesellschaft der ITT (New York), seine Erfahrungen aus der zweieinhalbjährigen Arbeit für eine Betriebsvereinbarung über Bildschirmarbeit zusammen. Eine ähnliche Auffassung vertritt Andreas Drinkuth von IG Metall: "Die Regelungen der Arbeitsbedingungen an Bildschirmarbeitsplätzen sind nur eine Seite des EDV-Einsatzes. Der Einsatz von Bildschirmen bedeutet immer, daß der Computer ausgedehnt wird, daß sich betriebliche Strukturen verändern." An Stelle von Diskussionen über Streß und individueller Kontrolle, Fragen der Software und der Arbeitsorganisation werde vor allem, das zwar auch wichtige, aber doch weniger bedeutende Aussehen der Bildschirme behandelt.

Die Ergonomie - die Wissenschaft, die sich mit der physiologischen und psychologischen Gestaltung der Arbeitsbedingungen befaßt - sollte die Arbeitswelt menschengerechter gestalten, dem Wohlbefinden annähern, damit die Arbeit schneller und fehlerloser vonstatten geht. Dies dürfte auch im Interesse des Arbeitgebers liegen. Doch wird die Auseinandersetzung um den Komfort erbittert betrieben. Es dauerte Jahre, bis die Arbeitsstättenverordnung verabschiedet war oder die Arbeitsstättenrichtlinien Gesetzeskraft erhielten. Die abhängig Beschäftigten haben sie noch nicht in allen Betrieben durchgesetzt, obwohl ihnen beispielsweise das Recht auf eine Sitzgelegenheit zusteht. Noch schwieriger als bei den Stühlen, die eine Ermüdung oder Rückenschmerzen durch Überlastung der Bandscheiben dann zur Folge haben, wenn sie dem menschlichen Körper und der für die Tätigkeit notwendigen Körperhaltung nicht entsprechen, gestaltet sich die Auseinandersetzung über den Bildschirmarbeitsplatz - an dem meist auch ein Stuhl steht.

Studien und Auseinandersetzungen laufen über dieses Arbeitsmittel. Der Bundesverband der Arbeitgeber nahm Betriebsvereinbarungen über Bildschirmarbeitsplätze in seinen Tabukatalog auf. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie gab 1978 eine riesige Studie heraus. Arbeitswissenschaftler wie Professor Dr. Etienne Grandjean, W. Hünting, Dr. med. Th. Läubli, alle Zürich, kommen zu dem Ergebnis: "Die Arbeit an Bildschirmterminals verursacht durch die Arbeitsplatzanordnung und repetitive Arbeit Zwangshaltungen, die in den oberen Extremitäten stärker ausfallen als bei normaler Büroarbeit."

Fachärztliche Untersuchung verlangt

Die Handhabung der Ergonomie bei der jungen Bildschirmarbeit, über die noch wenig Erfahrung vorliegt, verursacht Schwierigkeiten, für die die an den Bildschirmen Beschäftigten bezahlen. An ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit wird die Gestaltung des Bildschirmarbeitsplatzes erprobt. Folgerichtig verlangen die Gewerkschaften in Tarifvereinbarungen einen Schutz ihrer Mitglieder. Dazu gehört bei der IG Metall eine augenärztliche, neurologische und orthopädische Untersuchung durch einen frei gewählten Facharzt im Abstand von mindestens einem Jahr. Ist aus gesundheitlichen Gründen eine Beschäftigung am Bildschirm nicht mehr möglich, so muß der Arbeitgeber dem Beschäftigten einen anderen, gleichwertigen Arbeitsplatz bei gleicher Bezahlung anbieten.

Die Arbeiten am Bildschirm gehen häufig "programmiert", programmunterstützt oder "mit Bedienerführung" vor sich. Programmiert werden, wie jeder weiß, nur sich wiederholende Abläufe, die, ergonomisch betrachtet, durch ihre Monotonie auf die menschliche Psyche belastend wirken.

Monotonie als Streßfaktor

Der Kommunikationspartner ist eine Maschine mit einer eng definierten Kommunikationsfähigkeit. Über die Isolation am Arbeitsplatz erhöht sich die Monotonie und darüber der Streß als Mangel an Reizen. Um diese psychische Konsequenz zu vermeiden oder zumindest zu vermindern, fordert die Industriegewerkschaft Metall eine Beschränkung der Arbeit am Bildschirm auf maximal die Hälfte der täglichen Arbeitszeit, die alle Stunde von einer Erholzeit unterbrochen wird. Wichtig ist deshalb zur Einhaltung der psychischen Komponente der Ergonomie die Forderung nach einem Mischarbeitsplatz, bei der mindestens die bisherige Qualifikation des Beschäftigten zu erhalten ist. Nach britischen Untersuchungen ist ein Architekt, der neun Monate mit Computer-Aided-Design arbeitete, zum freien Zeichnen nicht mehr geeignet, da sich seine Qualifikation und seine Kreativität in der Auseinandersetzung mit dem Bildschirm verflüchtigt haben. Machen die Unternehmen in Fragen der körperlichen Ergonomie derzeit nach Angaben von Drinkuth bereitwillig Zugeständnisse - wie sich auch in der Betriebsvereinbarung der MBB, Ottobrunn, zeigt - setzt die Blockade geballt bei Fragen der Arbeitsbedingungen ein, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsorganisation auswirken.

Die Diskussion um den Bürostuhl - ohne die Wichtigkeit dieses Gerätes auch, nur im geringsten anzuzweifeln - deckt Streßfaktoren wie permanente Kontrolle durch das Computerterminal, die Entleerung der Arbeitsinhalte durch Befolgen eines Rezeptes und Entfernung vom Ergebnis der Arbeit, den Verlust des Arbeitsplatzes durch vermehrten Einsatz von Maschinen auf Seiten der direkt Betroffenen zu. Doch wird 1990 jeder 12. Arbeitsplatz mit einem Bildschirm ausgestattet sein oder, wie es der Präsident der; Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung ausdrückt, stehen Ende der 80er Jahre in der Bundesrepublik über eine Million Bildschirme an Arbeitsplätzen gegenüber 300 000 heute.

Betriebsvereinbarungen über Bildschirmarbeitsplätze, die auch die politischen Komponenten wie Anreicherung der Mischarbeitsplätze durch zusätzliche Sachbearbeiterfunktionen, Verbot der, individuellen Leistungskontrolle enthalten, wurden abgeschlossen. Man kann die Betriebsvereinbarung über Bildschirmarbeit zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung der Müller und Weigert oder des Landes Bremen als einen Schritt zur menschengerechten Gestaltung der Arbeitsplätze betrachten.

Nebenwirkungen frühzeitig erkennen

Eine Parallele bei der Einführung dieser Technik zum Verbot der Kinderarbeit drängt sich auf. Sie wurde erst dann durchgesetzt, als die Gesellschaft merkte, wie teuer sie die Frühinvalidität zu stehen kam. Eine ähnliche Funktion haben die Regelungen über Bildschirmarbeitsplätze: Wenn auch die Vorteile des Bildschirmterminals zur Erleichterung. der Arbeit erkannt sind, sollen die unbeabsichtigten Nebenwirkungen rechtzeitig in den Griff kommen, um sich dem Ziel der Ergonomie anzunähern wie Grandjean formuliert: Die Anpassung der Arbeit an die Bedürfnisse des Menschen