IT in der Transportbranche/Transport- und Logistikunternehmen bevorzugen die mobilen Macher

Die Praxis ist wichtiger als ein gutes Examen

25.10.2002
MÜNCHEN (cw) - Eine klassische Branche wandelt sich radikal. Damit ändern sich auch die Anforderungen an die Mitarbeiter. IT rückt in den Mittelpunkt eines gut funktionierenden Transport- und Logistiksystems. Entsprechend wichtig sind Computerkenntnisse, wobei das Branchen-Know-how nach wie vor entscheidend für die weitere Karriere ist.

Nachdem die Unternehmen aus Industrie und Handel in den vergangenen Jahren viel Geld und Energie in die Optimierung der Geschäftsprozesse gesteckt haben und meist in Zusammenhang mit der Implementation von ERP-Systemen (Enterprise Resource Planning) wie SAP beachtliche Erfolge erzielen konnten, gelten diese Einsparmöglichkeiten als weitgehend ausgeschöpft. Neues Kostensenkungspotenzial machen die Manager jetzt vor allem jenseits des eigenen Unternehmens aus. Dabei haben sie die gesamte Wertschöpfungskette ins Auge gefasst: Das Zauberwort heißt Supply-Chain-Management und zielt auf die Optimierung der unternehmensübergreifenden Prozesse. In diesem Szenario fällt der Transportwirtschaft, die bei den internen Maßnahmen bisher meist außen vor blieb, eine entscheidende Rolle zu.

"Die Logistikbranche kann sich zum Motor der Entwicklung machen und sich über Transportabwicklung und Lagerei hinaus neue Geschäftsfelder erschließen", erklärt Michael Schüller, der als Berater im Bereich Logistik bei der Unternehmensberatung Lufthansa Systems AS in Hamburg tätig ist. In einer von ihm betreuten Studie zum Thema "Anforderungen der verladenden Industrie an Logistikdienstleister" hat sein Diplomand Martin Schlegel vor allem die Perspektiven des Transportgewerbes im Hinblick auf seine künftige Rolle in unternehmensübergreifenden Prozessketten untersucht.

Die Ergebnisse der Befragung von 360 Unternehmen in Deutschland, Großbritannien und den USA aus den Branchen Automobil, Elektronik, Chemie/Pharma, Konsumgüter und Handel zeichnen ein klares Bild: Die Mehrzahl der Firmen kann sich vorstellen, Funktionen an Logistikdienstleister zu übertragen, die über ihre klassische Rolle als Transporteur und Lagerhalter hinausgehen. Denkbar ist hier das Outsourcing von internen Transportleistungen über Verpackung und Versandvorbereitung bis zum Recycle-Management und zur Gefahrgutabwicklung.

Ob und in welchem Maß das Transportgewerbe davon profitieren kann, hängt entscheidend von dessen Flexibilität und vor allem von den IT-Systemen ab. Zwar hat der Logistikdienstleister durch die Präsenz entlang der gesamten Prozesskette eine hervorragende Ausgangsposition, um sich als treibende Kraft der Supply Chain zu profilieren. Dies wird ihm aber nur gelingen, wenn er sich mit maßgeschneiderter Informationstechnologie an die internen Systeme des Verladers ankoppeln kann. Während die klassische Transportbranche mit einem jährlichen Wachstum von acht Prozent rechnet, liegen die Prognosen für das Outsourcing zusätzlicher Dienstleistungen um die 30 Prozent.

Um die komplexen unternehmensübergreifenden Prozesse zu realisieren, bedarf es des Fachwissens aus unterschiedlichen Bereichen: Neben Branchenkenntnissen und logistischem Know-how sind es vor allem die IT-Systeme, die das reibungslose Funktionieren weltweit verteilter Aufgaben ermöglichen. Der sekundenschnelle Datenaustausch ist in vielen Branchen längst zur unabdingbaren Voraussetzung für Materialbeschaffung und Produktion geworden; nur ein ständig den Waren vorauseilender Informationsstrom kann die auf ein absolutes Minimum reduzierte Lagerhaltung ausgleichen und für ein perfektes Timing sorgen.

Handfeste Qualifikationen

Gesucht werden Mitarbeiter mit Interesse an logistischen Fragen und vor allem handfesten IT-Qualifikationen. Das Verständnis für komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge macht Wirtschaftswissenschaftler und -ingenieure, aber auch Betriebs- und Volkswirtschaftler mit Nebenfach Informatik zu besonders begehrten Kandidaten.

Branchenwissen aus dem Bereich Hafen- und Seeverkehr oder Studiengänge mit Schwerpunkt Logistik sowie Berufserfahrungen aus diesem Bereich heben den Bewerber in den Rang eines Wunschkandidaten, ebenso Kenntnisse auf dem Gebiet Supply-Chain-Management oder sogar Wissen um SCM-Software wie i2-Rhythm, Manugistics oder SAP-APO.

So vielseitig wie die Branche sind auch die Anforderungen an die Jobinteressenten: Viele Unternehmen zeigen sich im IT-Bereich ausgesprochen flexibel und freuen sich ebenso über Bewerbungen von Absolventen anderer Studiengänge, wenn diese vorzeigbare IT-Qualifikationen, Engagement und Begeisterungsfähigkeit mitbringen. Dabei schätzen die Personalchefs des bodenständigen Gewerbes meist praktische Fähigkeiten und Erfahrungen höher ein als Theorie oder Prädikatsexamen.

Soziale Kompetenz unverzichtbar

Vor allem aber gelten im Transportgeschäft Mobilität, Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenz als unverzichtbar. Denn Abstimmung und Verhandeln mit internationalen Partnern sowie Kunden gehört auch im IT-Bereich zum täglichen Geschäft. Ausbaubare Englischkenntnisse sind deshalb ebenso ein Muss wie die Bereitschaft zum Reisen, die wegen der internationalen Ausrichtung des Geschäfts häufig als selbstverständlich vorausgesetzt wird.

Angesichts der Perspektiven der Branche bieten sich im IT-Bereich spannende Aufgaben und gute Karrierechancen. Denn nur über den Ausbau der IT-Kompetenz führt der Weg vom Spediteur alten Schlages zum Logistikdienstleister im E-Business-Zeitalter. Experte Schüller: "Wer es nicht schafft, sich zu spezialisieren oder mit starken Partnern ein logistisches Full-Service-Paket zu schnüren, ist in Gefahr, in die Rolle des reinen Frachtführers abzurutschen." (hk)

Geld mit Transport

Der Gesamtmarkt der klassischen Transport- und Logistikdienstleistungen in Deutschland weist eine Größenordnung von 200 Milliarden Mark jährlich auf: Lagerhaltungs- und Umschlagsbetriebe, Transporte mit Lastwagen, Binnenschiff, Ozeandampfer und Flugzeug sowie die auf schnellen Transport und leichte Güter spezialisierten KEP (Kurier, Express, Paket)-Dienstleister tragen zum Gesamtumsatz bei.