"Die Oracle-Basis ist definitiv ein Markt für uns"

28.06.1991

Datenbank-Management-Systeme werden nach Ansicht von Branchen-Insidern immer mehr zu Commodity-Produkten. Folglich tun die traditionellen DBMS-Anbieter gut daran, neue Märkte anzusteuern. Relativ neu auf dem deutschen Markt ist die Sybase Corp., Emeryville/Kalifornien. Mit deren Executive Vice-President Bob Epstein sprach Karin Quack.

CW: Kürzlich hat die internationale Fachpresse berichtet, Ihr Produkt PC-Net-Library mache Ihren SQL-Server überflüssig. Machen Sie sich hier selbst Konkurrenz?

Epstein: Nein, das ist Unsinn; offenbar wurde da etwas mißverstanden .

CW: Worin besteht dann der Zweck dieses Produkts?

Epstein: Damit ermöglichen wir es dem Kunden, die Schnittstelle zwischen der Datenbank-Library und dem spezifischen Netzwerkprotokoll separat zu installieren. Auf diese Weise können verschiedene Netzoptionen mit einer Library gefahren werden.

CW: In diesem Zusammenhang interessiert uns, warum Sie so lange gezögert haben, der SQL-Access-Group beizutreten. Wollten Sie mit dem "Open Server" Ihr eigenes Süppchen kochen ?

Epstein: Als sich die SQL-Access-Group formierte, machte sie sich zur Auflage, jedes Mitglied müsse zwei Vollzeit-Mitarbeiter zur Verfügung stellen. Wir konnten uns das damals nicht leisten, aber wir sagten zu, daß wir benutzen würden, was immer dort entworfen würde. Mittlerweile hat die Gruppe ihre Statuten geändert und verlangt für die Mitgliedschaft nur noch einen finanziellen Beitrag. Folglich war es uns möglich, ihr beizutreten, was wir vor etwa sieben Monaten dann auch taten. Wir haben zwar keinen großen Anteil an dem, was dort entwickelt wird, aber wir werden es in unsere Arbeit einfließen lassen.

CW: Welche Bedeutung messen Sie dieser Gruppierung bei?

Epstein: Für uns ist das eigentlich keine Sache von entscheidender Wichtigkeit. Schließlich gibt es noch drei andere Organisationen, die sich mit derselben Sache beschäftigen: IBM, die OSI-Gruppe und die RDA-Leute. Und zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand entscheiden, wer sich letztendlich durchsetzen wird. Es ist uns nicht möglich, alle vier Gruppierungen zu unterstützen. Also warten wir ab, was dabei herauskommen wird. Im Grunde genommen widmet sich die SQL-Access-Group nur einem Teil eines Problems, das wir bereits gelöst haben. Das eigentliche Problem umfaßt weit mehr als die Kommunikation zwischen verschiedenen SQL-basierten Datenbanken.

CW: Aber Sybase ist immer noch ein Anbieter von Datenbank-Management-Systemen, nicht wahr?

Epstein: Die Tatsache, daß die Anwender unsere Produkte auch für nicht datenbankbezogene Applikationen nutzen, beweist wohl, daß wir mehr sind. Irgendwann werden die Leute uns hoffentlich als einen Anbieter für Client-Server-Architekturen bezeichnen. Zwar stellt der Datenbankbereich mit rund 80 Prozent Umsatzanteil heute noch unseren größten Business-Bereich dar, aber in fünf Jahren, so schätze ich, wird dieser Sektor nur noch 25 Prozent unseres Geschäftes ausmachen.

CW: Andere DBMS-Anbieter haben ähnliche Ziele. Worin unterscheiden Sie sich von der Konkurrenz ?

Epstein: Während Oracle beispielsweise den Ansatz verfolgt, in den Markt für Anwendungsprogramme einzudringen, wollen wir unser Unternehmen ausbauen, indem wir eine neue Art von Systemsoftware entwickeln.

CW: Ihr Umsatzwachstum ist eindrucksvoll. Aber in der Branche munkelt man, Sie würden keinen Gewinn machen. Stimmt das?

Epstein: Von unserer Historie her standen wir bislang unter dem Druck, das Umsatztempo von Oracle mitzuhalten - um den Preis, daß unsere Gewinne niedriger ausfielen, als wir es gern gehabt hätten. Aber dieser Druck ist jetzt vorüber. Bei Wachstumsraten von 30 bis 50 Prozent ist es sehr viel einfacher, profitabel zu sein, als bei einem jährlichen Wachstum um 100 Prozent. Also haben wir jetzt die Möglichkeit, unsere Profitabilität zu steigern.

CW: Und wie sieht das zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus ?

Epstein: Als Privatunternehmen müssen wir lediglich unsere Umsätze veröffentlichen.

CW: Dann sagen Sie mir bitte, welchen Umsatz Sie im ersten Quartal dieses Jahres gemacht haben.

Epstein: Tut mir leid, aber wir haben uns entschieden, nur Jahresergebnisse zu veröffentlichen, und ich darf einfach nicht gegen diese Unternehmenspolitik verstoßen Aber ich kann Ihnen versichern, daß wir zufrieden sind. Wir sehen überhaupt keine Stagnation im Datenbanksektor. Die prognostizierten Kürzungen der Kundenbudgets haben keine Auswirkungen auf das Marktsegment, in dem wir tätig sind.

CW: Wie lange wollen Sie noch ein Privatunternehmen bleiben ?

Epstein: Darüber haben wir noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Wir verfügen über substantielle Finanzreserven, also besteht keine Notwendigkeit, an die Börse zu gehen. Außerdem hat ein solcher Schritt sicherlich Einfluß auf ein Unternehmen: Einige Leute verbringen danach mehr Zeit mit ihren Finanzgebern als mit ihren Kunden.

CW: Lotus Development hält eine Minderheitsbeteiligung an Ihrem Unternehmen. Im Zusammenhang mit der gescheiterten Fusion von Lotus und Novell gab es Spekulationen darüber, ob Sybase in das Unternehmen einbezogen würde. Wäre das in Ihrem Interesse gewesen ?

Epstein: Nein, wir wollen unabhängig bleiben. Auch im Interesse unserer Kunden sollten wir uns nicht an ein bestimmtes Betriebs- oder Netzwerksystem binden. Tatsächlich hätte uns eine gegen Microsoft gerichtete Verbindung zwischen Lotus und Novell sogar arg in die Klemme gebracht; denn wir legen Wert auf kooperative Beziehungen zu jeder der drei Companies. Außerdem sehen wir keinerlei Synergie-Effekt darin, einem großen Unternehmen anzugehören, nur um höhere Umsätze ausweisen zu können.

CW: Sybase hat kürzlich den kanadischen Anbieter Deft Inc. übernommen. Was waren Ihre Beweggründe dafür?

Epstein: Das kanadische Unternehmen ist spezialisiert auf CASE für relationale Datenbanken, das heißt auf Entity-Relationship-Modellierung, Forward- und Reverse-Engineering des Datenbankschemas beziehungsweise -designs etc. Das Client-Server-Computing erfordert eine neue Art von CASE-Produkten: Das traditionelle CASE sieht keine Möglichkeit vor, Dinge, die bereits existieren, zu modellieren und miteinander zu integrieren, denn es kennt typischerweise nur den Top-down-Ansatz; für Client-Server-Systeme braucht man aber sowohl einen Top-down-als auch einen Bottom-up-Ansatz. Dieser Punkt ist zentral für vieles, was wir künftig tun wollen. Die Deft-Leute haben uns die Technologie gezeigt, an der sie gerade arbeiten, und das war genau, was wir brauchen. Da Deft mit 22 Mitarbeitern relativ klein war und nach mehr Marktpräsenz suchte, sahen wir es als sinnvoll an, unsere beiden Unternehmen zu verschmelzen. De facto wurden die Engineering-Gruppe sowie einige Vertriebsleute in unsere Tochter SQL Solutions eingegliedert.

CW: Gehört es zu Ihrer Geschäftspolitik, andere Unternehmen zu akquirieren?

Epstein: Nicht wirklich, nur dann, wenn deren Geschäft für uns wichtig ist und wir das Gefühl haben, es sollte Teil unseres Unternehmens sein. So zum Beispiel SQL Solutions: Für das, was diese Leute machen, nämlich Beratung im Bereich Systemintegration, hätten wir 100 Mitarbeiter gebraucht sowie eine Menge Zeit, um die Sache zum Laufen zu bringen. Folglich war diese Akquisition die natürlichste Sache der Welt. Ähnlich bei Deft: Es gibt nur wenige Leute, die wirklich etwas von CASE verstehen; also war das, was wir getan haben, ebenfalls richtig. Möglicherweise finden wir noch mehr besondere Technologien, die in uns den Wunsch wecken, uns mit einem anderen Anbieter zu verbinden. Aber es ist keineswegs so, daß wir daraus eine Strategie machen würden.

CW: Sie haben vorhin gesagt, Sie sehen keine Stagnation im Datenbanksektor. Wie erklären Sie sich, daß so viele Branchenkenner das Gegenteil behaupten?

Epstein: Wenn es dort Probleme gibt, so haben die ihre Ursache vor allem im Management der einzelnen Unternehmen. Möglicherweise existieren aber auch einfach zu viele Wettbewerber. Dieser Markt hat jedoch auf jeden Fall Raum für mehrere Anbieter, zumindest aber für zwei ...

CW: ... Und Sie wollen selbstverständlich einer davon sein.

Epstein: Ja, genau! Unsere Strategie zielt darauf ab, daß Oracle und wir übrig bleiben.

CW: Und wo bleibt IBM?

Epstein: Die IBM ist in einem anderen Markt tätig. Als die stärkste Kraft in dieser Industrie gibt sie eine Umgebung vor, die wir dann für unsere Kunden anpassen. Wir konkurrieren nicht mit DB2.

CW: Nein, aber vielleicht mit OS/2 Extended Edition oder einem künftigen AIX-basierten Datenbanksystem!

Epstein: Sicher, Extended Edition wird auf AIX laufen. Na und? Glauben Sie im Ernst, die Sales-Force der IBM wird hinausgehen und den Kunden drohen: Wenn Ihr unsere Daten banksoftware nicht einsetzen wollt, verkaufen wir Euch kein Unix-System ? Die IBM wird auf ihrem Workstation-Produkt heterogene Umgebungen unterstützen müssen; andernfalls ist sie einfach nicht mehr konkurrenzfähig. Also habe ich keinerlei Probleme damit, wenn IBM ein Datenbankprodukt unter AIX oder OS/2 anbietet.

CW: Gibt es ein nennenswertes Ablösegeschäft in Ihrem Markt?

Epstein: Sicher. Eine unserer Zielgruppen ist die unzufriedene Oracle-Kundschaft.

CW: Wie wollen Sie diesen Anwendern einen Wechsel des DBMS-Produktes schmackhaft machen?

Epstein: Das Deft-Produkt ermöglicht ein Re-engineering des Designs von Oracle-Datenbanken und eine Transformation in das Sybase-Design.

SQL Solutions verkauft überdies ein Produkt, das Source-Dateien aus SQL-Forms für andere Datenbanken konvertieren kann. Die installierte Oracle-Basis ist also definitiv ein Markt für uns.