Die Pizza kommt vom CEO

12.04.2001
Von in Ingrid
Von einer Entspannung oder gar Rezession am Arbeitsmarkt war bei der 33. Global Human Resource Management Conference in Barcelona nichts zu spüren. Das Wettrennen um die besten Köpfe geht in die nächste Runde. Personaler brauchen kreative Ideen und viel Phantasie bei der Mitarbeiterbindung.

Die Lifttür öffnet sich, ein älterer Herr im dunklen Zwirn, Krawatte und Einstecktuch taucht auf, fährt mit dem Golf-Caddie den Flur entlang und verteilt kostenlose Pizza an die Angestellten. Das Eigenartige an diesem Fastfood-Service: Hier serviert der CEO persönlich. Was sich wie der Alptraum deutscher Chefs anhört, gehört bei einigen amerikanischen Unternehmen durchaus zu den gängigen Maßnahmen der Mitarbeiterbindung.

Jonas Ridderstrale
Jonas Ridderstrale

Mike Johnson, Berater und Buchautor aus England, hatte in seinem Vortrag “Winning the People War” weitere Beispiele parat. Europa müsse sich mit ungewöhnlichen Ideen nicht hinter den USA verstecken. Beispielsweise bietet ein Unternehmen in Dänemark an der Rezeption den gestressten Mitarbeitern Hunde an, mit denen sie zur Entspannung eine Runde um den Block drehen können. Bei der dreitägigen Konferenz des belgischen Veranstalters Management Centre Europe (MCE) informierten sich rund 700 Personalberater aus 53 Ländern in Vorträgen und Diskussionsrunden, welche Rolle das Human-Resource-Management spielt, und wie Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben können.

Von Konjunktursorgen und steigenden Arbeitslosenzahlen auf dem Kongress nichts zu spüren. Die Rede war von drei bis vier Millionen fehlenden Mitarbeitern europaweit. Das Wettrennen um die besten Köpfe geht in eine weitere Runde. Gut qualifizierte Mitarbeiter fehlen weiterhin in vielen Branchen. Im Jahr 2003 sollen in Europa 1,7 Millionen Stellen nicht besetzt werden können. In anderen Wirtschaftszweigen zeigt sich die Situation ähnlich dramatisch. “In Frankfurt können mittlerweile auch Sekretärinnen ihr Gehalt selbst bestimmen, weil der Markt leer gefegt ist”, erklärt eine Teilnehmerin die Situation am Finanzstandort.

Zwar verloren bisher 100 000 Mitarbeiter ihren Job in Dotcom-Unternehmen, gleichzeitig stiegen aber im letzten Jahr 2,2 Millionen neue Mitarbeiter bei Startups ein. “Früher jobbten Studenten während der Semesterferien. Inzwischen können sie ihr Geld leichter verdienen: Sie reisen zu Vorstellungsgesprächen, und die Unternehmen zahlen nur für das Erscheinen 1000 Euro an aussichtsreiche Kandidaten”, berichtet Johnson.

Allerdings macht Geld allein die jungen Talente nicht glücklich, da waren sich die Redner einig. Ein interessanter Job, viel Eigenverantwortung und ein Unternehmen mit Visionen wünschen sich die neuen Arbeitnehmer. Momentan erfüllen allerdings erst wenige Firmen die hohen Anforderungen, denn laut einer Befragung von McKinsey sind nur drei Prozent mit der Personalentwicklung ihrer Arbeitgeber zufrieden. Bei den Vorträgen und Veranstaltungen interessierte die anwesenden Personaler natürlich ganz besonders, wie sie talentierte Mitarbeiter finden und langfristig an sich binden können.

Verlangten bisher die Unternehmen eine ganze Menge von ihren Beschäftigten, fordern jetzt auch die Angestellten jede Menge Flexibilität von den Arbeitgebern. Besonders die überall gesuchten qualifizierten Youngster können die Messlatte hoch legen: Erfüllt der Arbeitgeber nicht die Erwartungen, zögern sie nicht, zur Konkurrenz zu wechseln. Langjährige Loyalität gehört zu den Werten von gestern.

 “Die neuen Mitarbeiter sind Individualisten”, von dieser These überzeugte Jonas Ridderstrale, Assistenzprofessor am Centre for Advanced Studies in Leadership an der Stockholmer School of Economics (SSE), die Zuhörer mit seinem Vortrag in Form einer perfekten Showeinlage. Die Zeitreise ging von Luther über Marx bis zu Richard Branson als Drag Queen verkleidet. Vermutlich hätte kaum jemand der anwesenden Personaler einen Bewerber eingestellt, der bewusst die Spielregeln der grauen Anzugsträger ignoriert. Aber besonders bei den ungewöhnlichen Zeitgenossen schlummern Potenziale für außergewöhnliche Geschäftsideen. Schließlich verkauft sich ein Gericht mit dem exotischen Namen “Sushi” besser als “cold dead fish”. Das leuchtete allen Anwesenden ein.

Nach einer Stunde Lapstick und Infotainment hatten die Zuhörer verstanden, was Ridderstrale mit "Funky Business” umschreibt. In der Überflussgesellschaft herrschen andere Spielregeln. “Wer in einer Patchwork-Familie mit zwei Müttern und drei Vätern aufwächst, hat kein Problem damit, ständig neue Bindungen einzugehen.” Egal, ob als Generation X, Y oder @ bezeichnet, die neuen Mitarbeiter stellen die eigenen Wünsche und Bedürfnisse auch im Job an die erste Stelle. Individuelle Loyalität bedeutet nicht, sich sklavisch und über Jahre hinaus an einen Arbeitgeber zu binden. Ergeben sich neue Perspektiven in einer anderen Firma, haben die heute 20-Jährigen keine Skrupel, den Schreibtisch zu wechseln.

“Just in Time Loyality” nennt der amerikanische Berater und Buchautor Bruce Tulgan das neue Phänomen. Die New Economy geriet zwar an der Börse in heftige Turbulenzen, die Einstellung der Mitarbeiter zu ihren Jobs hat sie aber auf jeden Fall nachhaltig verändert. Erhofften sich Personaler in Vorstellungsgesprächen auf die Frage “Wo möchten Sie in einem Jahr sein?“ noch vor einigen Jahren nette Antworten zu einem Karriereweg im Unternehmen, könnte heute die Antwort eines Bewerbers lauten: “Das hängt von den anderen Jobangeboten ab.”

Mobile Kommunikation, Teleworking und freie Zeiteinteilung ermöglichen den Unternehmen eine flexiblere Arbeitsgestaltung der Mitarbeiter – allerdings bleibt das in vielen Fällen nur graue Theorie. In einer Befragung von Pricewaterhouse-Cooper (PwC) nannten 57 Prozent ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit als wichtigstes Karriereziel. 1998 stand dieses Kriterium für nur 45 Prozent an erster Stelle. “Wenn ein guter Mitarbeiter zu ihnen kommt und sagt, er möchte in Zukunft mittwochs nicht mehr arbeiten, dann können Sie nicht einfach ablehnen”, so Tulgan.

Telearbeit und flexible Arbeitszeiten lassen sich vergleichsweise einfach umsetzen. Die Anforderungen an die Personalarbeit dagegen steigen. Schwieriger wird es vor allem, die neuen Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden. “Wer für Geld kommt, geht auch für Geld”, gilt als Binsenweisheit unter Personalchefs. Dagegen sind Visionen und Werte trotz aller modernen Ansichten und Ansprüchen auch bei den heute 20-Jährigen gefragt. “Die Leute wollen für ein Unternehmen arbeiten, dessen Ziele mehr beinhalten als nur finanziellen Erfolg”, so Johnson. “Ich kenne Leute, die nach einer lukrativen Erbschaft ihren Job ganz aufgeben und stattdessen für 1400 Euro bei Greenpeace arbeiten.”

Jorma Ollila
Jorma Ollila

Allerdings gibt es auch Wirtschaftsunternehmen, die jede Menge Blindbewerbungen erhalten und sich ihre neuen Mitarbeiter immer noch aus vielen Interessenten aussuchen können. Nokia beispielsweise verkörpert für viele Bewerber den idealen Arbeitgeber. Jorma Ollila, CEO und Vorstandsvorsitzender des finnischen Mobilfunkanbieters, sprach in Barcelona über sein Erfolgsrezept: “Ehrliche und offene Kommunikation sind für uns sehr wichtig.” 1992 entwarf ein 25-köpfiges Team Unternehmensziele, die einiges von den Mitarbeitern und dem Management verlangen und gleichzeitig eine Herausforderung bieten. Dazu gehören neben dem wirtschaftlichen Erfolg auch Kundenzufriedenheit, Respekt vor dem Einzelnen und ständiges Lernen.

“Wir investieren in unsere Mitarbeiter, nicht nur was die Weiterbildung betrifft”, konkretisiert Ollila. Zwar gehören Ziele, Visionen und Werte mittlerweile bei jedem Unternehmen dazu, allerdings sind längst nicht alle ähnlich erfolgreich wie die Finnen, talentierte Mitarbeiter für sich zu gewinnen. “Wie schaffen Sie es, die Ziele auch den Mitarbeitern glaubhaft zu vermitteln?” lautete die Frage aus dem Publikum. Der Finne antwortete bescheiden: “Gemeinsame Werte halten ein internationales Unternehmen zusammen. Wir sehen die Mitarbeiter als Partner und bieten individuelle Karrierechancen.”

Auf die ersten Entlassungen angesprochen, sagte Ollila, dass Ehrlichkeit in schwierigen Situationen noch wichtiger sei. Bevor Gerüchte über den Stellenabbau die Presse erreichten, sprachen die Manager schon Wochen vorher mit den betroffenen Mitarbeitern und überlegten sich gemeinsam Alternativen: “Wir wollen trotz unserer Größe auf keinen Fall arrogant werden, denn das gefährdet unsere Arbeit.” Geringe Fluktuationsraten und mehrere tausend Blindbewerbungen geben der strategischen Entscheidung von Ollila Recht.