Workflow im Wandel/Workflow in der Energiewirtschaft

Die ostwestfälische Pesag peppt ihre Notes-Umgebung auf

01.08.1997

Viele öffentliche Betriebe drückt der Schuh: Mehr als die Hälfte der Arbeitszeit entfällt auf das Ablegen, Suchen und Verteilen von Dokumenten. Einer Schätzung der Workflow Management Coalition (WfMC) zufolge legt jeder öffentlich Beschäftigte pro Jahr etwa 1000 prophylaktische Kopien von Originaldokumenten an. Zu jedem Vorgang entstehen im Durchschnitt 15 Kopien.

Allein die aufwendige Dokumentenbearbeitung ist Anlaß genug, sich für digitale Alternativen zur papiergestützten Kommunikation zu erwärmen. Doch die Ziele der Strategen in den Betrieben gehen weit über das hinaus, was ihnen die elektronische Vorgangssteuerung verspricht.

"Wir wollen unsere Geschäftsprozesse verbessern", sagt Christoph Lücke, DV-Mitarbeiter des Stromversorgers Pesag AG in Paderborn. Dies setze eine ganzheitliche Vorgangsbearbeitung und mehr Flexibilität hinsichtlich der Gestaltung und Steuerung von betrieblichen Prozessen voraus, erklärte Lücke auf einer Konferenz der Deutschen Notes User Group (DNUG) vor wenigen Wochen in Bonn.

Wer sich wie die Pesag mit einem verschärften Wettbewerb um den Kunden auseinandersetzen muß, will schneller sein als die Konkurrenz und attraktivere Ergebnisse erzielen. Dafür will Lücke die DV-Landschaft unter dem Stichwort Workflow-Management prozeßorientiert "durchstylen".

Daß sich Workflow-Management nicht auf einer Insel abspielen kann, war Lücke bei der Entscheidungsfindung bewußt: "Ganzheitliche Bearbeitung erfordert weitgehende Integration unserer betriebswirtschaftlichen und technischen Kernanwendungen."

Neben der geplanten Einbindung des Internet und der optischen Archivierung sind Standard- und Individualsoftwareprogramme - SAP, Microsofts "Office", "Sicad", das Kundeninformationssystem "KIS" und die Anwendung JVA für die Jahresverbrauchsabrechnung - ebenso zu integrieren wie verschiedene Plattformen und Programmiersprachen (AS/400, Windows NT, Clipper, SQL-Windows). "Notes" von Lotus erfülle dabei "von Haus aus" die notwendigen Integrationsanforderungen.

Für die Groupware-Umgebung Notes hatte sich die Pesag bereits entschieden. Das Leistungsspektrum des Groupware-Platzhirsches hält zwar manches an Funktionalität bereit. Bei Anwendern wie der Pesag jedoch, die strukturierte Abläufe und unternehmensrelevante Prozesse flexibel abbilden müssen, reicht das Produkt in puncto Prozeßorientierung und Flexibilität nicht aus.

"Eine Modellierung von Abläufen und dazugehörigen Aktivitäten wie die Bearbeitung und Freigabe von Formularen ist im Standard nicht möglich", befindet der DV-Experte. Gesucht hat er deshalb ein Werkzeug, das die Kommunikations- und Integrationsmöglichkeiten von Notes nutzt sowie die Modellierung und Steuerung von Geschäftsprozessen übernimmt. Dazu zählen die Erstellung und Erweiterung von Hausanschlüssen oder die Instandhaltung von Netzbetriebsmitteln im Versorgungsgebiet.

Das Anforderungsprofil für die in Frage kommenden Lösungen war "nicht von Pappe": Es sollte in Notes, Release 4, integriert, durchsatzstark und flexibel in der Vorgangssteuerung sein. Dies verlangt nicht nur Modifizierbarkeit und Wartbarkeit der Prozeßmodelle, sondern auch Benutzerfreundlichkeit und einfache Bedienung. Größtmögliche Integration in die Notes-Umgebung sollte dem Anwender die gewohnte Sicht ermöglichen und den Aufwand für Training in Grenzen halten. Alles natürlich in einem überzeugenden Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Vier Systeme kamen in die engere Auswahl für einen genaueren Test unter Beteiligung höchst unterschiedlicher Anwender vom Manager über den Sachbearbeiter bis zum Entwickler. Die Wahl fiel schließlich auf "Prozessware", ein in Notes integrierbares Workflow-Management-System der Onestone Information Technologies GmbH, Paderborn.

Um die Lösung auf Herz und Nieren zu testen, konzentriert sich die Pesag seit einigen Monaten auf den Geschäftsprozeß "Anschluß von Windkraftanlagen (WKA)". In ihrem Versorgungsgebiet sind derzeit 71 Windkraftanlagen mit einer Leistung von 31660 Kilowatt installiert. Angesichts des geplanten Neubaus weiterer Anlagen rechnet das Unternehmen für das Jahr 2000 mit einem Anstieg auf 130000 Kilowatt. Die zuletzt überproportional gestiegene Nachfrage nach Anschlußmöglichkeiten und der damit verbundene Mehraufwand an interner Arbeitsleistung und Verständigung kam für den Workflow-Test wie gerufen.

Pesag formulierte folgende Ziele für das Projekt: Die Lösung soll rechenintensive Routinearbeiten - Kalkulationen, Abrechnungs- und Gutschriftenverfahren - spürbar entlasten. Und sie soll den WKA-Anschlußvorgang ganzheitlich und vorgangsorientiert unterstützen. Das bedeutet, alle beteiligten Stellen einzubeziehen, alle anfallenden Dokumente zu berücksichtigen und betriebliche Kernanwendungen zu integrieren.

Der WKA-Geschäftsprozeß gliedert sich in vielfältige Vorgänge mit zahlreichen Beteiligten, Dokumenten und Anwendungen, die in mehrfacher Hinsicht einander zugeordnet sind. Schon eine Anfrage zur Netzanbindung tritt eine Lawine von Einzelaufgaben los: Betreiber, Behörden und der Vertrieb müssen sich auf Anfragen, Aufträge, Genehmigungen und Pläne verständigen. Um diese Vorgänge zu bearbeiten, greift der Anwender auf "Excel", das R/3-Modul "FI" oder eine Individualsoftware zur Planung und Abwicklung von Bauvorhaben zu.

Ein anderes Beispiel: Handelt es sich um einen Netzanschluß, müssen Mitarbeiter der Netzabteilung, des Zählerwesens und der Leistungsabrechnung auf Montageaufträge und Meßgeräteinformationen zugreifen. In diesem Fall wählen sie sich in selbstentwickelte AS/400-Programme für die Bauabwicklung (Clipper) und die Zählerverwaltung (AS/400) ein oder verwenden aktuelle Daten aus einer Anschlußverwaltungs- und -berechnungstabelle, die bislang unter Excel lief und mit dem neuen Verfahren durch automatische Berechnungsalgorithmen abgelöst wurde. Zahlreiche Arbeitsschritte sind erforderlich, um den Deckel einer WKA-Anschlußakte endlich zuzuklappen.

Schnittstellen zu SAP (Debitoren, Fakturierung, Zahlungseingang), zu Stammdaten und Archiv sowie zu MS Office binden die Systemarchitektur in ihrer Kernfunktionalität zusammen. An der Benutzer-Schnittstelle unterstützt den Anwender eine an herkömmlicher Büroumgebung orientierte Oberfläche mit Eingangskorb, persönlichem und teamorientiertem Arbeitsbereich von Prozessware.

To-do-Listen machen auf anstehende Arbeitsschritte aufmerksam. Termine werden automatisch überwacht. Niemand braucht sich den Kopf um die weiteren Bearbeitungsschritte zu zerbrechen, denn das Tool übernimmt die weitere Steuerung des Vorgangs, sofern dieser vorher exakt definiert wurde.

Wer Workflow-Systeme einsetzt, sollte sich genau anschauen, was in die elektronische Hängemappe gehört und vor allem welche Wege zur Erledigung eines Vorgangs nötig sind. Nicht selten zwingt ein solches System die Anwender erstmals, sich über die Effektivität ihrer Zusammenarbeit Gedanken zu machen. So destillieren sie in einer vorgeschalteten Organisationsanalyse diejenigen Abläufe heraus, die Einsparungen an Zeit und Aufwand sowie zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten mit sich bringen.

Dabei sollte durchaus bedacht werden, worauf das Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart kürzlich hinwies: Technokratische Lösungsansätze können in ein System einmünden, das an den Bedürfnissen der Mitarbeiter vorbeigeht. Deren Vorbehalte - sei es aus Angst vor Kontrolle, Mehrarbeit oder ob des drohenden Verlusts an Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten - sollte man nicht unterschätzen.

Eine für alle Beteiligten erfolgreiche Lösung mit hoher Prozeßtransparenz setzt deshalb gründliche Vorbereitung voraus. Liegen die Details fest und wurden sie konkreten Arbeitsschritten und Ablaufplänen zugeordnet, schlägt die Stunde der Technik.

Auch die von der Pesag favorisierte Lösung bietet zum einen ein grafisches Modul, das die definierten Schritte des Geschäftsvorgangs beschreibt und in einer Notes-Datenbank speichert, zum anderen eine Prozess-Engine, um die DV-technische Umsetzung zu aktivieren und zu steuern.

Die Anbindung an Lotus Domino soll die Workflow-Funktionalität demnächst auch auf das Internet übertragen. Externe Partner oder Kunden der Pesag können dann über einen Web-Browser bestimmte Prozesse anstoßen und einen Workflow innerhalb der Pesag starten.

Die bisherigen Erfahrungen stimmen Lücke zuversichtlich: "Die ganzheitliche Betrachtung und aktive Unterstützung des ausgewählten Geschäftsprozesses ist ein großer Vorteil." Er erinnert sich jedoch auch an den höheren Aufwand für Organisation und Koordination, den innerhalb des gesamten Projekts eine "gezwungenermaßen" fachbereichsübergreifende Lösung - unabhängig von dem unterstützenden Werkzeug - für sich beansprucht.

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Mehr Information und Kommunikation, effektivere Verständigung sowie bessere Zusammenarbeit in verteilten Teams - so lauten die schlagkräftigsten Verkaufsargumente der Groupware-Anbieter. Bei den Anwendern stehen vor allem die Geschäftsprozesse auf dem Prüfstand. Kostensenkung und Kundenorientierung heißt auch bei den Energieversorgern das Gebot der Stunde. Kein Wunder, daß sich das Thema Workflow-Management in dieser Branche besonderer Beliebtheit erfreut. Hier die bisherigen Erfahrungen eines Anwenders, der die Arbeitsprozesse mittels einer Erweiterung zur vorhandenen Groupware-Lösung verbessern will.

*Max Leonberg ist freier Journalist in München.